Bleierne Müdigkeit trübte Sagas Blick. Als Apollinaris nach ihrem Vorschlag außer sich vor Entsetzten gegangen war, fiel die Ermattung über sie her wie ein Rudel hungriger Wölfe. Der Mond hing hoch über Glasgarten und flutete es mit seinem fahlen Licht. Ein Gähnen unterdrückend, folgte sie ihrer Wache zur bereitstehenden Kutsche hinunter. Obwohl sie kaum noch stehen konnte vor Erschöpfung, ließ sie sich vom Kutscher in die Equipage helfen und zwang sich die kurze Fahrt über nicht einzuschlafen. Noch stand ihr eine Pflicht bevor, die zu erfüllen alles andere an diesem Tag an Wichtigkeit überstieg. Saga musste sich bei Orpheus für die verschobene Vermählung in aller Förmlichkeit entschuldigen. Allein der Gedanke daran versetzte sie in Mutlosigkeit.
Von Graf Egerdon, einem treu ergebenen Vasallen ihres verstorbenen Vaters, hatte sie erfahren, wo sie ihn finden würde. Die Wagenräder rollten durch den kurzen Waldabschnitt zu einer kleinen Bucht am Fuße der Klippe, auf der Glasgarten thronte. Dort, umgeben von scharfkantigen Felsen, kam im Herzen der Bucht ein ovales Bauwerk zum Vorschein, welches man nur durch eine schmale Grotte erreichen konnte. Saga eilte fröstelnd durch die feuchte Dunkelheit und ignorierte die massiven Felswände um sich so gut es ging. Dann nach einer gefühlten Ewigkeit, die in Wirklichkeit jedoch keine fünf Minuten waren, erreichte sie den Höhlenausgang, der in die Bucht mündete. Die Therme war auf einer erhöhten Plattform errichtet, fernab von den rauen Steinen, die aus dem Sand ragten. Das marmorne Becken war von schlanken Säulen umgeben, die das gläserne Kuppeldach trugen. Im silbernen Mondschein stieg Dampf aus dem heißen Wasser und verteilte sich auf dem Strandabschnitt wie Nebel. Das Rauschen des Meeres wurde von den Klippen, die die Bucht umrahmten, fast gänzlich verschluckt. Es war sonderbar still. Keine Möwe kreischte, selbst der Wind mied diesen Ort. Sie raffte die langen Röcke, stieß die Schuhe von den Füßen und eilte über eine Reihe kalten Steinplatten zur heiße Quelle. Fackeln ragten vereinzelt aus dem sandigen Boden und leuchteten ihr den Weg durch die Nacht.
Saga nahm die Stufen zur Empore und öffnete den Mund, um sich bemerkbar zu machen, da fiel ihr Blick auf die viele nackten Frauen. Im schummrigen Halbdunkeln hatte sie zu spät realisiert, was in den sprudelnden Tiefen des Wassers vor sich ging.
„Oh!" Entwich es ihr verwirrt. Ihre Augen wanderten über die vielen Brüste, die im parfümierten Wasser verheißungsvoll brillierten. Hier und da ragten Haarschöpfe aus dem Wasser, Saga erkannte eine Reihe Männer ihrer Wache, zwei Burschen aus den Adelshäusern und am Rande des Getümmels ragte der große Oberkörper ihres Verlobten aus den brodelnden Fluten, dem eine gutaussehende Dame auf dem Schoss saß. Für einen Moment haftete ihr Blick an der Stelle, an der ihre beiden Körper ineinander verschmolzen. Die Welt schien für einen Moment still zu stehen, der Äther geriet aus den Fugen. Oben war unten und unten war oben. Ein Schwindel entfachte in Sagas Kopf, den sie in die Knie zwang. Sie setzte sich am Rand des Beckens hin und ignorierte die vielen feuchten Hände, die hilfsbereit ihren Weg zu ihr fanden. Vereinzelte Stimmen durchbrachen die Stimme. „Hoheit, was fehlt Ihnen?" Rief jemand. „Es ist nichts", erwiderte sie und stieß die Hände fort, „es war ein langer Tag und ich bin müde, das ist alles." Sie richtete sich auf, klopfte den Sand aus ihren Kleidern und begegnete Herr Orpheus Blick. Ein Inferno loderte in dem ungleichen Augenpaar, dass ihr wie ein Blitz durch Mark und Bein ging. Er stand hüfttief im tiefsten Teil des Wassers und beugte sich über den Beckenrand zu ihr. Sein breiter Torso funkelte im Mondschein wie polierter Alabaster. „Das verlief unglücklich, nicht wahr? Vergeben Sie mir, Sie sollten so etwas nicht mit ansehen müssen." Hallte seine samtene Stimme in ihrem Kopf wider. Saga wusste darauf nichts zu erwidern, sie lehnte an einer der Säulen und schöpfte Atem. Als die schwarzen Flecken vor ihren Augen endlich weichten, stieß sie hervor: „Meine Herrn... meine Damen, euch allen muss bewusst sein, dass eine Trauerzeit verhangen wurde. Keine fleischlichen Vergnügungen jeglicher Art für vier Wochen. Ist das so schwer?"
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Der Vampir der Herzogin
Fantasy...Die Vereinigung von Mann und Frau sei das Natürlichste der Welt, so die Gewissheit in Blava. Wie aber verhielt es sich, wenn eine der Parteien ein unsterblicher Gott war?... Schwere Zeiten brechen für das Herzogtum Blava an. Von allen Seiten rück...