Teil 3

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Am Dienstag kam ich erst am späten Vormittag ins Hotel. Ich betrat als erstes die Personalräume, in denen bereits große Betriebsamkeit herrschte. In der Küche wurde das Geschirr vom Frühstück gespült und der Wäscheservice reinigte Laken und Handtücher. Ich wusste, dass oben auf den Fluren noch die letzten Zimmer gesäubert und einige auch für neue Gäste hergerichtet wurden. Vormittags war hier immer am meisten los.

Ich öffnete meinen Spind, zog mir etwas elegantere Schuhe an und warf mir einen schwarzen Blazer über. Ansonsten war ich in Jeans gekommen, da ich zum Glück keinen allzu strengen Dresscode befolgen musste wie ein paar andere Angestellte hier im Hotel. Ich band mir gerade die Schnürsenkel meiner schwarzen Stiefeletten, als zwei Zimmermädchen in den Umkleidebereich kamen.

„Er hat doch tatsächlich die ganze Dekoration vom Tisch geräumt", sagte eine der Frauen. „Ich habe sie auf dem Boden im Kleiderschrank gefunden und wusste nicht, ob ich sie wieder zurückstellen sollte oder nicht. Ich habe es dann gelassen."

„Vielleicht brauchte er den Tisch als Arbeitsfläche und hat die Sachen deswegen weggestellt", mutmaßte ihre Kollegin.

„Oder er fand es einfach zu kitschig."

„Von wem redet ihr?", fragte ich, weil ich neugierig war, welchem Gast unsere Dekoartikel wohl nicht gefielen.

„Von dem Reisereporter."

Erstaunt zog ich die Augenbrauen hoch. Ausgerechnet der Journalist, der für gute Presse sorgen sollte? Okay, vielleicht hatte er wirklich den Platz zum Arbeiten gebraucht. Wenn nicht, wäre es wohl kein gutes Zeichen, wenn er schon von der Zimmerdekoration nicht angetan war. Wobei ich zugeben musste, dass sie wohl schlicht nicht jedem gefiel. Aber normalerweise waren nun einmal alle Gäste, die zu dieser Jahreszeit kamen, von so etwas begeistert und echte Weihnachtsfans. Hoffentlich stellte sich dieser Typ nicht als das komplette Gegenteil heraus.

Ich ging nach oben ins Foyer, um die Aktionen der nächsten Tage anzukündigen. Dafür gab es ein schwarzes Brett, an dem wir die nötigsten Informationen anpinnten. Zusätzlich gab es noch eine Tafel, wie man sie sonst vor Restaurants fand, auf der ich nun versuchte, in Schönschrift die Empfehlung des Tages aufzuschreiben. Nur dass es bei uns nicht ums Essen ging.

„Verzeihen Sie", eine ältere Dame blieb neben mir stehen und schaute neugierig über meine Schulter. „Was können Sie uns denn empfehlen, was mein Mann und ich unternehmen können? Findet heute wieder eine der Stadtführungen statt, von der alle so schwärmen?"

Das Hotel organisierte oftmals ungewöhnliche Touren, die meist auch mit Rollenspielen verbunden waren und bei unseren Gästen sehr gut ankamen. Mich wunderte das immer wieder. Was gab es in unserer Kleinstadt schon alles zu sehen? Aber trotzdem zahlten viele für eine Führung.

„Heute findet so etwas leider nicht statt. Erst morgen wieder", musste ich die Dame enttäuschen. „Aber wir haben einige Reiseführer bei der Rezeption liegen, in denen die schönsten Routen zum Wandern oder entspanntem Spazierengehen beschrieben werden. Außerdem kann ich Ihnen heute Nachmittag die Lesung eines regionalen Autors bei uns empfehlen."

Ich zeigte auf die Tafel, auf der ich gerade diesen Programmpunkt ankündigen wollte. Die Frau lächelte freundlich, bedankte sich für die Information und sagte, vielleicht würde sie später vorbeikommen. Ich hoffte es, denn mit wirklich vielen Zuhörern rechnete ich bei der Lesung nicht. Zwar hatten ein paar Gäste bereits Interesse bekundet, aber ob von außerhalb auch noch Menschen kommen würden, wusste ich nicht. Um den Ticketverkauf für Gäste außerhalb des Hotels hatte sich jemand anderes gekümmert. Allerdings vermutete ich stark, dass der Nachmittag wohl für viele nicht gerade der optimale Zeitpunkt war, um vorbeizuschauen.

