Kapitel 5

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Weich.

Heiß.

Vereinnahmend.

>> Harlow <<

Lustlos rührte ich in der Tasse herum. Die Stimme meiner Mutter drang nur als Summen zu mir durch. Ich sollte zuhören. Das sollte ich wirklich, aber ich tat es nicht. Ich konnte mich nicht konzentrieren. Mein Körper stand unter Spannung.

Meine Gedanken wirbelten chaotisch in meinem Kopf herum und ich konnte nicht wirklich begreifen, was mich geritten hatte. Das Gefühl beobachtet zu werden, die Rose, die Pizza und das Kleid sollten mir Warnung genug sein. Jeder normale Mensch wäre nach der letzten Nachricht zur Polizei gegangen. Ich war dagegen in dem Restaurant aufgetaucht mit einem Kleid, das beinahe nur aus Ketten bestanden hatte. Was stimmte nicht mit mir? Spätestens jetzt sollte ich mit jemanden darüber reden. Ich konnte es nicht. Auch wenn ich mich selbst nicht mehr verstand, musste ich mir eins eingestehen: Ich hatte es aufregend gefunden.

Ich hatte mich so verdammt lebendig gefühlt. Dieses Date war alles andere als gewöhnlich gewesen. Konnte man es überhaupt Date nennen? Wir hatten weder an einem Tisch gesessen noch miteinander gesprochen. Da war nur sein intensiver Blick. Pures Verlangen hatte mich gefangen gehalten, bis er verschwunden war. Ich konnte jetzt noch seine Berührung auf meiner Haut spüren. Ich hatte mehr davon gewollt. Das war doch krank.

„Ich rede mit dir", riss mich meine Mutter aus meiner Gedankenwelt.

Irritiert sah ich hoch. Oh, nein. Die Frau war wütend. Mist. Warum hörte ich eigentlich nicht auf mich selbst? Meine Mutter hasste es, wenn man ihr nicht zuhörte.

„Tut mir leid. Ich war in Gedanken", gab ich zu.

Sie verdrehte die Augen, ehe sie einen Teelöffel auf den Tisch warf. Sie wirkte wie ein kleines, verzogenes Kind, wenn sie sich so verhielt. Das behielt ich aber für mich. Es bräche nur einen unnötigen Streit vom Zaun.

„Ich habe darüber gesprochen, dass du zum Grab deines Vaters fahren musst. Ich kann mich nicht auch noch um die Grabpflege kümmern", wiederholte sie gepresst.

Nicht auch noch darum kümmern? Worum kümmerte sie sich eigentlich überhaupt noch? Das Haus war sauber. Ja, den Haushalt machte sie immer noch selbst. Ich erledigte jedoch überwiegend ihre Einkäufe und sorgte dafür, dass sie den Überblick nicht über ihre Finanzen verlor.

Ich atmete tief durch und schloss die Augen. Obwohl es in mir brodelte, schluckte ich jedes Argument dagegen herunter. Ich würde doch nur verlieren.

„Ich fahre am Wochenende hin und schau mir das mal an", stimmte ich ruhiger zu als mir eigentlich zu Mute war.

„Wenn du dich nicht um deinen Vater kümmern möchtest, dann kannst du es auch einfach sagen."

Ich krampfte meine Finger um die Tasse. Ich würde ihr sie jetzt nicht an den Kopf werfen. Ich würde jetzt nicht darauf eingehen, dass sie mir versuchte ein schlechtes Gewissen zu machen. Ich würde einfach ruhig hier sitzen bleiben.

„Das habe ich nicht gesagt, Mom. Ich weiß, dass du unter seinem Tod leidest und nicht gern auf den Friedhof fährst. Tut mir leid, dass ich dir nicht zugehört habe. Ich fahre hin und kümmere mich um alles, okay?"

Sie verengte ihre Augen zu Schlitzen. Wahrscheinlich merkte sie gerade, dass ich sämtliche Kraft aufwandte, um nicht unhöflich zu werden. Sie beließ es jedoch dieses Mal dabei und trank selbst einen Schluck aus ihrer Tasse.

„Tante Iris hat nach dir gefragt", wechselte sie abrupt das Thema.

„Hat sie das?"

Was sollte ich schon dazu sagen? Ich hatte kaum Kontakt zu unserer Familie. Meistens telefonierte meine Mutter mit ihnen. Ich war quasi nicht existent.

Sein zerbrechlicher BesitzWo Geschichten leben. Entdecke jetzt