6. Kapitel

120 13 0
                                    

Zielstrebigen Schrittes marschierte Saga bei Anbruch der Dämmerung zu den Wiesenhügeln außerhalb der Stadtmauern hinaus. Auf dessen sanften Anhöhen zeichnete sich das Grundgerüst von Frau Galateas Residenz in gespenstischer Waldesruhe vom schwarzen Himmel ab.

Ein Stückchen weiter entfernt im Schatten einer prächtigen Eiche lag ihr Zelt in goldenem Schein getaucht. Hoch, geräumig, von Seidenplanen gefertigt und mit zwei Wachen vor dem Eingang bestückt, war das Zelt eines Kaisers würdig.

Wortlos offenbarte Saga beim Herantreten ihr Gesicht und wurde von den Soldaten augenblicklich eingelassen.

„Eure königliche Hoheit, aus welchem Grund beehren Sie mich um diese späte Stunde mit Ihrer Gegenwart?" Frau Galatea saß mit dem Rücken zum Eingang gekehrt auf einem Schemel und wusch sich das hüfthohe Haar in Jasminwasser. Abgesehen von einem durchscheinenden Crêpestoff, der ihre Hüfte umschlang, war sie gänzlich nackt.

„Edle Mutter, ich fürchte mir bleibt keine Zeit mehr... ich... die Verbrennungen..." Sagas Blick fiel auf einen Wassertropfen, der an ihrer Brustwarze tanzte und im Schein des Kaminfeuers funkelte wie die Sterne jenseits der Zeltdecke.

„Wie geht es meinem Cousin?" Fragte Galatea, ohne auf das Gestammel der Herzogin einzugehen. „Erholt er sich gut? Wird der Faun auch ordentlich ausgepresst? Jeder Tropfen Blut ist notwendig für die Genesung meines geliebten Orpheus'."

Ein jäher Temperaturwechsel legte sich über das Zelt. Das wärmende Feuer erreichte Saga nicht länger, nassfeuchte Kälte legte sich über sie.

Sie gibt mir die Schuld an Orpheus Verbrennungen, schoss es Saga durch den Kopf. Sie zürnt mir. Die Erkenntnis traf sie wie ein Faustschlag. Sie ließ sich auf einem nahegelegenen Stuhl nieder und suchte fieberhaft nach den passenden Worten. Auf der Unterlippe kauend, begegnete sie Galateas bohrendem Blick durch den Spiegel. Ihre zitronengelben Augen sprühten Funken, brannten sich tief in ihr Seelenfleisch.

„Hören Sie," versuchte Saga es nach einer Weile mit einem diplomatischen Lächeln, „mein Ehemann befindet sich irgendwo zwischen dieser und der Anderswelt. Die Zeit wird zeigen, zu welchem Ort er sich mehr hingezogen fühlt. Aber wem ich helfen kann und wer meine Hilfe jetzt mehr denn je benötigt ist Apollinaris... er liegt auf der Schwelle zum Tod. Ich bin gekommen, um Sie nach Ihrem Sekret zu bitten, Galatea. Helfen Sie ihm und ich werde Sie..." Weiter kam sie nicht. Mit der Kraft einer Explosion flog ihr das Jasminwasserbecken um die Ohren. In letzter Sekunde gelang es Saga sich zu ducken und dem Geschoss auszuweichen. Wassertropfen schlugen ihr ins Gesicht, sie blinzelte und starrte ungläubig Galatea an, die ihr breitbeinig gegenüberstand. Das Hüfttuch war beim Aufsprung heruntergefallen, das goldene Haar klebte ihr nass und ungekämmt im wutverzerrten Gesicht.

Saga wollte empört aufschreien, eine scharfe Zurechtweisung erteilen aber Letzten Endes reiche es bloß für ein verwirrtes Keuchen. Zorn und Verachtung verdunkelten Galateas Miene, ihr Mund zu einem Fauchen verzogen, spie sie: „Elende Hure! Mein... dein Mann liegt dem Tode näher als dem Leben in der Dunkelheit eines fremden Hauses und du scherst dich einen Dreck darum! Du kümmerst dich um nichts als dich selbst und diesen Narr von einem Hitzkopf! Dass du es wagst hierherzukommen, meine Schwelle zu übertreten und mein Haus mit solch einer blanken Nichtachtung zu entehren! Töten sollte ich dich dafür."

Ihre Stimme hatte sich zu einem Fauchen verwandelnd. Sie bleckte die spitzen Zähne, ihr Mund wurde groß wie ein Schlund, als ob ihr Unterkiefer sich ähnlich einer Schlange aushängen konnte.

„Du bist den Boden nicht wert, über den Orpheus hinweg geht. Ich habe ihn gewarnt, ihm von der närrischen Idee abgeraten einen Menschen zu heiraten, aber er wollte nicht hören... wollte die Lösung mit Eintracht finden und nicht mit Blutvergießen. Wo doch die Unterwerfung dieses kraftlosen Reiches ein Leichtes gewesen wäre..."

Im flackernden Feuerschein wuchs ihr Schatten an der Zeltwand ins Unermessliche, er füllte den Raum aus, erstreckte sich bald bis zur Decke.

Saga wich zum Zelteingang zurück. Täuschten sie ihre Augen oder wuchs die Frau mit jeder verstreichenden Sekunde mehr? Bald schon musste sie gebückt stehen, um mit dem Kopf nicht gegen die Zeltdecke zu stoßen.

