9. Kapitel

493 44 30
                                    

Die Rückkehr zum herzoglichen Landsitz gestaltete sich schwierig. Bei Tagesanbruch war Saga von ihrem Gefolgschaft auf eine Trage aus zusammengebundenen Birkenästen geschnürt und von zwei der stärksten Soldaten geschultert worden.

Valena ging voraus, Apollinaris bildete das Schlusslicht. Der beschwerliche Weg durchs meterhohe Dickicht dauerte das Dreifache, als die Hinreise über die Waldpfade gewesen war. Und dennoch bestand Saga darauf diesen Weg zu nehmen. Das Risiko von einer patrouillierenden Stadtwache entdeckt und aufgegriffen zu werden war auf den befestigten Straßen viel zu hoch. Sie hielt an ihrem Plan fest von ihren Gefährten ungesehen in ihre Privaträume gebracht und dort von einem vertrauenswürdigem Arzt behandelt zu werden. Still und unbemerkt; niemand würde je davon erfahren.

Dem Herzog würde sie von einem der Dienern ausrichten lassen, sie hätte Bauchschmerzen und würde sich für einige Tage entschuldigen. Als Mann würde ihr Vater keine weiteren Fragen stellen.

Die Sonne stand schon weit im Westen als die Jagdpartie östlich des Jagdschlosses den Waldrand erreichte. Im Schutz der Bäume stolperten sie über Wurzeln und Steine, stießen die Fersen tief in den vereisten Morast, um Halt zu finden. Um die Prinzessin auf ihren Schultern zu stabilisieren. Dieser entging nicht, wie sehr die Arme der Soldaten unter ihrer Last zitterten und krampften. Wie sie die Trage anhoben, wann immer sie ein Dornengebüsch durchquerten, so dass die Prinzessin außer Reichweite der Ranken war. Saga neigte den Kopf zur Seite und musterte die müden Gesichter, die allesamt zerkratzt und blutbefleckt waren. Starre Totenmasken, die im aufkommenden Zwielicht dämonischen Fratzen glichen.

Sie würde sich diese Gesichter gut merken, die stille Ergebenheit in ihren Mienen niemals vergessen.

Fräulein Valena, die Tochter des in Ungnade gefallenen Graf Valkis. Herr Edwin, Ritter der roten Rose. Juri und Belltor, die wackeren Soldaten, die sie ohne ein Wort des Klagens trugen. Und zu guter Letzt Apollinaris, ihr Beschützer.

Sie starrte hinauf in den fortwährend dunkler werdenden Himmel und prägte sich ihre Namen ein. Folgte den schwarzen Wolken mit den Augen auf ihren endlosen Bahnen übers Firmament.

„Weshalb..." Eine bleierne Müdigkeit schnürte Saga die Stimme ab. Sie blinzelte, ihre Augenlider wurden schwer. Sie gähnte und versuchte es erneut: „Weshalb habt ihr mich nicht im Wald sterben lassen?"

Die Antwort hörte sie nicht mehr. Ein allgewaltiger Schlaf übermannte sie und zog sie mit sich in die Schwärze.

Saga erwachte bei gleißendem Sonnenlicht. Sie lag in ihrem Bett, die Samtvorhänge zurückgebunden und die mannshohen Flügelfenster auf den Balkon hin geöffnet. Weiter hinten im Saal, dort wo der Raumtrenner die kupferne Badewanne verbarg, hantierte ihre Kammerzofe mit einem vollen Wassereimer.

„Beatrix? Ist es bereits Tag? Wie lange habe ich geschlafen?" Verlangte sie mit heiserer Stimme zu wissen.

Ohne von der Arbeit aufzublicken, antwortete diese: „Über zwanzig Stunden. Es ist fast Nachmittag, Prinzessin. Sie sind gestern Abend von einer Horde schlammverschmierter Soldaten durch die Dienstbotentür hereingebracht und ins Bett gelegt worden. Ich war gerade damit beschäftigt Ihre weißen Unterhemden zu glätten und musste hoch und heilig schwören niemandem davon zu erzählen. Dann haben sie sich davongemacht und ich musste die Nacht an Ihrem Bett verbringen, alle paar Stunden Ihre Verbände wechseln und die blutigen Stoffe im Kamin verbrennen."

Saga richtete sich in den Kissen auf. Das Zimmer drehte sich. Ihr war als wäre ein Pferd über sie hinweggetrampelt. „Nun, dann entschuldige ich mich für die Unannehmlichkeit, die ich dir mit meinem Bluten zugefügt habe. Nimm dir den Rest des Tags frei und schlafe dich aus."

Ein glühend heißer Schmerz hämmerte gegen ihre Schädeldecke. Schwarze Punkte surrten vor ihrem Gesichtsfeld. Ihr war trotz den dicken Daunendecken eiskalt.

Der Vampir der HerzoginWo Geschichten leben. Entdecke jetzt