Teil 1

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Das eintönige Grau, das den Himmel über München überzog, hätte meine Stimmung kaum besser illustrieren können. Während ich im Zug aus dem Fenster starrte, verfärbte sich auch mein Gemütszustand immer mehr. Auch meine Gedanken waren grau. Und je weiter ich mich vom Stadtzentrum entfernte, desto trauriger wurde ich. 

Der Tag, an dem ich meinen Job verlor, war ein typischer Novembertag. Obwohl der Kalender einem mitteilte, dass das Jahr fast vorüber war, hatte man noch nicht das Gefühl, im Winter angekommen zu sein. Die Temperaturen waren zu hoch und der leichte Nieselregen zeigte nur zu deutlich, dass wir uns noch mitten im Herbst befanden – einer Jahreszeit, der ich persönlich noch nie besonders viel hatte abgewinnen können.

Wenn ich normalerweise nach Hause fuhr, konnte ich aus dem erleuchteten Zug heraus kaum noch etwas von meiner Umgebung erkennen. Denn eigentlich machte ich mich immer zu einem viel späteren Zeitpunkt auf, um zurück zu meiner WG zu fahren. Aber an diesem Tag kam ich im Hellen nach Hause. An diesem Tag war alles anders. Und auch mein Leben würde nun anders sein. 

Es war ein Schock gewesen, als unsere Chefin uns heute verkündet hatte, dass ihr selbst aufgebautes Unternehmen eingestampft werden würde. Die kleine Event-Agentur rechnete sich nicht mehr. Wir steckten wohl schon seit Längerem tief in den roten Zahlen. Wie das passieren konnte, wusste ich nicht. Niemand hatte mitbekommen, wie schlimm die Lage all die Zeit über wirklich gewesen war. Ich hatte das erst recht nicht bemerkt, da ich auch erst seit ein paar Monaten fest dabei war. Kurz nach meinem Studienabschluss war ich dort angenommen worden und der Job hatte mir wirklich großen Spaß bereitet. Besonders häufig hatten wir Aufträge für Hochzeitsplanungen. Solche Aufgaben liebte ich. Mir gefiel es, dafür zu sorgen, dass andere auch dank meiner Hilfe den schönsten Tag ihres Lebens feiern konnten. Aber alle romantischen Gefühle, die ich sonst manchmal bekam, wenn ich an meine Arbeit dachte, waren nun komplett verschwunden. Stattdessen überkam mich so langsam die Panik, die nach dem ersten Schock anfing, immer größer zu werden. Auf einmal wirkte alles so real.

Während der einstündigen Bahnfahrt – an das lange Pendeln hatte ich mich längst gewöhnt – brach die komplette Welt, die ich mir aufgebaut hatte, über mir zusammen. Wo sollte ich jetzt so schnell einen neuen Job herbekommen? Wie sollte ich auf die Dauer die Miete bezahlen, wenn ich monatelang nichts finden würde? Als ich die Tür zu unserer WG öffnete, stand ich kurz vor einem Heulkrampf. Ich versuchte mich zusammenzureißen, bis ich in meinem Zimmer angelangt war und mich erschöpft auf mein Bett sinken lassen konnte. Danach ließ ich meinen Tränen freien Lauf.

Als ich mich wieder einigermaßen beruhigt hatte, tat ich das, was mir in Krisensituation am meisten half: Ich rief meine beste Freundin an. Tine ging zum Glück sofort ran. Geduldig hörte sie mir zu, wie ich ihr mit tränenerstickter Stimme meine aktuelle Lage erklärte.

„Ach, Lara, das tut mir schrecklich leid", sagte sie echter Anteilnahme in der Stimme. Ich war mir sicher, dass sie innerlich gerade mit mir litt.

Ich war froh, dass sie mir einfach nur zuhörte und danach sofort in den Helfermodus schaltete. Egal, was für Probleme ich hatte, Tine versuchte immer sofort Lösungsvorschläge zu unterbreiten.

Gleichzeitig scrollten wir online durch verschiedene Suchanzeigen für Jobangebote. Tine meinte, ich sollte mich ja nicht zu lange in Selbstmitleid suhlen. Es gab ein paar Angebote, aber nichts sagte mir wirklich zu und die meisten verlangten jahrelange Berufserfahrung, die ich einfach nicht vorweisen konnte. Ich wusste, dass ich mit meinem bisherigen Job richtig viel Glück gehabt hatte. Vor allem, da sich in München viele Menschen bewarben. Würde ich so schnell überhaupt etwas Neues finden?

