64. Kapitel - Ein weiteres Ritual

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Connor und ich saßen vor dem Tagebuch meiner Grandma und starrten es an. Die Angst in mir wurde immer größer. Was, wenn ich die Seiten immer noch nicht lesen könnte? Mein Gefühl sagte mir, dass uns jetzt nur noch das Buch weiterhelfen konnte. Nur sagte mir mein Gefühl auch, dass wir es nicht so leicht lesen könnten. Die Frage war, ob das tatsächlich mein Bauchgefühl war oder einfach nur Angst.

Ich hatte die Zeit am Wochenende unter Anderem dafür genutzt, um in den Büchern zu lesen, die ich mir mit Connor zusammen ausgeliehen hatte. Dabei hatte ich herausgefunden, dass man das Bauchgefühl, also die eigene Intuition, häufig mit eigenen Glaubenssätzen und Gefühlen verwechselte. Die eigene Intuition tauchte immer wie aus dem Nichts auf und wir hatten gelernt uns über sie hinwegzusetzen. Denn häufig trat sie auf, wenn man sie gerade nicht gebrauchen konnte. Sie warnte einen vor jedem, der einem Schlechtes wollte oder schlecht für einen war. Wenn man also am Familientisch saß und die Tante kam, die man sowieso nie mochte, weil sie veraltete Denkweisen hatte und es sich zum Ziel gemacht hatte, einen runterzumachen, dann schlug die Intuition Alarm und wollte einen dazu bringen aufzustehen und zu gehen, eben weil diese Tante schlecht für einen war. Da sie aber zur Familie gehörte, hatte man gelernt seine Intuition zu ignorieren und sitzen zu bleiben, denn alles Andere wäre unhöflich. Ich hatte zwar keine unfreundliche Tante, dafür aber genug Situationen erlebt, in denen ich nur geblieben war, weil abhauen unhöflich gewesen wäre. Das beste Beispiel dafür war Janine. Wie oft hatte sie mich in Verlegenheit gebracht und mich unwohl fühlen lassen. Da ich aber kein einziges Mal hatte gehen können, war ich jedes Mal da geblieben und hatte meine Intuition damit ignoriert. Das Gleiche galt für Jayden. Bei ihm hatte ich meine Intuition so richtig ignoriert und ich hatte mich über sie hinweggesetzt, weil ich die Hoffnung gehabt hatte, sie würde sich irren.

Und, weil ich das in der Vergangenheit bei vielen Leuten, viel zu häufig gemacht hatte, musste ich zusehen, dass ich meine Intuition wieder stärker fühlte und auf sie hörte. Dabei war es wichtig zwischen Intuition und Gefühlen oder Ängsten zu unterscheiden. Während die Intuition häufig wirklich über den Bauch zu spüren ist und meistens plötzlich auftaucht, entstehen Ängste und Gefühle im Herzen und mit der Zeit.

Das nächste Problem mit der Intuition ist das Gedankenchaos. Es ist mir schon oft passiert, dass ich im Test beispielsweise eine Antwort ankreuzen wollte, weil diese mir als erstes in den Sinn gekommen ist. Wenn ich dann aber zu lange darüber nachgedacht habe, habe ich meistens anders entschieden. Vielleicht, weil mir die Antwort unwahrscheinlich vorkam oder weil ich schon drei Mal hintereinander A angekreuzt hatte. Am Ende hatte sich aber immer herausgestellt, dass mein erster Gedanken richtig gewesen war. Man muss also auch noch aufpassen, dass man seine Intuition nicht verfälscht.

Jetzt gerade war ich mir sicher, dass es meine Intuition war, die mir sagte, dass wir unsere Antworten nur in dem Tagebuch meiner Grandma finden würden. Es gab keinen konkreten Grund, warum das so sein sollte und wenn ich zu lange darüber nachdachte, merkte ich, wie ich anfing diese Überlegung schon wieder zu hinterfragen. Im Gegensatz dazu war es wahrscheinlich meine Angst, die mir einreden wollte, dass die Möglichkeit bestand, dass wir das Buch wieder ein Mal nicht lesen könnten.

„Willst du es nicht aufschlagen?", fragte Connor, nachdem ich bestimmt zehn Minuten nur schweigend vor dem Buch gesessen und es angestarrt hatte.

„Ja, aber ich habe Angst, dass wir die Seiten wieder nicht lesen können", gab ich zu und hoffte darauf, dass mir Connor eine Antwort geben würde, die mir versicherte, dass wir die Seiten lesen könnten. Aber diese Art der Antwort konnte er mir nicht mehr geben, denn in diesem Moment kam Linn reingeplatzt und fragte verwundert, warum wir grübelnd vor einem Buch, auf dem Boden saßen.

Connor und ich erklärten Linn was wir in dem Keller mit Janine erlebt hatten. Ich erzählte ihr sogar von dem Traum mit Jayden. Connor wusste es sowieso und auch Linn war klar, dass ich Jayden immer noch nicht ganz vergessen hatte. Als ich Linn schließlich erklärte, warum uns die Forschung von Janine solche Angst einjagte, setzte sie sich zu uns und hörte aufmerksam zu.

Zufälle gibt es nicht! (2. Teil)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt