39. Kapitel

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Die bänderumwobenen Hörner des kleinen Fauns deuteten der Hexe den Weg. Den Hunden hinterherlaufend, kichernd wie ein Kind, war Amalthea vorausgegangen und bald schon hinter den sattgrünen Hügeln verschwunden.

Warmer Regen benetzte Raganas Haut und tauchte die Saphirhügel in zartblauen Schein. Die schwarzen Haare feucht, folgte sie dem Faun ein Rinnsal entlang, das sich am Fuße der Höhenzüge entlang tief ins Hinterland schlängelte. Der Seelenfresser zeichnete sich scharfkantig wie die Zähne eines Drachens vom stahlgrauen Vormittagshimmel ab. Ragana überkam ein Gefühl der Beklemmung, wenn sie ihr Blick über das schwarze Gebirge huschte. Nichts Gutes entsprang den Bergen, Böses lauerte in ihren steinigen Tiefen.

Die gebeugte Gestalt, die einige Schritte hinter ihr ging, vergaß sie manchmal fast. So still war Riganis, die Geliebte des künftigen Herzogs.

„Du wirst vor der Siedlung der Kobolde warten müssen," rief die Hexe über die Schulter, als sie die Talebene erreicht hatten, „Untreue stößt sie ab... sie sind reine Wesen, unschuldig wie ein Kind. Du würdest sie mit deiner Verderbtheit verschrecken."

„Wie Sie wünschen, edle Hofhexe." Kam es von hinten leise.

Ein genervtes Schnauben entfuhr Ragana. Sie verachtete unterwürfige Mädchen, würde sie am liebsten in die hirnlosen Schafe verwandeln, die sie waren. Die Hände zu Fäuste geballt, zupfte sie ihren Rocksaum aus dem Morast und stieg über eine Pfütze hinweg. „Wenn ich und der Faun bei den Heilern sind, bitte ich sie um etwas von dem Kraut für dich. Du siehst leer aus, fahl wie ein Geist." Sprach sie, ohne die Frau anzusehen, die mittlerweile zu ihr aufgeschlossen hatte. Ein rauer Wind war aufgefrischt und zerrte unsanft an ihrer Kapuze. „Nicht zu weit, Kind! Lass mich dich zu jeder Zeit im Blick haben!" Fügte sie an Amalthea hinzu, die unbeschwert vor sich hin singend um eine Wegbiegung gegangen war.

„Nicht doch, mir geht es gut," entgegnete Riganis hastig, „die Herzogin ist krank, sie benötigt Ihre ungeteilte Aufmerksamkeit."

„Die Herzogin hat schwaches Blut, das habe ich ihr schon oft gesagt. Die Wirrungen am Hofe und der Tod ihres Vaters haben ihr schwer zugesetzt. Das ist nichts lebensbedrohliches, etwas Eisenkraut und ihr Zustand stabilisiert sich von selbst. Aber du, wenn du so weiter machst, hast du bald gar keines mehr..." Antwortete die Hexe und warf dem Mädchen einen prüfenden Blick zu.

„Blut meine ich... er saugt dich aus."

„Das ist nicht wahr." Widersetzte Riganis heftig.

Die Hexe beäugte sie für einen Moment still, dann formte sie leise die Worte: „Du liebst ihn, nicht wahr?"

Eine Tränen rollte ihre blasse Wange hinab. „Natürlich liebe ich ihn, er ist mein Gott."

„Das meine ich nicht." Entgegnete Ragana ungeduldig. „Du liebst ihn wie eine Frau einen Mann liebt." Sie packte das Mädchen am Arm und entblößte ihren Unterarm. Unzählige Narben zogen sich weiss wie Spinnweben über die Innenseite ihres Arms.

„Er beißt dich und gibt dir von seinem Sekret zu trinken, so dass es schnell verheilt." Stellte die Hexe nüchtern fest. „Aber sein Sekret reicht nicht aus um deinen Bluthaushalt wieder aufzufüllen. Wenn er nicht von dir lässt, wirst du bald tot sein."

„Es geschieht alles so, wie seine königliche Hoheit es möchte." Eine Kälte sprach aus ihren Augen, die die Hexe entsetzte. „Dir muss bewusst sein, dass Herr Orpheus, Vater dieser Erde, deine Gefühle unmöglich erwidern kann." Zischte sie und rüttelte das Mädchen, als wolle sie sie aufwecken.

Riganis schwieg. Sie löste sich von ihrer Umklammerung und stapfte dem Faun hinterher, der ungeduldig auf einem umgefallenen Baumstamm stehend auf sie wartete.

Der Vampir der HerzoginWo Geschichten leben. Entdecke jetzt