Im Hotel hatten sich alle über den Artikel gefreut. Da war es auch kein Thema mehr, dass Matheo vorzeitig abgereist war. Trotzdem war die Anspannung dadurch nicht völlig verflogen. Aber immerhin schienen unsere Gäste nichts davon mitzubekommen, was hinter den Kulissen bei uns los war. Je näher die Feiertage rückten, desto geringer wurde die Gästeanzahl. Trotzdem waren die Zimmer so gut belegt, dass nie jemand auf die Idee kommen würde, über Weihnachten zu schließen. Meistens kamen auch Verwandte von Bewohnern unserer Stadt hierher, die lieber im Hotel schlafen wollten oder keinen Platz bei ihren Verwandten fanden.
Die Angestellten waren natürlich nicht sonderlich erpicht darauf, an den Feiertagen zu arbeiten. Aber sie wussten, dass es dazu gehörte und hatten sich vermutlich in all den Jahren daran gewöhnt. Außerdem arbeitete nur eine kleine Belegschaft, sodass zumindest ein paar Leute frei hatten und bei ihren Familien sein konnten. Und an den Feiertagen war auch nichts Großes geplant, sodass sich der Arbeitsaufwand in Grenzen hielt.
Dafür gab es vorab eine riesige Veranstaltung, die jedes Jahr bei Gästen, Stadtbewohnern und Hotelmitarbeitern gleichermaßen beliebt war. Und dieses Event würde heute Abend stattfinden.
Es war der 23. Dezember, der Tag, auf den wir die ganze Zeit hingearbeitet hatten. Ich hatte mich regelrecht in die Arbeit gestürzt, da ich wollte, dass dieser Abend ein Erfolg wurde. Und es hatte mich auch von all meinen Sorgen abgelenkt. Der Traumzeithof veranstaltete jedes Jahr an diesem Tag den großen Winterball – ein Fest mit Dinner, Musik und Tanz. Die Gäste warfen sich richtig in Schale und sie zahlten enorm viel für die Eintrittskarten. Ich selbst war bislang nie auf dieser Veranstaltung gewesen. Meine Eltern hatten sich zweimal dort blicken lassen. Meiner Mutter hatte es richtig gut gefallen, meinem Vater war das Event schon fast zu edel vorgekommen. Es sollte halt wirklich etwas Besonderes sein. Die Einnahmen würden nicht nur an das Hotel gehen, sondern zu Teilen auch gespendet werden. Zum Teilen an Projekte aus unserer Stadt. Deshalb war dieses Event auch bei den Stadtbewohnern so beliebt.
Wir hatten den großen Ballsaal festlich geschmückt. Vorne gab es eine Bühne, auf der später das Orchester sitzen würde und einige Ansprachen vorgetragen wurden. Davor war eine Hälfte des Saals freigehalten worden, die als Tanzfläche dienen würde. Im hinteren Teil des Saals waren runde Tische aufgestellt, die bereits mit hochwertigem Geschirr eingedeckt worden waren. An den Wänden hing Tannengrün, das mit roten Schleifen geschmückt war. Neben der Bühne standen hohe Weihnachtsbäume, für die bis jetzt der beste Schmuck zurückgehalten worden war. Der Boden glänzte golden. Von oben hingen Kronleuchter herab, die alleine bereits für eine edle Atmosphäre gesorgt hätten. Sie wirkten so imposant, dass man sich fühlte, als wäre man geradezu in ein Märchenschloss getreten.
„Ist alles fertig?", fragte Regina und schaute sich in dem Raum um.
Ich nickte, sah aber trotzdem noch einmal auf mein Klemmbrett und die Liste, auf der ich alle möglichen Punkte, von der Dekoration über das Essen bis hin zur Musik, stehen hatte. Eigentlich müsste alles perfekt laufen. Das hoffte ich zumindest.
„Dann leg mal dein Klemmbrett beiseite und wirf dich in Schale", sagte Regina und scheuchte mich mit beiden Händen aus dem Saal, damit ich mich umziehen ging.
Wenig später stand ich unschlüssig im Umkleideraum und drehte mich in meinem Kleid hin und her. Es war bodenlang, hatte einen weiten Tüllrock und war aus einem dunklen Royalblau. Das Oberteil war mit kleinen Steinchen bestickt, die im Licht funkelten. Das Kleid zauberte ein schönes Dekolleté, dünne Träger sorgten für den Halt. Ich fühlte mich wie eine Prinzessin. Nicht mal mein Abikleid war so elegant gewesen. Dass ich überhaupt an solch ein fantastisches Kleidungsstück gelangt war, hatte ich Tine zu verdanken. Oder vielmehr ihrer Tante, die so etwas noch im Schrank gehabt hatte, weil sie es nicht übers Herz gebracht hatte, es wegzugeben. Sie selbst hatte das Kleid vor einigen Jahren auf dem gleichen Ball getragen. Und sie hat sich richtig gefreut, es mir für dieses Event auszuleihen.
„Du siehst richtig schön aus", sagte Larissa, eine der Kellnerinnen, die in den Raum kam, um sich ebenfalls umzuziehen. „Ich wünschte, ich könnte auch so etwas anziehen."
