Back on track

1.1K 62 15
                                    

Julian

„Please tell me I'm not as forgettable as your silence is making me feel."
- M.S.

Juni 2021

Schwer schlucke ich, als ich Kais Gesichtsausdruck sehe. Der braunhaarige ist am Boden zerstört. Ich weiß genau, wie er sich fühlt. Wie sie sich alle fühlen. Der Schmerz, den unser frühes Ausscheiden bei der WM 2018 hinterlassen hat, ist noch immer zu real. Er wird sich jetzt ähnlich fühlen. Es hat gegen England einfach nicht gereicht. Daran konnte auch Kai nichts ändern, dessen Leistung in diesem Turnier ziemlich gut war. Nicht genug bei diesem Spiel allerdings.
Er hatte am Anfang bei Chelsea noch echte Schwierigkeiten sich zurechtzufinden, doch davon ist jetzt nur noch wenig zu sehen. Ich kann immer noch kaum glauben dass mein... Exfreund? Ehemaliger bester Freund? Kai? Dass Kai mit seiner Mannschaft tatsächlich die Champions League gewonnen hat. Wie oft haben wir davon geträumt? Und wie gern wäre ich für ihn da gewesen? Nach dem Sieg, aber auch jetzt nach dieser vernichtenden Niederlage.
„Das war wohl nichts", seufzt Anna traurig und lehnt ihren Kopf an meine Schulter. Ich lege den Arm um sie und küsse ihre Schläfe.
„Dabei hatten sie noch so gute Chancen", murmle ich und lasse mich mit meiner Freundin tiefer in die Couch sinken.
„Echt unfassbar, dass Müller den nicht gemacht hat", meint sie und ich stimme ihr zu. Allerdings wird Thomas Müller wohl selbst am wütendsten darüber sein. Aber er wird darüber hinwegkommen. So ist Thomas einfach. Anders sieht das Ganze bei Kai aus.
Ich weiß genau wie viele Vorwürfe er sich machen wird. Vor allem, weil er nie mit solchen Dingen konfrontiert war. Bei Kai lief einfach immer alles. Bis zu meinem Wechsel zumindest.
„Kann man nichts machen. Bestimmt läuft es bei der WM besser", seufze ich. Vielleicht werde ich dann auch wieder für den Kader berücksichtigt. Wenn ich bis dahin wieder mehr Spielzeit habe. Und vor allem, wenn ich bis dahin besser spiele. Die letzte Saison ist echt eine zum Vergessen. Noch nie in meiner Karriere hatte ich mit so heftigen Schwierigkeiten zu kämpfen. Noch nie war meine Leistung so beschissen. Aber ich habe auch nie jemanden so vermisst, wie ich Kai vermisse. Also was den Fußball angeht natürlich. Mit ihm zu spielen war immer so leicht für mich. So leicht, so intuitiv und so unbeschwert wie nichts anderes auf der Welt. Damals hatte ich noch Spaß beim Spielen. Nicht so wie jetzt, wo sich alles anstrengend und schwierig anfühlt. Ob es ihm manchmal auch so geht?

„Willst du auch etwas essen, Juli?"
Verwirrt mustere ich die hübsche Blondine. Belustigt legt sie den Kopf schief und streicht mir durch die Haare. Langsam wächst meine Frisur heraus und ich überlege sie einfach lang wachsen zu lassen. Ich hatte noch nie lange Haare.
„Warst du wieder in Gedanken?", fragt sie sanft und ich nicke langsam.
„Ich wollte mir etwas zu essen machen, willst du auch etwas?", wiederholt sie ihre Frage. Anna ist echt zu lieb zu mir. Kaum zu glauben, dass dieser dämliche Auffahrunfall zu etwas so Schönem geführt hat.
„Gerne mein Engel", lächle ich und gebe ihr einen sanften Kuss.
„Für dich doch immer."
Meine Freundin verschwindet in der Küche, um etwas aus den wenigen Dingen in unserem Kühlschrank zu zaubern. Eigentlich haben wir hier auf Ibiza bis jetzt auch immer außerhalb gegessen, aber das Spiel hat uns heute davon abgehalten. Dieser Urlaub mit meiner Freundin und meiner Familie tut mir bis jetzt richtig gut und dass Deutschland ausgeschieden ist, wird mir vermutlich auch guttun. So muss ich zumindest nicht mehr daran denken, dass ich diese Saison zu schlecht war. Und ihn muss ich zur Abwechslung auch nicht sehen. Urlaub auf Ibiza macht er bestimmt nicht und wenn doch ist die Insel sicherlich groß genug für uns beide. Ich will gar nicht daran denken, wie es wäre ihm jetzt zu begegnen. Jetzt wo ich Anna habe und so offensichtlich über ihn hinweg bin. Ob er wohl noch an mich denkt? Auf dem Fernseher läuft noch die Nachberichtserstattung, allerdings bin ich auf mein Handy konzentriert und bekomme kaum mit wie Manu gerade die Niederlage analysiert.
Erst als ich Kais Stimme höre, schrecke ich hoch. Er sieht immer noch komplett erledigt und niedergeschlagen aus. Die Hand, mit der er sich durchs Gesicht fährt, zittert leicht und sein Atem geht schwer.
Er beantwortet die Fragen so professionell wie er es im Medientraining gelernt hat und verweigert es, die Schuld bei einzelnen Kollegen zu suchen. Dafür ist Kai auch nicht der Typ. Fußball ist ein Mannschaftssport und alle sitzen im gleichen Boot. Das hat der jüngere verinnerlicht. Ich muss schlucken, als Kais trauriger Blick Richtung Kamera geht.
„Sweet Caroline", läuft im Hintergrund und verhindert dass ich alles verstehen kann, was er sagt. Was würde ich dafür geben ihn jetzt einfach in meine Arme schließen zu können? Ihn einfach trösten und ihm dabei helfen den Frust abzubauen. Kai befeuchtet seine Lippen und ich muss schlucken. Nicht auf diese Weise...
„Schatz! Das Essen ist fertig!", reißt Annas Stimme mich aus meinen Gedanken. Kai beendet das Interview und ich schalte den Fernseher aus, um zu meiner Freundin zu gehen.
„Ist nicht viel, aber ich hoffe es schmeckt dir", meint sie mit dem Blick auf die Sandwiches, die sie zubereitet hat.
„Ach was, die sind perfekt. Genau wie du mein Engel", grinse ich und lege die Arme von hinten um die kleinere. Zärtlich küsse ich ihren Hals und inhaliere den Geruch des süßlichen Parfums, welches die heute aufgelegt hat. Sie kichert und schüttelt den Kopf.
„Hat dir schon mal jemand gesagt, dass du ein elendiger Schleimer bist?", fragt sie schelmisch und ich muss wieder schlucken, weil meine Gedanken sofort wieder zu Kai wandern. Nicht nur einmal hat er das gesagt...
„Ich und ein Schleimer? Ich will hier nur deine hervorragenden Kochkünste loben", verteidige ich mich schmunzelnd. Sie dreht sich zu mir um und piekst mir ihren manikürten Zeigefinger in die Brust. Sie macht sich ihre Nägel immer selbst und es ist jedes Mal beeindruckend, wie gut sie darin ist.
„Du bist ein kleiner Schleimer, aber keine Sorge, ich liebe dich trotzdem", grinst sie. Ich erwidere ihr Lächeln und lege meine Hand an ihre Wange.
„Das ist gut, ich liebe dich nämlich auch."
Zärtlich lege ich meine Lippen auf ihre und küsse sie, während ich sie näher an mich ziehe.

You broke me first- BravertzWo Geschichten leben. Entdecke jetzt