Kai
„I could be anything in this world but I wanted to be his."
- UnknownFebruar 2023
Ich fahre mir durch die Haare und starre einmal mehr auf die Nachricht meines Vaters. Und wieder dreht sich mir der Magen um. Je häufiger ich die Worte lese, desto realer wird meine Angst.
Papa:
Ich habe diesen Artikel über dich gelesen... Dass du dich nicht schämst! Ein Knutschfleck nach einer Niederlage? Wie kann man so dumm sein?
Papa:
Kai, ich habe dir seit Weihnachten Zeit gegeben, aber es reicht jetzt.
Es ist an der Zeit, dass du eine vernünftige Entscheidung triffst. Entweder du trennst dich von diesem Jungen und machst die Konversionstherapie, oder ich werde die ganze Welt darüber informieren, was für eine Schande du für unsere Familie bist. Ich erwarte deine Entscheidung bis zum Ende der Woche.
Noch drei Tage, dann will er meine Antwort und ich habe noch nicht mal mit dem Verein gesprochen. Als hätte ich nicht so schon genug Probleme.
Noch schlimmer ist, dass Jules Eltern es nicht wissen. Wäre wohl ziemlich übel, wenn sie es aus den Medien erfahren würden. Gut, dass wir gleich über FaceTime sprechen und erstmal einen Plan machen. Das ist bitter nötig und wahrscheinlich auch überfällig. Vielleicht hätten wir das schon Weihnachten machen sollen.
Aber zu dem Zeitpunkt wollte ich einfach noch nicht dran denken. Auch jetzt wird mir der ganze Scheiß langsam zu real. Wenn ich mir zu viele Gedanken darüber mache, steigt die Panik in mir hoch und meine Lunge schnürt sich zu. Das kann einfach das Ende bedeuten. Das Ende von allem.
Wer verpflichtet schon schwule Spieler? Wer sollte Lust auf den Scheiß haben? Ich habe ja selbst nicht mal Bock mich mit der Scheiße auseinanderzusetzen. Fuck man! Die ganze Welt wird wissen, dass ich auf Männer stehe... Auch wenn ich versuche Jule das Gefühl zu geben, dass ich irgendwie damit zurechtkomme... Es fühlt sich nicht so an. Ich bin eher kurz davor komplett durchzudrehen. So eine verfickte Scheiße! Wie kann mein Vater mir das antun? Wie kann er das Jule antun, der verdammt nochmal nichts gemacht hat, außer sich in mich zu verlieben. Und das ist echt kein Grund gleich unsere Karrieren so heftig zu gefährden. In meinen Augen zumindest nicht.
Die Anzeige der Uhr auf meinem Handy zeigt 20 Uhr und ich weiß, dass es Zeit wird Jule anzurufen.
Noch bevor ich mich gerührt habe, klingelt mein Handy und spiegelt mein eigenes Gesicht wider. Fuck, sehe ich fertig aus. Schnell fahre ich mir durch die Haare und über mein Gesicht, was original gar nichts bringt. Der Bildschirm flackert, als ich den Anruf entgegennehme und zeigt mir das vertraute Gesicht des blonden. Er sieht gut aus, aber die Sorge blitzt kurz auf, als er mich sieht. Warum sieht man mir auch alle Strapazen der letzten Wochen an? Und es wird nur schlimmer werden. Nach diesem Outing wird nichts mehr so sein wie vorher. Mein Herz rast, und ich versuche verzweifelt, meine innere Unruhe zu verbergen.
„Hey, Jule", krächze ich und kämpfe gegen den Kloß in meiner Kehle an. Kann er meine Unsicherheit wohl spüren?
Die letzte Zeit ist so hart gewesen, allein die Situation im Verein, meine miese Form auf dem Feld, die Fernbeziehung... und jetzt das Ganze mit meinem Vater und dem drohenden Outing. Ein fucking Albtraum, der mir den Boden unter den Füßen wegzieht.
„Hi Havy, wie war dein Tag?", fragt er vorsichtig lächelnd.
„Ganz in Ordnung so weit, und deiner?" Er nickt mir zu.
„Meiner auch. W-wollen wir dann anfangen einen Plan zu machen?" Ich schlucke schwer und versuche halbwegs normal auszusehen.
Ich frage mich, ob er merkt, wie sehr ich im Inneren zerbreche, wie sehr diese Situation mich fertig macht. Ich atme tief durch, als ich versuche, meine aufgewühlten Gedanken zu ordnen. Aber wie ordnet man so ein Chaos? Das ist doch unmöglich.
