3. Kapitel

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Saga brauchte einen Freund an ihrer Seite. Und Apollinaris war das, was einem Freund am nächsten kam. Seit sie ihm letzten Herbst in den Stallungen begegnet war - splitterfasernackt, das Gesicht zwischen den Beinen ihrer obersten Hofdame - hatte sie ein gewisses Interesse an ihm gefunden. Am folgenden Abend hatte sie ihn in ihr Bett genommen und sich von ihm zeigen lassen, was diese Zunge so alles konnte.

Ein warmes Ziehen füllte ihre Leibesmitte aus, als sie daran dachte. Es war das erste Mal gewesen, dass sie einen Mann in all seiner entblößten Pracht gesehen hatte.

Ihre Wangen wurden ganz heiß, als sie sich an seine Größe erinnerte und wie unbeholfen sie ihn berührt hatte. Wie nachhaltig sein schräges, verständnisvolles Grinsen sie verunsichert hatte.

Die Prinzessin schlug die Beine übereinander und ließ den Blick über die Leute am Tisch schweifen. Schräg gegenüber saß Walburga, die oberste Hofdame. Diese nippte gelangweilt an ihrem Wein und schenkte ihr ein schmales Lächeln, als sie ihr Starren bemerkte. Daneben langte die ehemalige Mätresse des Herzogs ordentlich zu. Schmatzend wie ein Schwein vertilgte sie Berge von Würste und Pasteten. Seit der Herzog sie vor fünf Jahren für eine Jüngere aus seinen Diensten entlassen hatte, war sie obszön dick geworden. Saga fand ja, dass man eine ganze Familie mit dem Essen versorgen könnte, welches die Alte sich tagtäglich in den Rachen schob. Unweigerlich glitt ihr Blick zu der Konkurrenz. Die Geliebte ihres Vaters saß zu ihrer Linken. Weniger, weil sie sich nahestanden, sondern weil es ihrer Stellung gebührte. Die Konkubine des Herzogs war nicht viel älter als Saga selbst. Das kastanienbraune Haar gewellt und offen, die dunklen Augen wachsam, war sie nicht das, was man gemeinhin als schön bezeichnete. Und dennoch konnte Saga das Interesse ihres Vaters an ihr gut nachvollziehen.

Die Dame besaß Grips. Hatte einen scharfen Verstand und eine schnelle Auffassungsgabe. Alles was eine Person benötigte, um als Hofspitzel etwas zu taugen. So hatte es ganz praktische Gründe, weshalb der Herzog sie jede Nacht zu sich ins Bett riefen ließ. Nach dem körperlichen Vergnügen fütterte die Geliebte ihn mit Informationen über sämtliche Geschehnissen des Tages und flüsterte ihm ins Ohr, welche Höflinge Intrigen gegen ihn spannen.

Etwas in der Prinzessin sagte ihr, dass es von Vorteil sein könnte sie nach dem Ableben des Herzogs weiterhin in der Nähe zu behalten.

Zögerlich tat sie es Apollinaris gleich und begann zu essen. Das mulmige Gefühl in ihrem Bauch war zu einer Anspannung herangewachsen, die an sämtlichen Nerven in ihrem Körper zerrte. Die Finger um den Löffel verkrampft - den Kiefer so fest aufeinandergepresst, dass sie kaum essen konnte - wartete Saga auf die Ankunft der Besucher. Alle paar Minuten wanderte ihr Blick hinaus durch die mannshohen Buntglasfenster zur Sonnenuhr, die draußen im Innenhof auf einem steinernen Podest ruhte. Der Zenit war schon lange vorbei. Nicht mehr lange, dann würde die Abenddämmerung einsetzten.

Ein jäher Lärm brandete auf, riss sie aus ihren nervösen Grübeleien.

Saga benötigte einen Moment, um zu realisieren, dass das Stimmengewirr um sie herum ihr gewidmet war. Sämtliche Augenpaare am Tisch waren auf sie gerichtet. Die Geliebte ihres Vaters warf ihr ein aufmunterndes Lächeln zu, worauf hin Saga erstarrte. „Pardon?" Sprach sie, bemüht sich ihre Verwirrung nicht anmerken zu lassen.

„Man möchte wissen, ob Ihre königliche Hoheit der bevorstehenden Ankunft mit den... den besonderen Gästen zuversichtlich entgegenblickt." Zischte Apollinaris ihr ins Ohr. Sein warmer Atem kitzelte sie.

„Oh!" Entfuhr es ihr. „Nun, ja natürlich, natürlich... voller Zuversicht." Sie räusperte sich, nahm einen tiefen Schluck vom Weinbecher und warf den Höflingen einen wachsamen Blick zu. „Weitere Fragen?" Wollte sie kampflustig wissen, das spitze Kinn vorgeschoben. Vom vorderen Teil des Thronsaals drang die aufgebrachte Stimme des Herzogs zu ihr an die Tafel. Wie immer, wenn etwas nicht haargenau nach seinen Vorstellungen verlief, steigerte er sich in einen seiner berüchtigten Wutanfälle. Üblicherweise würde sie aufspringen und zu ihm gehen, ihn beruhigen und sich bei den Bittstellern und Beratern für ihn entschuldigen. Dieses Mal aber rührte sie sich nicht. Saga blendete die heisere Stimme ihres Vaters aus und konzentrierte sich ganz auf ihre Untertanen. „Nun?" Verlangte sie zu wissen. Apollinaris vergrub schweigend das Gesicht im Weinbecher. Cecilia, die Geliebte des Herzogs, lächelte nach wie vor still in sich hinein und spielte mit einer herausgelösten Haarsträhne. Letztendlich war es Walburga, die den Mut fand den Mund aufzumachen. „Prinzessin", begann sie in ihrer üblichen koketten Art, „vergeben Sie uns einfältigen Höflingen bitte unsere Neugierde. Es ist nur so... die Tatsache, dass ein Clan von Halbgöttern den weiten Weg aus den Nebellanden für unser bescheidenes Herzogtum auf sich nimmt und bald diese Halle mit ihrer Anwesenheit beehren wird... dass... dass raub uns den letzten Nerv!" Ihr üppiger Busen ging rasch auf und ab. „Wie sollen wir uns nur auf ein solches Ereignis vorbereiten?" Von allen Seiten begegneten der Prinzessin erwartungsvolle Blicke.

