32. Kapitel - Wahrheit oder Lüge?

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„Ich musste Janine meine Loyalität beweisen. Wenn auch nur eine falsche Person mitbekommen hätte, dass ich es ernst mit dir meine, hätte mich das in große Schwierigkeiten bringen können. Janine war bei dir von Anfang an skeptisch, ich glaube sie hat geahnt, dass ich mehr in dir sehe", versuchte sich Jayden zu erklären, direkt nachdem sich unsere Lippen von einander gelöst hatten. Ich stand noch eine Weile wie benommen vor ihm und musste verstehen, dass das gerade wirklich passiert war. Wir hatten uns tatsächlich noch ein Mal geküsst! Ich musste das wenigstens ansatzweise begreifen, bevor ich in der Lage dazu war ihm zu antworten.

„Aber hättest du es mir nicht im Vertrauen sagen können?"

„Nein, du hättest dich anders verhalten. Deine Angst bei der Entführung wäre nicht echt gewesen, du wärst nicht traurig gewesen, weil du gewusst hättest, dass ich wirklich etwas für dich fühlte. Trevor und Samuel hätten es gemerkt, Janine hätte es gemerkt." Nachdenklich sah ich ihn an. Machte das Sinn was er sagte? Schon irgendwie oder? Ich meine hätte ich meine Angst bei der Entführung so gut vortäuschen können, dass Trevor und Samuel keinen Verdacht geschöpft hätten? Was Jayden mir hier sagte machte Sinn oder? Oder war das mein verstrahltes Herz, das einfach nicht wahrhaben wollte, dass er nicht der Richtige für mich war? Das an ihm eigentlich überhaupt nichts richtig war?

„Tut mir leid, dass du wegen mir so leiden musstest", sagte er und zog mich in eine feste Umarmung. Behutsam begann er mir über den Kopf zu streicheln.

„Ich musste mich jeden Tag aufs Neue davon abhalten, dir zu schreiben, dich abzupassen und dir alles zu erklären. Ich habe mich schrecklich gefühlt." Ich sah zu ihm auf und blickte sehr lange in seine Augen. Ich suchte nach einem Schimmer, nach irgendeiner Unsicherheit in seinen Gesichtszügen, die mir verrieten, dass er mich anlog, dass er nichts davon ernst meinte. Aber ich fand nichts. Da war Nichts! Konnte ich daraus schließen, dass er mir die Wahrheit sagte? Oder wäre das naiv? Jayden gab mir einen Kuss auf die Stirn und strich mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht.

„Ich liebe dich", sagte er und küsste mich wieder. Ich brauchte mir nichts vorzumachen. Obwohl ich immer noch skeptisch und unsicher war, hatte er mich doch längst von seiner Unschuld überzeugt. Und selbst wenn nicht, ich wäre einfach nicht in der Lage gewesen mich von ihm abzuwenden. Ich hätte es nicht zustande gebracht mich umzudrehen und zu gehen. Irgendwo war das traurig. Trotzdem wollte ich nichts mehr dagegen tun. Ich gab mich meinem Verlangen hin und genoss die Geborgenheit, die ich endlich wieder durch seine Nähe spüren durfte. Sein Ich liebe dich erwiderte ich zwar nicht, doch seine Umarmung, in die ich mich immer fester drückte, war Antwort genug.

Ewigkeiten hätte ich noch so dastehen und den Moment genießen können. Als mein Gehirn den ersten Schock und die Überflutung glücklicher Gefühl langsam verarbeitet hatte, wurde ich wieder an Linn erinnert und löste mich aus seiner Umarmung. Sie sollte nicht mitbekommen was passiert war. Auch, wenn sie es nur gut meinte, war ich mir sicher, dass sie mir das vermiesen würde. Das wollte ich mir heute Abend lieber nicht anhören. Von mir aus sollte sie mich morgen noch mal vor ihm warnen. Am besten würde sie sich mit Michelle zusammentun, dann hätte ich zwei Belehrungen mit einem Mal abgehakt. Aber für heute wollte ich in Frieden in meiner Gedankenbubble bleiben und mir einreden, dass mein Leben wieder Sinn machte und, dass ich endlich wieder das schaffen könnte, was ich wollte.

Ich verabschiedete mich schweren Herzens, mit einer lächerlichen Handgeste und ging zum Eingang zurück. Ich hatte ihn mehrfach anflehen müssen, mich nicht zum Eingang zu begleiten und war froh über diese Entscheidung, denn als das grelle Licht bereits meine Augen zu blenden begann, sah ich, wie Linn durch den Eingang trat und bereit war mich zu suchen. Mit wilden Gesten hatte ich schließlich ihre Aufmerksamkeit auf mich ziehen können und sie dazu bringen können, am Eingang auf mich zu warten. Als ich vor sie trat und ihren neugierigen Gesichtsausdruck sah, wurde mir klar, dass ich gar keine Antworten parat hatte. Sie sah so aus, als würde sie vor Neugierde gleich platzen und ich hatte keinen blassen Schimmer was ich ihr erzählen sollte. Ich wollte sie nicht anlügen, aber heute Abend wollte ich ihr auch die Wahrheit nicht erzählen. Dafür hatte ich keine Nerven. Ja, sie alle kannten Jayden vielleicht länger und dadurch vielleicht auch besser als ich, aber sie waren bei keinem unserer Gespräche dabei gewesen und sie konnten nicht einschätzen, was er wie gesagt hatte. Ich hatte mich schon ein Mal von ihm verarschen lassen, ein zweites Mal würde mir das schon nicht passieren oder? Ich würde es vorher merken, richtig?