„Ja äh okay... Mein Vater will am Sonntag eine Antwort. Das heißt wir haben mit heute nur noch drei Tage. Also vielleicht sollten wir erstmal unsere Vereine und deine Familie informieren. Dann sind sie wenigstens vorbereitet, wenn die ganze Sache... rauskommt", erzähle ich ihm von meinen ersten Überlegungen.
Jules Augenbrauen ziehen sich leicht zusammen, während er nachdenkt. Er scheint das hier auch nicht leicht zu finden.
Allein der Gedanke daran, mit den Offiziellen darüber zu sprechen dreht mir den Magen um. Es seiner Familie zu sagen, hatte ich mir auch anders vorgestellt. Werde ich jetzt überhaupt dabei sein können? Das ist alles so beschissen schwer und viel. Ich wünschte, ich könnte mich einfach in seinen Armen vergraben und all das, was mich quält kurz vergessen.
„Stimmt, meine Eltern... An die habe ich noch gar nicht gedacht. Ich hatte irgendwie immer geplant, dass ich es ihnen persönlich sagen werde. Natürlich zusammen mit dir, aber das in den nächsten zwei Tagen umzusetzen wird wohl nichts."
Ein Schaudern zuckt durch mich hindurch, als ich an das unfreiwillige Outing denke, an die möglichen Konsequenzen, an die drohende Verachtung und die Angst. Das haben wir uns wohl beide anders vorgestellt. Ich hasse meinen Vater so sehr für das, was er uns damit antun möchte. Ich nicke nachdenklich.
„Richtig persönlich werden wir es wohl nicht schaffen, aber wofür haben wir FaceTime? Wir machen das trotzdem zusammen. Also wenn du willst", versuche ich mit fester Stimme zu sagen. Seine Augen leuchten kurz auf und ein Lächeln breitet sich auf seinem Gesicht aus.
„Das wäre wirklich schön", meint er und ich nicke wieder.
„Okay und hast du eine Idee wie ich das mit meinem Vater regeln soll? Soll ich nochmal versuchen mit ihm zu reden? Soll ich ihm unsere Entscheidung einfach schreiben?" Julian lehnt sich zurück, offensichtlich nachdenklich.
Sieht er mir an, wie sehr mich das hier fertigmacht? Keine Ahnung, ob er begreift, wie sehr mein Herz in meiner Brust hämmert, wenn ich ein Gespräch mit meinem Vater auch nur in Erwägung ziehe. Allein die Art, wie mein Vater mich behandelt, seitdem er von meiner Sexualität weiß... Und noch schlimmer, seitdem er von unserer Beziehung weiß. Ich bin so unsicher, so verletzlich, so sehr wie ein Kind, wenn es um ihn geht und ich hasse alles daran. Und doch kann ich es nicht kontrollieren.
„Ja, das... das wird sicher verdammt schwer, aber ich denke, wir sollten ihm zeigen, dass wir zusammenhalten, falls du nochmal mit ihm sprichst. Ich wäre natürlich auch dabei, wenn du das möchtest. Aber du kannst natürlich auch eine Nachricht schreiben, wenn das leichter für dich ist, Havy", meint er und gibt mir einen Moment, um darüber nachzudenken.
Ein zaghaftes Lächeln huscht über seine Lippen.
„I-Ich weiß es nicht. Ich überlege mir das noch", nuschle ich und sehe ihm durch mein Handydisplay in die Augen.
Ist er genervt von meiner Unsicherheit? Aber nein, ich kann keine Spur von Ablehnung oder Genervtheit feststellen. Stattdessen finde ich nur Zuversicht und Liebe in seinem Blick.
Ich kann sehen, dass Jule versteht, wie sehr ich ihn brauche, wie sehr ich gerade jetzt seine Unterstützung brauche und ich merke wie sehr er meine braucht. Ich bin so froh, dass ich ihn habe. Keine Ahnung, wo ich ohne ihn stehen würde.
„Natürlich, Havy. Kein Problem", lächelt er. Erleichtert erwidere ich sein Lächeln.
„Und wie gehen wir mit der Situation in der Öffentlichkeit um?" will Jule wissen.
Fuck... Es ist als würde jemand einen Schalter in meinem Inneren umlegen. Ich weiß, dass es unvermeidlich ist und ich mich irgendwie drauf vorbereiten muss.
Aber ich kann nur die Panik in mir spüren, wie sie mich umklammert, wie sie meine Gedanken lähmt. Ich lehne mich zurück und versuche verzweifelt, das Chaos in meinem Kopf zu ordnen. Aber wie soll ich klar denken, wenn alles beschissen durcheinander ist?
Der Blonde räuspert sich und ich bemerke, dass er mich intensiv ansieht, als würde er spüren, dass etwas nicht stimmt. Ertappt senke ich den Blick.