„Und was ist, wenn du die Stadt wieder verlässt?", fragte Tine vorsichtig. Sie wusste nur zu gut, dass ich es liebte, am Rand der Großstadt zu wohnen und vor allem auch dort zu arbeiten. Selbst wenn ich dafür jeden Tag so lange hin und her pendeln musste.

„Ich schicke dir mal eine Suchanzeige", sagte Tine. „Aber für den Job müsstest du zurück zu uns kommen."

Zurück hieß, wieder in die Kleinstadt ziehen, in der ich aufgewachsen war und in der Tine immer noch lebte. Im Gegensatz zu mir hatte sie nie von dort weggewollt. Das hatte unserer Freundschaft aber nie geschadet. Wir waren noch genauso eng verbunden wie zu Schulzeiten. Selbst, wenn wir uns weniger sahen als früher.

Das Jobangebot, das mir Tine wenig später schickte, überflog ich kurz, aber es war weit von dem entfernt, was ich mir vorstellte.

„Denk trotzdem darüber nach", empfahl mir Tine und das tat ich auch.

Es vergingen zwei Tage, die ich größtenteils in meiner Wohnung hockte und auf meinen Bildschirm starrte. Ich machte mir eine Pro-&-Contra-Liste und kam schließlich zu dem Entschluss, dass ich mich doch mal auf die Anzeige melden würde. Drei Tage später hatte ich ein Vorstellungsgespräch und kurz darauf sogar bereits die Zusage. Ich würde im Traumzeithof arbeiten, dem angesehensten Hotel unserer Stadt. Bei nur drei Hotels war das auch nicht schwer. Trotzdem konnte der Inhaber mit Recht behaupten, dass es einen Top-Ruf hatte – und das sogar in ganz Deutschland. Der Traumzeithof war das Aushängeschild unserer Kleinstadt, die tatsächlich sehr vom Tourismus lebte. Das hatte ich früher nie wirklich verstanden. Ich hatte nicht kapiert, warum Menschen so unbedeutende Orte sehen wollten, die kaum etwas zu bieten hatten. Aber anscheinend war es die Ruhe und die Natur, die manche Urlauber besonders mochten. Und diese Sachen ließen sich nun einmal besser außerhalb der übrigen Touristen-Hotspots finden.

Der Job würde befristet sein, nur bis Ende des Jahres – aber mit einer eventuellen Option auf Verlängerung. Aber das wollte ich ja eigentlich gar nicht. Für die kommenden sechs Wochen war es jedoch eine gute Möglichkeit, ein recht attraktives Gehalt zu bekommen. Und währenddessen könnte ich in Ruhe nach einem anderen Job Ausschau halten. Ich würde wieder bei meinen Eltern einziehen und mein WG-Zimmer für die Zeit untervermieten. Kurzzeitpraktikanten waren in der Nähe von München immer auf der Suche nach solchen Zimmern. Da war ich mir sicher.

Der Traumzeithof war besonders im Winter von Touristen gut besucht. Neben dem Sommer war das die wichtigste Jahreszeit mit dem größten Umsatz. Das galt auch für die komplette Stadt, die von den Touristen profitierte. Wer im Dezember ein Zimmer in dem Hotel ergattern wollte, musste früh buchen. Es gab Stammgäste, die jedes Jahr wieder zur gleichen Zeit kamen. Der Grund dafür war, dass das Hotel im Advent einem romantischen Winterparadies glich. Besondere Aktionen sorgten dafür, dass der Aufenthalt unvergesslich wurde. Zumindest war das das Ziel des Hoteliers. Auch die Stadt war dann immer so extrem herausgeputzt, dass es quasi unmöglich war, nicht in Weihnachtsstimmung zu verfallen. Und ich solle mithelfen, damit die Hotelgäste die perfekte Mischung aus Spektakel und besinnlicher Ruhe erleben konnten. Ab nächstem Montag war ich Adventsplanerin im Traumzeithof.

Die Adventsplanerin - Liebe im TraumzeithofWo Geschichten leben. Entdecke jetzt