Wie soll ich mich bloß auf ein solches Ereignis vorbereiten?, hätte Saga ihr allzu gern entgegengeschleudert. Stattdessen fragte sie nur: „Die Vorräte sind gefüllt? Die Masse wird befeuert und pausenlos gerührt, so dass sie nicht klumpt?"

„Selbstverständlich, Eure Hoheit!" Versicherte ein älterer Herr einige Plätze weiter. Auf seinem seidenbestickten Wams prangte eine schwere Goldkette. „Sämtliche Spenden werden rund um die Uhr von den Sklaven bewacht und kontrolliert."

„Danke, Schatzmeister." Sprach Saga und wandte sich wieder Walburga zu. „Sie stehen doch in gutem Kontakt zur Dienerschaft... sind die Schlafräume im Jagdschloss für unsere Besucher hergerichtet?"

„Ja, Eure Hoheit."

„Und die Privaträume? Wurden sie ordentlich geputzt? Der Marmor poliert? Die Vorhänge gewaschen und parfümiert?"

Walburga nickte erneut.

„Gut."

Ein klein wenig ihrer Unruhe ließ nach. Sie lehnte sich sachte gegen Apollinaris und wisperte ihm zu: „Wenn dieser Tag vorbei ist, möchte ich, dass du mich in meinen Privatgemächern besuchst."

Eine verheißungsvolle Wärme strömte von seiner Brust aus. Dort, wo sich ihre Körper berührten, entfachte ein Kribbeln in ihr. Der Hauptmann der herzoglichen Leibgarde sagte nichts. Die Augen starr geradeaus auf seinen leeren Teller gerichtet, knuffte er ihr zur Antwort lediglich sachte in den Hintern.

Die Prinzessin verkniff sich ein Lachen und setzte rasch eine ausdrucklose Miene auf. Zu ihrer großen Überraschung war es die Mätresse ihres Vaters, die als nächstes das Wort an sie richtete. „Prinzessin", begann sie in halblautem Ton, „ist es wahr, dass... unsere Gäste nächtlichen Besuch außerordentlich zu schätzen wissen?" Ehe Saga den Mund aufmachen konnte, fügte Cecilia rasch hinzu: „Ich meine nur, falls die Legenden der Wahrheit entsprechen, ist es ein Leichtes für mich meinen Freundinnen im Herz der AphroditeBescheid zu geben. Ein Wort von Ihnen und ich trommle die schönsten Mädchen der Stadt zusammen und schicke sie umgehend ins Jagdschloss."

„Daran zweifle ich keine Sekunde, Cecilia." Erwiderte Saga kühl, ohne sie anzusehen. „Aber in Anbetracht der Tatsache, dass sich unter unseren Gästen aus fernen Landen mein zukünftiger Ehemann befinden wird, werde ich davon absehen vom beträchtlichen Ausmaß an Huren in Glasgarten Gebrauch zu machen."

„Genau." Mischte sich Walburga ein. Ein süffisantes Grinsen zierte ihr Gesicht. „Wenn unser künftiger Herzog beim ersten Treffen mit seiner baldigen, wunderschönen Ehegattin aus irgendeinem unerfindlichen Grund Lust auf eine Schlampe verspüren sollte, dann soll er den Weg selbst auf sich nehmen und sich ins Bordell bemühen, wie jeder andere Bewohner Glasgartens auch." Ihre Worte trafen die Mätresse wie ein Pfeilregen. Saga schmunzelte und nickte ihrer Hofdame dankend zu. Eine Spitze in den Worten ihrer Freundin hatte jedoch ihr Ziel verfehlt und den Weg in Sagas Herz gefunden. Unser künftiger Herzog. In der Geschichte Blavas hatte es nur ein einziges Mal einen weiblichen Souverän gegeben und dieser war ihre Vorfahrin Saga I. gewesen. Nachdenklich kaute die Prinzessin auf ihrem Stück Fleisch herum. Auch wenn es dem Hofstaat noch nicht bewusst war, so hatten weder ihr Vater noch sie die leiseste Absicht den Thron an einen Fremden abzutreten.

Irgendwo am Tischende stieß ein betrunkener Page einen Weinkrug um. Saga zuckte beim Lärm zusammen. Aber bevor sie den Burschen deswegen anfauchen konnte, meldete der Diener an der Tür mit dröhnender Stimme: „Ich bitte um Ruhe und Aufmerksamkeit. Es tritt ein: Herr Orpheus aus den Nebellanden und sein Anhang."

Schlagartig wurde es totenstill im Saal. Saga erstarrte, ihre Augen suchte die ihres Vaters. Dieser erwiderte ihren bestürzten Blick. Im gelben Licht der Kerzen wirkte sein Gesicht noch fahler als sonst.

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Der Vampir der HerzoginWo Geschichten leben. Entdecke jetzt