Wir hatten uns bereits für den Vormittag verabredet. Herr Freisinger wartete im Foyer auf mich. Er hatte sich in Winterkleidung geworfen, verzichtete dabei aber auf jegliche Farbtupfer. Er trug einen schwarzen Mantel und hatte sich einen dunkelblauen Schal locker um den Hals geschlungen. In seinen Händen hielt er eine Mütze. Er knetete sie mit beiden Händen, was den Eindruck hinterließ, dass er vielleicht ein wenig nervös war. Als er mich erblickte, hörte er sofort damit auf. Er setzte ein schiefes Lächeln auf, das seine Augen aber nicht erreichte. Hoffentlich würde das heute keine Vollkatastrophe werden. Sonderlich viel Lust schien er ja nicht zu haben.
„Na, da bin mal gespannt, wo Sie mich heute hinbringen", sagte er nach einer kurzen Begrüßung.
Ich lächelte ihn freundlich an. „Zunächst einmal wollte ich Ihnen zeigen, dass der Traumzeithof nicht einfach nur für seine Gäste da ist, sondern ein wichtiger Teil der gesamten Stadt darstellt."
„Inwiefern das?"
„Unsere Veranstaltungen sind eben nicht nur für Hotelgäste zugänglich. Gleich kommen zum Beispiel zwei Schulklassen und schauen sich den Weihnachtszirkus an. Ich dachte, den müssten Sie auf jeden Fall einmal besucht haben. Und so können Sie auch sehen, was er den Kindern von hier bedeutet."
Zumindest hoffte ich, dass der Besuch genau zu diesem Effekt führen würde. Ohne viele Worte liefen wir zu dem Zirkuszelt, in das bereits eine Gruppe von Kindern strömte. Als wir durch den Eingang schritten und sich Herr Freisinger unschlüssig umsah, war ich mir allerdings nicht mehr so sicher, ob die Aktion wirklich so gut gewählt war.
Wir setzten uns etwas abseits der Kinder hin. Im Zelt war es nicht besonders warm, da auch draußen so langsam niedrigere Temperaturen herrschten. Ich breitete meinen roten Schal etwas weiter über meine Schultern aus.
„Das ist noch ein Grund warum ich die jetzige Zeit nicht mag", sagte der sonst so stille Mann neben mir.
„Wie bitte?" Ich sah ihn verständnislos an.
Er deutete auf meinen Schal. „Es ist einfach viel zu kalt", sagte er. „So etwas kann man doch nicht mögen."
„Also ich finde, es ist gar nicht kalt genug. Der Dezember ist doch schon lange nicht mehr wirklich winterlich. Dabei wäre das doch genau der Monat, in dem es schneien sollte. Zumindest mehr als die paar Flocken, die wir so bekommen. Es wünscht sich doch jeder weiße Weihachten, oder nicht?"
„Na, dann bin ich wohl nicht jeder."
Darauf erwiderte ich nichts mehr. Zum Glück hatte ich auch nicht mehr das Gefühl, unbedingt mit ihm reden zu müssen, da in dem Moment das Licht im Zelt gedimmt wurde und die Vorstellung begann. Ich liebte die Auftritte der Artisten. Mir war vorher gar nicht bewusst gewesen, dass ich diese Zirkusnummern auch als Erwachsene noch faszinierend fand. Und ich hoffte, dass dieses Gefühl auch auf unseren Gast übersprang.
Es gab Zauberer, Bodenakrobaten, Seiltänzer und Trapezkünstler. Alle steckten in wunderschönen Kostümen. Es gab sogar einen Clown, der in diesem Fall gar nicht wie einer aussah, sondern seine lustige und unterhaltsame Show in einem Schneemannkostüm aufführte. Eben passend zum Weihnachtszirkus. Alles wirkte unglaublich festlich. Die Lichter tauchten die Manege in sanfte Töne, mal aus blauem, dann wieder aus violetten oder dunkelroten Farben. Jongleure warfen Kugeln in die Höhe, die wie Schneebälle aussahen und statt Popcorn gab es Lebkuchen und Marzipan. Als die Pause anstand, wies ich meinen Begleiter darauf hin und fragte ihn, ob er etwas von den Süßigkeiten haben wollte. Er lehnte ab.
„Jetzt sagen Sie bloß nicht, dass Sie solche Sachen auch nicht mögen."
„Doch tue ich", sagte er. „Ich will nur gerade nichts davon essen."
Das konnte ich zwar als Antwort akzeptieren, aber bei ihm klang es mal wieder so, als wäre er richtig genervt. Genervt von der Show, von meiner Frage und vielleicht auch von mir persönlich. Ich traute mich fast gar nicht, ihn zu fragen, wie ihm die Vorstellung bislang gefiel. Ich tat es aber trotzdem.
„Ist schon in Ordnung", murmelte er.
Ich verdrehte die Augen, was ich erst bemerkte, als er mich belustigt ansah und amüsiert sagte: „Ich scheine für Sie kein einfacher Fall zu sein, oder?"
Mitnichten. Aber ich hütete meine Zunge. Das konnte ich einem Gast, egal wie nervig und anstrengend er war, schließlich nicht ins Gesicht sagen. Ich kam zum Glück drumherum, überhaupt eine Antwort geben zu müssen, weil in dem Moment wieder das Licht dunkler und die Vorstellung fortgesetzt wurde.
„Es geht weiter", sagte ich völlig überflüssigerweise und überging somit seine Frage. Entweder schien er es nicht zu bemerken, oder er hatte eh keine Antwort erwartet. Er gab keinen Kommentar mehr von sich und das war mir gar nicht mal so unrecht.
Am Ende der Vorstellung warteten wir ab, bis die ganzen Kinder das Zelt zuerst verlassen hatten. Es war schön zu sehen, wie sie lachend und quatschend aus der Arena strömten. Viele hatten ein breites Lächeln auf dem Gesicht, was wiederum mich zum Lächeln brachte. Ich drehte mich zu Herrn Freisinger, um zu sehen, ob sich ein ähnlicher Ausdruck auf seinem Gesicht breitgemacht hatte. Aber der starrte nur auf sein Smartphone, das er in seinen Händen hielt. Mit gerunzelter Stirn sah ich ihm dabei zu, wie er vermutlich irgendwelche Nachrichten tippte. Am liebsten hätte ich ihn gefragt, ob das jetzt wirklich sein musste. Alle anderen schienen noch total verzaubert von dem zu sein, was sie zuvor gesehen hatten, aber er war gedanklich wohl bereits wieder ganz woanders.
„Und wie hat es Ihnen nun insgesamt gefallen?", fragte ich, als wir uns auf den Weg nach draußen machten.
„War okay", sagte er und ich hatte das Gefühl eines Déjà-Vus. So ähnlich zurückhaltend, fast abwertend, war seine Antwort auch schon in der Pause ausgefallen.
Vielleicht hätte ich ihn wirklich nicht in den Zirkus schleppen sollen. So etwas war nun einmal nicht jedermanns Sache, aber ich hatte gewollt, dass er zumindest weiß, was wir in Zusammenarbeit mit den Artisten auf die Beine gestellt hatten. Wenn er nämlich über die Vorweihnachtszeit im Traumzeithof berichten wollte, fand ich, dass das auf jeden Fall dazu gehörte.
„Ich muss jetzt erst einmal woanders hin", sagte ich, als wir draußen angekommen waren. „Aber wie wäre es, wenn wir uns heute Abend noch einmal hier im Park treffen? Es gibt noch einiges, was Sie sehen sollten."
„Das heißt wohl, dass ich Sie so schnell nicht mehr loswerde, oder?"
Der Kerl konnte froh sein, dass er dabei so niedlich grinste und damit die Schärfe aus seinen Worten nahm. Ansonsten hätte ich mich nur fürchterlich aufgeregt und mich noch mehr über ihn geärgert als ohnehin schon.
„Tja, ich fürchte Sie werden sich an meine Gesellschaft gewöhnen müssen", sagte ich.
„Gut, dann werde ich mich eben vollkommen auf Sie einlassen und Ihnen vertrauen müssen", sagte er. „Wozu wollen Sie mich denn dieses Mal überreden?"
„Das werden Sie schon noch früh genug erfahren."
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Die Adventsplanerin - Liebe im Traumzeithof
Storie d'amoreLara steht unter Schock: Von einem auf den anderen Tag verliert sie ihren Job und muss zurück in die ungeliebte Kleinstadt ziehen. Dort nimmt sie einen Job als Adventsplanerin im Traumzeithof an, wo sie auf den arroganten Reisereporter Matheo trifft...