Teil 13

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„Also eigentlich hättet ihr das Ganze ja mit Rentieren und Schlitten auf die Beine stellen müssen", sagte Matheo, als wir den ersten Teil der Strecke hinter uns hatten und die Stadtgrenze längst passiert hatten.

„An Schlitten hatten wir tatsächlich auch gedacht, aber bei den paar wenigen Schneeflocken wäre das wohl kaum möglich. Und da war die Kutschfahrt das, was dem Ganzen noch am nächsten kam."

„Ich finde das tatsächlich eine gute Idee, die ihr da hattet. Man muss nur aufpassen, dass man die Getränke nicht verschüttet, weil es so holprig ist."

Ich musste lachen, als er seine Tasse demonstrativ und mit viel zu übertrieben zittrigen Bewegungen zum Mund führte. Er hatte sich für Kaffee entschieden, ich hingegen für den heißen Kakao, sodass wir jeder mehr als genug hatten. Wir hatten uns gleich zu Beginn mit Zimtschnecken vollgeschlagen, sodass wir die Plätzchen fast gar nicht mehr angerührt hatten. Jetzt stand der Korb wieder auf dem Boden zu unseren Füßen, um auf der Sitzbank mehr Platz zu haben. Mit dem riesigen Korb war es doch etwas eng gewesen.

„Nach den ganzen Zimtschnecken hätten wir eigentlich noch ein paar Mandarinen essen müssen. Etwas Gesundes, um unser Gewissen zu beruhigen", sagte Matheo mit einem Schmunzeln in der Stimme.

„Ach Quatsch! Die Adventszeit ist einfach dafür gemacht, zu naschen und spätestens nach dem Essen an den Feiertagen hat man eh ein paar Kilo mehr drauf."

„Lass mich raten: Du bist schon voller Vorfreude auf Weihnachten, oder? Bei dir könnte ich mir vorstellen, dass du die Feiertage auch mit allem Drum und Dran angehst. Mit Weihnachtsmusik, großer Bescherung, typischen Filmklassikern, oder?"

„Ja, da ist schon was Wahres dran. Ich mag es nun einmal, wirklich zu fühlen, dass Weihnachten ist. Aber ich vermute mal stark, dass du überhaupt nicht der Typ bist, der sich so in Festtagsstimmung versetzt, oder?"

„Nicht wirklich, nein. Ich finde Weihnachtslieder viel zu nervig, Filme zu kitschig und alle Dekorationen völlig überflüssig."

„Sag bloß, dass du bei dir wirklich gar nichts dekorierst? Hast du nicht mal einen Tannenbaum bei dir stehen?"

Matheo schüttelte den Kopf. „Nein, habe ich nicht. Ich wohne alleine und da lohnt sich so etwas für eine Person nicht."

„Also wir haben in unserer WG immer einen kleinen unechten Baum stehen. Der passt so gerade bei uns in den Flur."

„Und du hast sicher auch mehrere Tassen mit Weihnachtsmotiven, die du jeden Winter herauskramst."

„Absolut richtig! Aber wie kommt es, dass du so gut wie gar nichts damit anfangen kannst? Du feierst aber doch sicher trotzdem irgendwie Weihnachten, mit deiner Familie, Freunden oder deiner Freundin?"

Ich hielt die Luft an. Eigentlich hatte ich die Frage nur gestellt, um eine ganz bestimmte Antwort zu bekommen.

„Ich bin Single, wohne alleine, aber bin natürlich bei meiner Familie. Allerdings nur am ersten Weihnachtstag, wenn abends ein großes Essen bei meinen Eltern stattfindet. Dann kommen auch mein Bruder und meine Schwester zu Besuch und bringen ihre Kinder mit. Es ist in den letzten Jahren richtig voll geworden bei uns am Esstisch."

„Klingt doch schön. Genau so sollten die Feiertage doch sein. Und was machst du an Heiligabend oder dem zweiten Weihnachtstag?"

„Die freie Zeit genießen."

„Du bist völlig alleine?"

„Ja, aber das macht mir nichts aus."

Ich konnte nichts dafür, aber auf einmal hatte ich wirklich Mitleid mit ihm. Allerdings wusste ich, dass er das vermutlich nicht wollte, also versuchte ich, mir das nicht anmerken zu lassen. Vielleicht mochte er Weihnachten nicht, weil er das Alleinsein in Wahrheit gar nicht so gut ertrug, wie er es mir vorzumachen versuchte. Denn ich vermutete, dass er eigentlich schon einen Sinn für alles rund um die Festtage hatte – es aber einfach nur nicht zugeben wollte. Auf den Gedanken war ich schon gekommen, als er sich freiwillig zum Schlittschuhlaufen aufs Eis gewagt hatte. Außerdem könnte ich schwören, dass er das Backen wirklich genossen hatte und bestimmt tat es ihm gut, hier draußen bei einer Kutschfahrt einmal abzuschalten. Auch wenn er das bestimmt als kitschig ansah.