„V-Vielleicht könnten wir, wenn es rauskommt, so 'ne Art gemeinsame Erklärung abgeben. Einfach sagen, dass wir ein Paar sind und darum bitten, dass unsere Privatsphäre respektiert wird", überlege ich.
„Also nicht selbst outen? Nichts eigenes?"
„Nein, nichts Eigenes. Vielleicht... ich weiß nicht vielleicht zieht mein Vater es ja nicht durch." Julian schluckt und zuckt mit den Schultern. Er glaubt nicht daran, das ist mehr als offensichtlich. Wahrscheinlich bin ich auch einfach naiv, weil ich noch Hoffnung habe...
„Ja, vielleicht hast du recht. Klingt vernünftig. Gott Havy ich bin echt froh, dass wir uns einen Plan machen. Ohne, wäre das hier nur noch schlimmer. Zusammen packen wir das schon, Baby." Ich schlucke schwer, doch zwinge sofort ein Lächeln auf meine Lippen.
„Ja, da bin ich mir sicher. Egal, was passiert, wir haben uns füreinander entschieden und der Rest wird dann schon", versuche ich auch mich selbst davon zu überzeugen. Die Schwere in meiner Brust lässt ein kleines bisschen nach. Aber die Zweifel sind nach wie vor da. Was wenn ich das alles nicht schaffe? Ich fühle mich so ausgelaugt, so überfordert von allem. In Jules Augen sehe ich plötzlich wieder mehr Besorgnis. Hat er bemerkt, wie schlecht es mir wirklich geht? Ich beobachte ihn dabei, wie er mich mit einem intensiven Blick betrachtet, als würde er versuchen, meine Gedanken zu ergründen. Kann er mich lesen? Er kennt mich zu gut. Ich kann eigentlich nichts vor ihm verstecken. Er wird es mir ansehen.
„Hey, Havy", unterbricht er meine Gedanken, seine Stimme sanft, aber fest.
„Ist alles okay bei dir? Du wirkst ein bisschen... anders."
Meine Kehle schnürt sich zu, als ob all meine Emotionen plötzlich nach draußen drängen würden. Ich schlucke schwer und senke den Blick. Natürlich bemerkt er, dass ich komplett am Ende bin. Dieser Mann kennt mich besser als jeder andere.
„Es ist nur... das alles, Jule. Es ist so verdammt viel gerade."
Der Blonde seufzt leise, und ich kann in seiner Stimme hören, wie sehr er sich um mich sorgt.
„Du weißt, dass du nicht allein damit bist, oder? Wir stehen das zusammen durch, Havy. Ich bin hier für dich. Was auch immer geschieht", verspricht er mir.
Ein paar Tränen stauen sich in meinen Augen an, und ich kämpfe darum, meine Stimme stabil zu halten, als ich spreche.
„D-Danke, Jule. Ich bin auch hier für dich." Er lächelt und ich wünsche mir so sehr ihn in meine Arme schließen zu können.
Geschickt lenkt er das Thema auf etwas komplett anderes und nimmt mir damit zumindest für einen kurzen Moment meine Sorgen. Wir unterhalten uns lange über ein neues PlayStation Spiel und eine Serie, die der Blonde mir empfiehlt. Ich genieße es, einfach mit ihm zu reden und ihn zu sehen. Es fühlt sich fast unbeschwert an.
Als wir schließlich das FaceTime-Gespräch beenden, bleibe ich allein in meinem Schlafzimmer zurück. So gut meine Laune eben mit Jule auf dem Display auch war, umso beschissener ist sie jetzt. Ich liege im Bett, die Dunkelheit umgibt mich, und meine Gedanken drehen sich doch wieder im Kreis. Die Last auf meinen Schultern fühlt sich erdrückend an. Die Unsicherheit über die Konsequenzen, die mich erwarten, die Belastung im Verein, die Entfernung zu Julian... all das erzeugt eine Art Gewitterwolke, die ständig über mir zu schweben scheint. Ich schließe die Augen und versuche, einen klaren Gedanken zu fassen, doch es gelingt mir nicht. Die Angst vor dem, was kommt, ist überwältigend, und ich fühle mich von meinen eigenen Gedanken verschlungen. Es ist wie eine Spirale, in der ich gefangen bin.
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You broke me first- Bravertz
FanfictionKai und Julian sind Freunde, beste Freunde. Zumindest für alle anderen. Nur die beiden wissen, dass zwischen ihnen noch so viel mehr ist als das. Mein Herz schlägt mir bis zum Hals, als er seine Nase in meinen Haaren vergräbt und mich einfach nur f...