Ich atmete tief durch und beschloss mir heute Abend nicht mehr die Frage zu stellen, ob mich Jayden möglicher Weise doch angelogen hatte. Egal wie oft ich das Gespräch überdachte, ich würde die richtige Antwort nicht herausfinden.

„Uuuund? Erzähl schon", sagte Linn aufgeregt und riss mich damit aus meinen Überlegungen. Ich lächelte ihr schwach entgegen und versuchte dabei bedrückt auszusehen. Wenn ich ihr freudestrahlend gegenübertreten würde, würde sie wahrscheinlich am ehesten merken, dass ich mich nicht an mein Vorhaben gehalten hatte. Vielleicht sollte ich ihr einfach das erzählen, was sie beruhigen würde?

„Hm, na ja es war wie du gesagt hast", antwortete ich und pokerte darauf, dass sie ihre Vorstellungen preis gab und ich daraufhin nur nicken bräuchte. Aber diesen Gefallen tat sie mir nicht. Stattdessen antwortete sie nur mit einem überraschten: „Echt?"

„Ja, also er hat versucht mich um den Finger zu wickeln, um Informationen aus mir herauszubekommen."

„Und du hast seine Versuche hoffentlich abgewiesen?" Nein absolut nicht.

„Ja, klar. Also es war schwer und zwischendurch war ich mir nicht sicher, ob ich standhaft sein würde, aber als seine Fragen zu auffällig wurden, wurde auch mir klar, was der eigentliche Grund für dieses Treffen war." Gute Antwort. Linn sah mich mitleidig an und ich versuchte einen Gesichtsausdruck zu machen, als wäre ich furchtbar enttäuscht, würde aber gleichzeitig versuchen das mit einem breiten Lächeln zu überspielen. Meine Schauspielkünste mussten gut sein, denn Linn legte ihren Arm um mich und streichelte bemitleidend über meine Schulter.

„Und was hat er dich gefragt?", hakte sie vorsichtig nach. Linn war so besorgt, dass sie Angst hatte diese Frage würde mich in einen Nervenzusammenbruch treiben. Dabei hatte sie die Fähigkeit heikle Fragen genau so zu stellen, dass man seine Fassung trotz allem meistens behielt. Keine Ahnung wie sie es machte, aber manchmal hatte ich das Gefühl, dass sich meine aufregenden Gefühle in ihrer Nähe beruhigten und neutralisierten. Als könnte ich manchmal nur in ihrer Gegenwart klare Gedanken fassen.

Was würde Janine am ehesten über mich wissen wollen?

„Ähm über den Magiekram...also ob ich gut voran komme und ob sich mein Mal schon festgelegt hat... ähm und ob ich mit der weißen Magie klar käme oder... ja also nicht." Linn sah mich misstrauisch an. Ich hatte zu zögernd geantwortet. Das musste schneller kommen! Ich brauchte eine Ausrede, eine Erklärung für meine zögernde Antwort.

„Ähm ich bin einfach noch durcheinander. Also ich weiß, dass ich das Richtige getan habe,..." Hmm, da war ich mir nicht sooo sicher.

„...aber er hat mir gesagt, dass er mich liebt und das ist irgendwie hart. Also ich meine sollte man mit diesen Worten nicht vorsichtig umgehen?" Einen Teil der Wahrheit hatte ich ihr hiermit sogar offenbart. Eigentlich hatte ich ihr sogar einen großen Teil der Wahrheit erzählt. Schließlich hatte ich seine Entschuldigungen am Anfang gut abwehren können. Linn's mitleidiger Blick wurde immer schlimmer.

„Oh nein was? Dieses Arschloch! Er hat keine Vorstellung wie schlimm er ist und was er anrichtet. Aber gut, dass du nicht darauf eingegangen bist...", antwortete sie und hing noch hundert weitere Sätze dran, in denen sie mich darin bestärkte, das Richtige getan zu haben. Gleichzeitig drückte sie mir immer wieder ihr Mitleid aus, ohne dass es zu viel wurde, wenn ich wirklich das erlebt hätte, was ich ihr erzählt hatte. Aber langsam wurde es mir unangenehm. Eigentlich war es ihr gegenüber unfair. Ich hätte ihr die Wahrheit erzählen können und müssen, aber ich hatte es aus Bequemlichkeit einfach nicht gewollt. Langsam begann ich mich schlecht zu fühlen. Ich hatte Linn angelogen, obwohl sie die Letzte war, bei der es nötig gewesen wäre. Linn verstand doch alles, sie hatte für alles Verständnis und sie war nie sauer oder enttäuscht. Jetzt, wo ich so genauer darüber nachdachte, fand ich es sogar unheimlich, wie gut und überzeugend ich gelogen hatte. Ich war mir gar nicht darüber bewusst gewesen, dass ich das so gut drauf hatte. In manchen Situation war das vielleicht eine gute Sache, aber ich mochte es trotzdem nicht. Ich hatte nie viel gelogen und vor allem nicht so schwerwiegend und Freunde hatte ich überhaupt noch nie so richtig angelogen. Das passte nicht zu mir, das war nicht ich, das war eine ganz seltsame Version von mir, die ich überhaupt nicht mochte.

Zufälle gibt es nicht! (2. Teil)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt