Die Gestalt des Bischofs von Blava glich einer übergroßen Feldmaus. Hinterlist und Niederträchtigkeit paarten sich in seinem mageren Gesicht zu einer hässlichen Fratze. Unter seiner roten Soutane war ein Buckel zu erkennen, seine kleinen, knöchernen Hände bogen sich zu Klauen.
Saga begrüßte ihn mit dem Anstand, der dem Klerus gebührte. Sie bat ihn neben sich auf der Bank Platz zunehmen und schenkte ihm eigenhändig Wein ein. Nach dem Gespräch mit Herr Orpheus lag ein stiller Frieden auf ihren sanften Gesichtszügen. Der gelbe Diamant an ihrer Hand fing das Licht des Thronsaals ein und blendete die Höflinge mit seinem Leuchten. Gegenüber des Bischofs saßen Herr Orpheus und Frau Galatea. Bewusst so gewählt, um Sagas neue Machtposition zu verdeutlichen.
Die Diplomaten von Drakis, Kalgogrod und Groß Kaldrien bildeten eine Reihe an aufmerksamen Zuhörern, deren kein Wort entging und die sogleich nach dem Festbankett akribisch niedergeschrieben und an ihre Landesoberhäupter gesendet werden würden. Saga kannte das Spiel zugut. Doch im Gegensatz zu ihrem Vater, dem die Gratwanderung der Diplomatie nie gelungen war, liebte sie dieses Art von Theater, die man für niemanden bestimmten und doch für alle aufführte. Sie genoss es Seitenhiebe, scharfe Worte und offene Kritik in scheinbar belanglose Konversation übers Wetter und die Bestände an Vieh und Sklaven einzustreuen. Es fiel ihr leicht einen Weg durch das Dickicht an schier endlosen Gesprächen zu finden und den Fallstricken und Kanten auszuweichen.
Bei in Honig gebackenen Tauben erzählte sie in beiläufigen Ton vom schwarzen See, der sich seit kurzer Zeit großer Beliebtheit erfreute.
„Die Leute besteigen Boote, gefüllt mit Opfergaben und Gebetsrollen." Stieß Saga kauend hervor, während sie fetttriefenden Fleischfasern zwischen den Fingern zerpflückte. „Mir ist zu Ohren gekommen, dass das Volk Sie mit Spenden betraut, die Sie den Priesterinnen des goldenen Hains übergeben. Ich möchte meine Dankbarkeit für ihre Selbstlosigkeit zum Ausdruck bringen."
„Gott belohnt Opferbereitschaft, Eure königliche Hoheit." Antwortete der Bischof, dessen wässrige Augen nervös zwischen den beiden Gottheiten hin und her flatterte.
„Davon bin ich überzeugt", erwiderte Saga, „welcher Gott bevorzugt es nicht, Opfer zu erhalten. Sie zehren davon, so wie wir uns vom Fleisch unserer gefallenen Feinde nähren."
Das Gerede am Tisch verstummte. Stille legte sich über die reichlich gedeckte Tafel. Saga ließ die Knochen fallen, wischte sich die Finger sauber und erhob sich. „Ein Prost auf den Großmut unserer Kirche! Möge sie die Stärke besitzen sich beweisen zu können oder die Vernunft hegen, im Auge der Wahrheit zu resignieren." Aufmerksam beobachtete sie, wer an ihrer Tafel die Krüge erhob und wer nicht. Diejenigen, die es nicht taten, würden bei Tagesanbruch spurlos verschwunden und gegen Leute aus Sagas Entourage ersetzt sein. So war es mit Apollinaris, der den Augenblick ebenfalls konzentriert erfasste, abgemacht worden.
Es war ihm mit Hilfe der fleißigen Riganis gelungen die Aufgabe seiner Herzogin auszuführen und herauszufinden, wessen Loyalität am Hofe ihr gehörte und wessen nicht. Ehe der Palast sich am morgigen Abend zum Schlafen legen würde, würde ein dumpfes Plätschern zu Glasgarten heraufwehen. Einen nach dem anderen, würden Apollinaris und seine Männer die Verräter mit gefesselten Händen und Beinen über die Klippe ins schwarzgefärbte Meer werfen. Wenn es um die Herzogin ging und den Pakt, den ihre beiden Seelen aneinanderband, kannte das Herz des ehemaligen Hauptmanns der Garde kein Mitgefühl. Fiebriger Ehrgeiz und willige Ergebenheit für die Herzogin füllte sein Wesen aus und ließ keinen Platz für Erbarmen.
Die Verachtung in seinen eleganten Gesichtszügen ließ ihn in Sagas Augen nur noch begehrenswerter erscheinen. Die unmissverständliche Abscheu, die er gegen den Bischof und seine Männer zur Schau stellte, ermutigte Saga und belustigte sie zugleich. Es verlangte ihr sämtliche Selbstdisziplin ab, Apollinaris nicht allzu oft anzublicken und stattdessen das Gespräch mit dem Klerus weiterzuführen. In beiläufigem Ton erkundigte sie sich nach dem Wohlergehen der kirchlichen Schatzkammer, bekundete ihre Freude darüber als Herzogin nun das Patronat der Kirche zu besitzen und gratulierte dem Bischof zu seinen botanischen Bemühungen.
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Der Vampir der Herzogin
Fantasy...Die Vereinigung von Mann und Frau sei das Natürlichste der Welt, so die Gewissheit in Blava. Wie aber verhielt es sich, wenn eine der Parteien ein unsterblicher Gott war?... Schwere Zeiten brechen für das Herzogtum Blava an. Von allen Seiten rück...