Kapitel 20

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Er hatte sein ganzes Leben vor mir verschleiert,

weil er gewusst hatte,

dass ich nicht mit einem Mörder das Bett teilen würde.

>> Harlow <<

Ich konnte nicht genau sagen, was ich wollte. Da gab es diese Erschöpfung in mir, die mich drängte aufzugeben. Ich wollte nicht mehr. Ich konnte nicht mehr.

Dann hörte ich ein Geräusch und verspürte Angst. Angst, die in Kampfeslust wechselte. Manchmal kehrten meine Sorgen zurück. Wo war Cara? Ging es ihr gut? Hatte uns der Mann, der in meine Wohnung versucht hatte einzubrechen, entführt? Lebte meine Freundin noch? Würde ich es überleben?

Sämtliche Fragen verflüchtigten sich, sobald das Hämmern in meinem Schädel zurückkehrte. Wenn die Schmerzen in meinem Körper lauter wurden als meine Gedanken, wollte ich aufgeben. Dann wünschte ich mir, dass Jemand käme, um mich zu erschießen.

Wollte ich sterben? Nein. Würde ich sterben? Wahrscheinlich. Mit dieser Tatsache hatte ich mich abgefunden.

Es gab Momente, da fühlte ich mich klein. Ich fühlte mich, als säße ich wieder zwischen den Regalen und beobachtete die Männer mit ihren Waffen. Aber ich war hier allein. Nur ein Regal mit verstaubten Akten stand in einer Ecke. Ein brauner Karton in der anderen. Lametta lugte aus der Schachtel hervor, doch es hatte seine besten Zeiten überstanden. Es sah so ausgefranst aus, wie ich mich fühlte.

Die Türe vor mir knarzte. Mein Herz begann wild in meiner Brust zu schlagen. Es holperte und drückte mir die Luft im Halse ab. Die Tür schwang auf. Erleichterung erfasste mich.

„Cara!", krächzte ich.

Es ging ihr gut. Wirklich gut und sie hatte mich gefunden. Ich musterte ihre Erscheinung. Kein einziger Kratzer zierte ihren Körper. Das grenzte an ein Wunder.

„Ist alles okay mit dir?", hakte ich leise nach.

Sie legte den Kopf schief. Verwundert betrachtete sie mein Äußeres. Dann rümpfte sie die Nase. Sie musste den Geruch in der Kammer bemerkt haben.

Sie blieb an der Türe stehen, schloss sie leise hinter sich.

„Bist du allein?", stellte ich ihr eine weitere Frage.

Meine Freundin plusterte ihre Wangen auf. Beinahe genervt stieß sie ihren Atem aus.

„Du hast es nicht begriffen, oder?"

„Du bist so dämlich. Ernsthaft. Du hast nicht einmal die Glasflasche in meiner Hand bemerkt, als wir in den Keller gefahren sind, und auch jetzt kommst du nicht auf die Idee, wer dich hier unten eingesperrt haben könnte?", kam sie mir zuvor, ehe ich irgendwas dazu sagen konnte.

Ich versuchte mich aufzurappeln, aber meine Beine gehorchten mir nicht. Dabei wollte ich unbedingt stehen. Ich brauchte einen Augenblick, um ihre Aussage zu begreifen. Erneut schaute ich mir die Frau vor mir an. Sie war sauber. Ihre Haare lagen perfekt um ihren Kopf. Selbst das Makeup saß an Ort und Stelle. Cara war unverletzt.

Dann verstand ich es. Sie war unverletzt, weil sie nie angegriffen worden war.

„Warum?", hauchte ich erschüttert.

Ein Grinsen breitete sich auf ihren Lippen aus. In ihren Augen erkannte ich Hass. Nichts war noch von der jungen Frau, die ich ins Herz geschlossen hatte, übriggeblieben.

„Warum?", wiederholte sie meine Frage.

Ich nickte. Ich wollte begreifen, was sie hierzu getrieben hatte. Ich wollte wissen, warum sie mir das angetan hatte. Auch, wenn es noch so dämlich war. Es änderte nichts daran, dass ich Schmerzen hatte. Es änderte nichts daran, dass mir vor Hunger schlecht war oder ich meinen eignen Geruch kaum noch ertragen konnte.

Sein zerbrechlicher BesitzWo Geschichten leben. Entdecke jetzt