Den Mund trocken, den Tränen nahe, öffnete Saga die zitternden Lippen um zu sprechen. „Frau Galatea, es lag nicht in meiner Absicht Sie oder Herrn Orpheus zu beleidigen. Ich habe abgewogen, wer von den beiden in diesem Augenblick mehr Hilfe benötigt und dabei fiel meine Entscheidung auf Apollinaris. Er ist ein Mensch... sterblich. Orpheus ist das nicht, die kalten Klauen des Todes können ihm nichts anhaben. Bitte... verachten Sie mich so viel zu möchten aber helfen Sie meinem Freund."

Der nackte Leib der Göttin schimmerte im Schein des Feuers wie das alabasterne Ebenbild im goldenen Hain. So schnell wie der Ausbruch gekommen war, so schnell verrauchte die Wut in ihren Augen wieder. Sie setzte sich zurück auf den Schemel, ihre Körpergröße ließ den Hocker viel zu klein für sie wirken. Galatea nahm einen Kamm in die Hand und fuhr damit durch ihr feuchtes Haar.

„Das werde ich nicht, Herzogin. Die Belange deines Menschenfreunds interessieren mich nicht im Mindesten. Sorge dafür, dass du dich zu der Ehefrau entwickelst die Orpheus verdient hat und ich werde dir deine Schande eines Tages vielleicht verzeihen... tust du das nicht, so werde ich eigenhändig für deinen Untergang sorgen."

Ein Kraftfeld ging von ihr aus, das Saga in den Bann zog. Sie konnte sich nicht rühren, wie angewurzelt stand sie da. „Was für eine Gattin wünschen Sie sich für Ihren Cousin?" Hauchte sie, ein Schluchzen schnürte ihr die Kehle zu. „Was muss ich tun, um Ihnen und ihm gerecht zu werden?" Heiße Tränen verschleierten ihr die Sicht, dennoch bemerkte sie eine Regung im ausdruckslosen Gesicht der Göttin. Sie wandte sich zu ihr um, ihr runder Busen glühte im Schummerlicht gleich Mond und Sonne. Der muskelbespannten Bauch verlief südlich in fruchtbarem Schatten.

„Mein Cousin verdient eine Gattin die ihn schätzt, der wahrhaftig etwas an ihm liegt. Dir bedeutet er nichts, du hältst ihn aus um deine Feinde in Schach zu halten aber seine Seele berührt dich nicht." Sprach Galatea kalt.

Saga senkte den Kopf, folgte mit den Augen den Webstrukturen des Teppichs. „Sie haben recht, Galatea, er bedeutet mir nichts..."

„Und das wird er nicht, solange Sie sich auf einen Mann versteifen, der Lug und Trug anwendet um sich Ihre Gunst zu erschleichen... Herzogin." Fügte Frau Galatea mit Spott hinzu. Eine zornerhitzte Röte schimmerte auf ihrem blassen Gesicht. Ihre scharfkantigen Wangenknochen ähnelten denen von Orpheus so, dass Saga unweigerlich errötete. „Ich liebe ihn." Hauchte sie hilflos. „Ist es denn gerecht mich für meine Gefühle zu bestrafen?"

Frau Galatea zupfte einen Morgenmantel aus schwerem Samt aus der Kleidertruhe, warf ihn sich über und befestigte ihn über ihrer Brust mit einer goldenen Fibel. Mit zusammengezogenen Brauen setzte sie an: „Saga, mein Zorn richtet sich nicht an Sie, sondern an Ihr unreifes, egoistisches Wesen. Arbeiten Sie an sich selbst, so wie ein Steinmetz geduldig Quader um Quader aufeinanderschichtet und eines Tages ein Monument von absoluter Herrlichkeit erschafft. Die Liebe ist Ihnen fremd, eine Besucherin, die Ihre Türschwelle noch nie betreten hat. Was Sie als Liebe beschreiben hört sich für mich an wie weißer Nebel. Ein Rauchgebilde, dass Ihnen vorgaukelt greifbar zu sein." Sie hielt kurz inne, begutachtete sich im Spiegel und fuhr dann mit weicherer Stimme fort: „Ich kenne die Liebe. Sie ist in Gewänder aus Schlichtheit und Ausgeglichenheit gekleidet. Wenn sie Ihnen begegnet, werden Sie sie augenblicklich erkennen. Sie wird nicht mit der Kraft eines Donnerschlags durch Ihre Tür stürzen. Sie wird zart anklopfen, zögerlich einen Blick auf Sie werfen und dann... dann wird sie Teil Ihres Leibes werden. Leicht wie der Flügelschlag eines Schmetterlings ist sie und dennoch besitzt sie die Macht ganze Völker auszulöschen, wenn es sein muss." Frau Galatea endete, erhob sich von ihrem Hocker und trat an Saga heran. „Ihr Herz schlägt schneller in Gegenwart von Orpheus, ich kann es hören." Ihre goldenen Augen fixierten sie unnachgiebig. „Geschieht dies eines Tages aus Freude und nicht aus Angst? Das wird sich zeigen... und jetzt beehren Sie mich nicht länger mit Ihrer Anwesenheit, Herzogin, ich habe genug Besuch gehabt und möchte mich ausruhen."

Saga wich ihrem bohrenden Blick aus, starrte auf ihre verschmutzten Stiefel. „Sie werden ihm also nicht helfen, edle Mutter?" Fragte sie ein letztes Mal.

„Nein, Saga, das werde ich nicht."

Die Herzogin seufzte, Tränen rannen ihre blassen Wangen herab. Sie verließ das Zelt und folgte den mondbeschienenen Kiesweg zurück zur Kutsche, die unweit der Stadttore auf sie wartete.

Die Gestalt, aus Dunkelheit geformt, die sie vom Waldesrand aus beobachtete, bemerkte Saga nicht. 

Der Vampir der HerzoginWo Geschichten leben. Entdecke jetzt