Teil 4

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Etwas erleichtert betrachtete ich die etwa zwei Dutzend Gäste, die am Nachmittag zu der Lesung in die große Bibliothek gekommen waren. Es war auch eine Seniorengruppe aus einem Altenheim der Stadt gekommen, sodass der Raum zum Glück nicht so leer geblieben war, wie ich zwischenzeitlich befürchtet hatte. Die Gäste hatten auf Stühlen und Sofas Platz genommen. Die Location strahlte sowohl Gemütlichkeit wie auch etwas Herrschaftliches aus, denn der Traumzeithof verfügte über ein wunderbar altmodisch eingerichtetes Bibliothekszimmer. An den Wänden standen hohe Regale, die gefüllt waren mit Werken unterschiedlicher Genres und Epochen. Viele Klassiker fanden sich darunter, das meiste waren Spenden, die dem Traumzeithof in all den Jahrzehnten übergeben worden waren. Wer wollte, konnte sich während seines Aufenthalts auch Bücher ausleihen. Einige kamen auch einfach in die Bibliothek, um sich etwas auszuruhen oder eigene mitgebrachte Bücher zu lesen. Im Winter war es hier immer schön warm und Lichter und leise Musik sorgten für eine behagliche Stimmung.

Ich stellte all den Anwesenden den Autor vor, der aus einer Kleinstand stammte, die gar nicht so weit weg lag von unserer. Ich wusste nicht, was er beruflich machte, nur dass das Schreiben ein Zubrot oder vielmehr ein Hobby von ihm war. Ich vermutete nicht, dass ihn wirklich einer der Zuhörer bereits kannte. Umso glücklicher war ich, dass die Lesung dennoch solch einen Anklang fand.

Ich wollte gerade die Tür schließen, damit wir richtig starten konnten, als jemand noch schnell an mir vorbei in den Raum schlüpfte. Ohne seinen schwarzen Mantel hätte ich ihn fast nicht erkannt. Jetzt trug er nämlich keine Jacke, sondern nur eine graue Stoffhose und einen blauen schlichten Pullover. Erstaunt sah ich den Mann an, den ich im Foyer getroffen hatte und der sich so sehr über den Titel des Buchs, das gleich vorgestellt wurde, aufgeregt oder vielmehr lustig gemacht hatte. Was machte er hier?

Er musste meinen überraschten Gesichtsausdruck bemerkt haben, aber er reagierte kaum darauf, senkte nur seinen Kopf leicht zu einem grüßenden Nicken und trat dann blitzschnell in die hinterste Reihe, um sich dort auf einen der noch freien Stühle niederzulassen.

Als ich mich wieder gefangen hatte, schloss ich endlich die Tür und stellte mich anschließend daneben an die Wand, um alle im Raum im Blick behalten zu können. Als der Autor bereits mehrere Minuten dabei war, kurze Passagen vorzustellen, bemerkte ich, dass meine Augen die ganze Zeit über nur auf eine einzige Stelle in der Bibliothek gerichtet waren. Ich ertappte mich selbst dabei, wie ich ausschließlich diesen merkwürdigen Mann anstarrte, um ja keine seiner Bewegungen zu verpassen. Sein Gesicht war unauffällig, seine Nase etwas spitz, seine Kinnpartie ein wenig kantig. Ich fand, das alles passte gut zusammen. Seine braunen Haare waren leicht gelockt. Sie standen nur ein bisschen vom Kopf ab, sodass es nicht zu unordentlich wirkte, aber auch nicht zu langweilig. Er hielt sich die ganze Zeit gerade, sein Rücken war durchgestreckt. Trotzdem sah er locker aus, entspannt.

Ich konnte nicht erklären, warum mein Fokus so sehr auf diesem einen Mann lag. Vielleicht, weil er mich verwirrte. Er schien komplett unterschiedliche Signale zu senden. Erst sagte er, er hätte nicht vor, hier zu erscheinen, um dann kurz vorm Start doch noch aufzukreuzen. Ich fragte mich, wer er wohl war. Er sah noch relativ jung aus, vielleicht war er Ende zwanzig, vielleicht auch schon älter. So ganz genau konnte ich das nicht einschätzen. Aber mir fiel auf, dass ich das sehr gerne erfahren würde.

