Im Thronsaal war es mucksmäuschenstill. Selbst das Atmen hatten manche vergessen. Sämtliche Augenpaare waren auf die mächtige Flügeltür gerichtet, aus der gähnende Schwärze in die Halle zu wabern schien. Vor den Fenstern war die Nacht hereingebrochen, in der Halle war es bedrückend geworden. Schatten krochen aus den Ecken, schwollen weiter an, näherten sich den in Kerzenschein getauchten Tische und Tafeln wie hungrige Wölfe.
Von der steinernen Empore ertönte ein Ruf, der Saga durch Mark und Bein ging. „Zu mir, Saga. Auf deinen Platz!"
Wie von der Tarantel gestochen sprang sie auf, ließ den Löffel fallen und eilte nach vorne zu ihrem Vater. Mit weichen Knien setzte sie sich auf den gepolsterten Sitz neben ihren Vater und versuchte sich die Angst nicht ansehen zu lassen. Ein flüchtiger Blick in die Menge verriet ihr, dass es ihren Untertanen ähnlich ging.
Vom gewürzten Wein ein wenig benebelt, krallte Saga sich ins Sitzpolster und rang mit dem aufkommenden Schwindel, der sie immer dann heimsuchte, wenn sie in Beklemmung geriet.
Ihr ganz persönlicher Quälgeist, hatte sie es immer genannt.
Ein erneuter Ruf des Pagen an der Tür holte sie zurück in die Gegenwart. Saga atmete tief durch, so wie es der Leibarzt ihr beigebracht hatte und blickte auf.
Ein Mann stand vor ihr.
Unbemerkt und lautlos war er vor sie getreten.
„Mein verehrter Herr Orpheus." Begann der Herzog an ihrer Seite mit erstaunlich gefasster Stimme. „Willkommen in Glasgarten. Willkommen in meinem bescheidenen Herzogtum."
Das Erste, was Saga am Fremden auffiel waren seine ungleichen Augen. Das Linke blau wie der Ozean, das Rechte farblos und klar wie frisches Gletscherwasser. Der Blick des Fremden war starr auf sie gerichtet, ja beinahe reptilienhaft und schien im Halbdunkeln regelrecht zu leuchten.
Das Zweite, was der Prinzessin ins Auge fiel war die abnorme Körpergröße des Mannes. Selbst Apollinaris, der Größte der Leibgarde, wirkte im Vergleich zum Fremden klein.
Die Geschichten sind wahr, schoss es ihr durch den Kopf, der Beweis stand vor ihr und durchbohrte sie derart aufdringlich mit seinen sonderbaren Augen, dass ihr übel wurde.
Saga senkte den Blick auf ihre Hände. Zählte innerlich auf zehn und hoffte inständig, dass diese Audienz bald enden würde. Die Luft im Saal wurde ihr drückend. Die steinernen Wände schienen immer näher zu kommen. Es war ihr, als ginge von dem Mann eine Kraft aus, die sie mit unsichtbaren Fingern zu umschließen drohte.
Aus dem Augenwinkel sah Saga, wie der Fremde eine Verbeugung andeutete. Und kurz darauf erfüllte eine seidig-dunkle Stimme den Saal. „Meine Familie und ich danken Eurer königlichen Hoheit für Eure Gastfreundschaft."
Die Stimme des Fremden erinnerte Saga an das Schnurren einer Großkatze. Sie linste unter ihren Wimpern hervor und erstarrte, als sie erneut dem ungleichen Augenpaar begegnete. Instinktiv und ohne nachzudenken, entfuhr ihr ein ärgerliches: „Was starren Sie denn so?"
Noch im selben Augenblick bereute sie gesprochen zu haben. Entsetzt hob sie die Hand vor den Mund und sah hilfesuchend nach ihrem Vater. Dieser hatte sämtliche Farbe im Gesicht verloren. Durch die Tischreihen ging ein nervöses Raunen.
„Eine legitime Frage, Prinzessin", in der Stimme des Fremden schwang der Anflug eines Lachens mit, „vergeben Sie mir meine Neugierde, aber Sie sehen nicht im Geringsten so aus wie auf den Gemälden, die man mir von Ihnen schicken ließ."
Saga blieb vor entsetzten die Luft weg.
„Was mein eselsgleicher Cousin sagen wollte", ertönte eine weibliche Stimme aus einer schattigen Ecke, „ist, dass Eure Hoheit in Persona noch viel schöner ist als auf den Bildern." Eine Frau trat durch die Flügeltür. Im gelben Schein der Kerzen leuchteten ihre Augen wie flüssiges Gold. Der Rücken kerzengerade, das Kinn erhoben, trat sie an die Seite des Fremden und machte einen Knicks vor dem Herzog. „Eure königliche Hoheit."
„Sie müssen Frau Galatea sein", erwiderte der Herzog und versuchte ein schmales Lächeln. Auch ihm schienen die leuchtenden Augen Unwohlsein zu bereiten. „Tochter, um uns allen weitere Peinlichkeiten zu ersparen wäre es wohl besser, wenn du jetzt gehst. Ich werde die Einzelheiten mit den verehrten Herrschaften klären."
„Ja, Vater." Erleichtert sprang Saga vom Stuhl auf und eilte die Stufen der Empore hinunter. Für den Bruchteil einer Sekunde befand sie sich in unmittelbarer Nähe zu den Fremden. Ihr stockte der Atem. Sie nickte den in dunklen Reisemäntel gehüllten Halbgöttern kurz zu, knickste vor ihrem Vater und taumelte mit dem Gefühl zur Tür hinaus, die Hälfte ihres Körpers im Thronsaal zurückgelassen zu haben.
Der Hauptmann der Garde ging ihr nach und leistete ihr diese Nacht Gesellschaft. Wie versprochen.
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Der Vampir der Herzogin
Fantasy...Die Vereinigung von Mann und Frau sei das Natürlichste der Welt, so die Gewissheit in Blava. Wie aber verhielt es sich, wenn eine der Parteien ein unsterblicher Gott war?... Schwere Zeiten brechen für das Herzogtum Blava an. Von allen Seiten rück...