Sie würde ein schlichtes schwarzes Outfit tragen, wie der Rest der Kellner auch. Genau deswegen fühlte ich mich in dem Kleid nicht komplett wohl. Natürlich war es traumhaft, aber es tat mir leid, dass viele der anderen Mitarbeiter diese Gelegenheit nicht bekamen. Ich hatte Regina gefragt, ob ich nicht auch besser etwas Schlichtes tragen sollte, aber sie hatte sofort protestiert. Alle Gäste würden in wirklich feiner Garderobe kommen, also hätten wir auch das Recht, uns schick zu machen. Zumal wir dadurch auch eine gewisse Eleganz zeigen würden, die jeder wohl erwartete. Aber ehrlich gesagt glaubte ich, dass Regina einfach nur selbst richtig Lust hatte, sich zu stylen und das wirklich genoss. Also konnte ich das wohl auch tun.
***
Der Abend lief wirklich perfekt. Alle Gäste sahen traumhaft schön aus und strahlten absolute Zufriedenheit aus. Es gab von allen Seiten Lob, besonders für das Essen, was ich sofort an unsere Mitarbeiter des Küchenteams weitergab, als ich kurz bei ihnen vorbeischaute.
Am Anfang hatte es einige Reden gegeben und eine Vorführung einer Tanzgruppe von Jugendlichen. Diese Gruppe war im Rahmen eines Sozialprojekts in unserer Stadt entstanden. An dieses Projekt würden auch Spenden aus den Einnahmen dieses Abends fließen.
Mittlerweile war das Dinner vorbei, ein Drei-Gänge-Menü, wobei jeder für den Hauptgang zwischen vier verschiedenen Sachen hatte wählen können. Das Orchester spielte ruhigere Stücke, darunter auch viele Weihnachtslieder, die in dem klassischen Musikstil wirklich wunderschön klangen. Zum Tanzen war es aber noch zu früh. Da wir uns schon gedacht haben, dass direkt nach dem Essen erst einmal niemand auf die Tanzfläche stürmen würde, versuchten wir die Zeit anders zu überbrücken. Geplant war unter anderem auch die Verlosung einiger Sachpreise und Gutscheine. Die dadurch eingenommenen Gelder würden komplett gespendet werden. Die Lose hatten die Gäste direkt am Eingang erwerben können. Diese waren nun in eine große, durchsichtige Lostrommel gewandert, die auf die Bühne geschoben wurden, als das Orchester eine Pause einlegte. Da ich gerade dabei war, im Backstagebereich das Catering für die Musiker aufzubauen, kümmerte sich jemand anderes um den Ablauf der Ziehung, die niemand anderes als Henri, unser Weihnachtsmann durchführen würde.
Die Auslosung war mittlerweile schon weit fortgeschritten, als ich neben den Bühnenaufgang trat, um doch mal einen Blick zu erhaschen. Dabei fand ich sofort irgendetwas komisch. Ich brauchte eine Weile, um zu verstehen, was mich irritierte. Das Kostüm des Weihnachtsmanns war zwar dasselbe wie sonst auch, aber irgendwie sah dieser trotzdem nicht nach Henri aus. Oder täuschte ich mich etwa?
Ich suchte den Saal nach Regina ab. Ich entdeckte sie am Ende des Raums und beschloss, zu ihr hinzugehen, um sie nach Henri zu fragen. Als ich bei ihr ankam, warf ich einen Blick zurück zur Bühne. Unter der weißen Perücke und dem weißen Bart konnte ich den Mann darunter nicht erkennen, schon gar nicht von dieser Entfernung her. Aber ich war mir sicher, dass es nicht Henri war.
„Wer ist das heute im Weihnachtsmannkostüm?", fragte ich flüsternd.
„Henri hatte keine Zeit, aber er hat einen Ersatz geschickt", sagte Regina.
„Henri konnte nicht?" Ich war total überrascht. Ich hätte nicht gedacht, dass er diese Veranstaltung verpassen würde.
„Er hätte schon gekonnt. Er ist sogar hier. Henri wollte nur nicht als Weihnachtsmann auf die Bühne", sagte Regina und ihr Lächeln wirkte ziemlich geheimnisvoll.
Auf meine Nachfrage, was sie damit meinte, schüttelte sie nur den Kopf und erklärte, das würde ich später schon noch verstehen. Sie wollte mir nicht sagen, was sie damit meinte. Irritiert sah ich wieder zur Bühne und beobachtete, wie der fremde Weihnachtsmann sich gerade winkend verabschiedete. Es wirkte falsch, dass es nicht Henri war. Ich fragte mich, was es wohl damit auf sich hatte. Aber ich musste mich wohl in Geduld üben.
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Die Adventsplanerin - Liebe im Traumzeithof
RomantikLara steht unter Schock: Von einem auf den anderen Tag verliert sie ihren Job und muss zurück in die ungeliebte Kleinstadt ziehen. Dort nimmt sie einen Job als Adventsplanerin im Traumzeithof an, wo sie auf den arroganten Reisereporter Matheo trifft...