Irgendwann konnte ich mich doch endlich richtig auf die Lesung konzentrieren, aber was ich so mitbekam, zog mich ehrlicherweise nicht wirklich in den Bann. Vermutlich hatte der Autor versucht, witzig zu klingen, aber mich konnte er mit seiner Art nicht abholen. Ein paar der Gäste lachten manchmal zwischendurch kurz auf, aber ich fragte mich, ob das echt war oder nur aus Höflichkeit passierte. Was mir aber auffiel war, dass sich dieser Mann, der so gar nicht zum Rest des eher älteren Publikums passte, kaum regte und auch keinen Laut von sich gab. Ein Lachen konnte man ihm auf jeden Fall nicht entlocken.

Nach der abschließenden Fragerunde, wurde die Veranstaltung offiziell aufgelöst. Ich stimmte in den herzlichen Applaus ein und bedankte mich bei dem Vortragenden dafür, dass er gekommen war. Einige blieben noch kurz, um persönlich mit dem Autor zu sprechen. Die Seniorengruppe aus der Stadt verabschiedete sich allerdings relativ schnell. Ich stand die ganze Zeit an der Tür, um allen, die gingen ein freundliches Auf Wiedersehen mit auf den Weg zu geben. Dabei wartete ich gespannt darauf, wann endlich der komische Mann an mir vorbeikommen würde.

Er trat aus der Tür, als der erste Schwung abgezogen war. Immerhin war er nicht als Erster gegangen. Ich merkte, wie ich mich darüber freute und ihm das tatsächlich hoch anrechnete. Als er mich erblickte, huschte ein kleines Lächeln über sein Gesicht. Er drehte sich kurz um, als wollte er schauen, ob noch jemand hinter ihm war. Das war aber nicht der Fall. Also blieb er stehen und sagte mit gedämpfter Stimme: „Ich habe mir einen Eindruck verschafft. Genau wie Sie wollten. Mich würde allerdings interessieren, wie Ihre Meinung zu den vorgetragenen Stellen ist."

Ich starrte ihn vermutlich völlig perplex an, denn damit hatte ich nicht gerechnet. Er wollte meine Meinung wissen. Darauf war ich ganz eindeutig nicht vorbereitet gewesen.

„Gut", brachte ich heraus. Meine Stimme klang irgendwie seltsam, überhaupt nicht wie meine eigene.

„Ehrlich?", fragte er und sein Grinsen zeigte mir, dass er mir überhaupt nicht glaubte.

Als ich nichts erwiderte, lachte er kurz laut auf. Es klang trocken, arrogant und doch auf eine komische Weise sympathisch. Wie konnte das sein?

„Also mich hat das alles nicht überzeugt", sagte er nach dem kurzen Lacher. „Ich bin nur Ihnen zuliebe hergekommen, aber kaufen würde ich das Buch auf keinen Fall."

Nach diesen Worten wollte er gehen und als ich das registrierte, zog sich etwas in mir zusammen. Hatte er gerade gesagt, er war nur meinetwegen überhaupt gekommen und hatte sich diese Lesung angetan? Da konnte ich ihn doch nicht einfach gehen lassen.

„Ich fand es auch lächerlich", presste ich hervor. Etwas panisch sah ich durch die Tür in die Bibliothek, um zu checken, ob das irgendwer mitbekommen hatte. Aber der Einzige, der mich gehört hatte, war der Mann, der sich jetzt noch einmal zu mir umdrehte.

„Na endlich rücken Sie mal mit Ihrer Meinung heraus", sagte er, wodurch ich mich plötzlich ganz klein fühlte. Das klang ja, als wäre ich bislang zu feige dafür gewesen. Sofort ärgerte ich mich über mich selbst. Warum hatte ich ihn nicht einfach gehen lassen? Stattdessen bekam ich jetzt so einen dämlichen Kommentar entgegengeschleudert.

„Es freut mich, dass Ihr Geschmack doch nicht so schlecht ist", schob er noch hinterher, bevor er sich endgültig davon machte.

Erst Sekunden später merkte ich, wie ich mit offenem Mund auf die Ecke starrte, hinter der er verschwunden war. Ich schüttelte über mich selbst den Kopf. Ich verstand nicht, warum dieser Kerl mich so durcheinanderbrachte. Ich hoffte, dass ich ihm nicht noch einmal begegnen würde. Die Situationen mit ihm waren einfach nur peinlich und brachten mich nur auf die Palme. Keine Ahnung, warum er so etwas in mir auslöste. Aber lieber würde ich auf weitere Begegnungen verzichten, als ständig nicht zu wissen, was ich auf seine Fragen und Kommentare antworten sollte.

Die Adventsplanerin - Liebe im TraumzeithofWo Geschichten leben. Entdecke jetzt