„Gans anders? Sie wissen schon, dass man ganz mit z schreibt, oder?", hörte ich eine schnippisch klingende Männerstimme hinter mir. Ich drehte mich um und sah, wie jemand mit hochgezogenen Augenbrauen auf mein eben gestaltetes Tafelbild schaute.

„'Gans anders: Ein verrücktes Weihnachten' ist ein Titel eines Buchs. Und dabei geht es wirklich um eine Gans, also das Tier. Es handelt sich um ein Wortspiel", erklärte ich und bemühte mich dabei, möglichst sachlich zu klingen und mir nicht anmerken zu lassen, wie verärgert ich darüber war, wie besserwisserisch er sich gab – und das ohne Grund.

„Ein ziemlich schlechtes Wortspiel, finden Sie nicht?"

Erwartete dieser Mann etwa wirklich eine Antwort von mir darauf? Ich versuchte in seiner Mimik zu erkennen, was er von mir wollte, aber das gelang mir einfach nicht. Also zuckte ich nur kurz mit den Schultern und murmelte: „Darüber möchte ich nicht urteilen."

„Also stimmen Sie mir zu?"

Das hatte ich doch gar nicht gesagt. Wieso legte er mir einfach solche Worte in den Mund? Ich spürte seinen forschenden Blick auf mir, obwohl ich mich bewusst wieder von ihm abgewandt hatte, um einen Zettel ans Schwarze Brett zu pinnen. Ich fühlte mich wie in einer Prüfung. Wieso machte er mich so nervös?

„Sie dürfen doch eine eigene Meinung vertreten, oder?" Er redete einfach weiter, als ich nicht antwortete. „Oder fühlen Sie sich dem Autor gegenüber in irgendeiner Weise verpflichtet, nur weil er hier im Hotel sein Buch vorstellt?"

„Ich finde einfach, dass alle unterschiedliche Geschmäcker haben. Darüber sollte man nicht urteilen", sagte ich und versuchte nun wieder standhaft dem intensiven Blick aus seinen warmen braunen Augen zu erwidern. „Und ich bin sicher, dass vielen der Titel gefällt und bestimmt auch das komplette Buch. Wieso kommen Sie nicht heute Nachmittag einfach vorbei und machen sich einen Eindruck davon?"

„Ich glaube kaum, dass ich darauf Lust haben werde", sagte er ehrlich, klang dabei aber so despektierlich, dass er mich mit seiner Antwort nur noch wütender machte.

„Kann ich Ihnen vielleicht etwas anderes empfehlen, womit Sie den Tag hier genießen können?", fragte ich mit betont freundlicher Stimme, um seiner Gehässigkeit möglichst locker zu entgegnen. Gleichzeitig wollte ich ihm zeigen, dass ich mich von jemandem wie ihn nicht aus der Ruhe bringen lassen würde.

„Nein danke. Auf Ihre Tipps kann ich erst einmal verzichten."

Mit diesen Worten entfernte sich der Mann und ging auf den Fahrstuhl zu, um vermutlich in sein Zimmer zurückzukehren. Ob er wohl den ganzen Tag dort verbringen wollte oder dort nur etwas vergessen hatte? Immerhin war es gerade erst Mittag. Die wenigsten Gäste hielten sich tagsüber in ihren Zimmern auf. Man machte schließlich keinen Urlaub, um nur dort Zeit zu verbringen. Aber eigentlich konnte mir das ja völlig egal sein. Ich hatte auch noch genug andere Sachen zu tun, als mir Gedanken darüber zu machen, wie einzelne Menschen ihren Tag hier verbrachten. Vor allem nicht so unhöfliche, wie dieser eine bestimmte Gast.

Die Adventsplanerin - Liebe im TraumzeithofWo Geschichten leben. Entdecke jetzt