Allerdings verfestigte sich auch ein anderer Gedanke in meinem Kopf. Was, wenn ich mich täuschte und er doch keinen Gefallen an solchen Dingen gefunden hatte, sondern mir nur etwas vorspielte? Vielleicht sogar aus edlen Gründen, um mich nicht zu enttäuschen oder mich einfach glücklich zu machen? Ich hatte nicht überhört, dass er eben gesagt hatte, dass er Single war. Ich konnte auch nicht leugnen, dass sich kurz ein warmes Gefühl in mir ausgebreitet hatte, das definitiv nicht vom heißen Kakao gekommen war.

„Genießt du die Zeit hier wenigstens ein bisschen?", fragte ich, nachdem wir einige Minuten einfach nur geschwiegen und den Ausblick auf den See genossen hatten, den wir bereits zu einem Drittel umrundet hatten.

„Ja, mittlerweile finde ich es wirklich schön hier." Matheo klang freundlich, ungezwungen. Trotzdem war ich mir nicht völlig sicher, ob er es ernst meinte.

„Du musst nicht lügen, nur weil ich das gerne hören will", sagte ich.

„Ich lüge nicht."

Matheo drehte sich etwas mehr zur Seite, sodass wir uns direkt ansehen konnten.

„Glaub mir bitte, dass ich es absolut ernst meine. Ich fange langsam an zu verstehen, warum die Gäste zu dieser Zeit hierherkommen. Es wäre zwar wohl nicht mein erster Wunsch, so Urlaub zu machen, aber ich habe mich mittlerweile mit einigen unterhalten, die die Mischung hier schätzen. Die Mischung aus Ruhe, dem Ambiente, der Kleinstadt und der Natur drumherum. Sie lieben es, wählen zu können, ob sie nur unter sich bleiben wollen oder solche Aktionen mitmachen wie diese Kutschfahrt. Es begeistert die Menschen und so langsam finde ich auch meinen Gefallen an dem Ganzen."

Wow, was für eine Rede. Und seine Augen sagten mir, dass er absolut überzeugt von dem war, was er da sagte. Aber eine Sache überraschte mich.

„Du hast mit anderen Gästen gesprochen?", hakte ich nach.

Er nickte. „Natürlich. Ich möchte ja schließlich wissen, was andere über euer Adventskonzept denken. Und ich habe viele interessante Menschen kennengelernt, die es lieben, im Dezember herzukommen. Und das jedes Jahr wieder. Habt ihr vom Hotel aus auch in anderen Jahreszeiten eine solche Nachfrage?"

„Ehrlich gesagt weiß ich das gar nicht so genau. Ich bin hier ja nur kurzfristig beschäftigt."

„Aber zu anderen Zeiten ist es hier doch sicherlich genauso schön, oder?"

„Ja, definitiv. Zumindest wenn man sich etwas zurückziehen will und keine großartigen Touristenziele sucht. Allerdings glaube ich, dass man noch viel mehr aus dem Hotel herausholen könnte."

„Inwiefern?"

Mir fiel auf, dass ich darüber vielleicht gar nicht reden sollte. Es stimmte, ich fand, dass man mehr machen könnte, aber das waren ja nur Ideen meinerseits. Vielleicht war das logistisch und vom Budget her ja gar nicht möglich.

„Der Traumzeithof ist vor allem für seine verträumte Atmosphäre im Winter bekannt", sagte ich. „Ich fände es schön, wenn man auch zu anderen Zeiten mehr machen könnte, allerdings habe ich keine Ahnung, inwiefern sich so etwas bewerkstelligen lässt."

„An was dachtest du denn?"

„Zum Beispiel an ein großes Osterfest, zu dem dann auch Familien mit Kindern als Gäste kommen könnten. Oder Herbstprojekte mit organisierten Waldwanderungen und Kürbisschnitzwettbewerben. Ich finde auch, dass sich hier Erwachsene mal wie Kinder fühlen dürfen. Du hast doch selbst gesehen, wie viel Spaß ihnen das Backen gemacht hat oder dass sich auch Ältere gerne aufs Eis wagen. Das ist ja nicht nur etwas für die jüngere Generation. Und solche Angebote kann man den Gästen ja auch das ganze Jahr über anbieten."

„Hast du diesen Vorschlag schon mal jemandem unterbreitet?"

Ich schüttelte den Kopf.

„Warum nicht?"

„Vermutlich, weil ich denke, dass es mich nichts angeht. Ich bin keine vollwertige Mitarbeiterin des Hotels."

„Deswegen kann man ja trotzdem Ideen äußern."

Ich zuckte mit den Schultern. Eigentlich wollte ich über dieses Thema nicht mehr reden. Schon gar nicht, wenn nicht absehbar war, was mit dem Hotel passieren würde. Ich musste unbedingt mehr über diese Gerüchte herausfinden. Vielleicht sollte ich sogar mal Regina fragen. Sie müsste doch am ehesten wissen, was wirklich los war.

Die Adventsplanerin - Liebe im TraumzeithofWo Geschichten leben. Entdecke jetzt