Im roten Schein der aufgehenden Sonne wurde der Grundstein für Galateas Residenz gelegt. Eine kleine Menschentraube hatte sich auf der taufeuchten Wiese versammelt, darunter die Prinzessin, der neue Botschafter und Galatea selbst. Herr Orpheus war nicht anwesend, seit einiger Zeit hatte keiner im Palast ihn mehr zu Gesicht bekommen. Als Saga die großgewachsene Frau danach gefragt hatte, hatte diese ihr versichert, dass ihr Cousin in der Nähe war, auch wenn man ihn nicht sehen konnte. Diese Aussage hatte Saga nervös werden lassen. Sich die Unsicherheit nicht anmerken lassend, hatte sie nach der feierlichen Grundsteinlegung einige Worte an den Ehrengast gerichtet und war dann schnellen Schrittes zu der bereitstehenden Kutsche geeilt. Dort angekommen, lehnte sie sich an eines der rotgestrichenen Wagenräder und atmete tief durch. Sie fror. Der kühle Morgenwind trug die Feuchtigkeit der Nebelschwaden aus dem Hinterland zu ihr und setzte sich in ihren Kleidern fest. Der Gedanke, von unsichtbaren Augen beobachtet zu werden, irritierte sie zunehmend. Sobald er ihr Gatte war, würde sie mit Herr Orpheus reden müssen und grundlegende Regeln aufstellen. Die Ehe war zu heilig, als dass man blauäugig und unvorbereitet hineinspringen konnte. Sie, Saga, würde sich darauf vorbereiten müssen. Nach all den Ereignissen der letzten Tage hatte sie kaum Gelegenheit gefunden sich auf ihre größte bevorstehende Aufgabe zu fokussieren: zu Heiraten.
Bis zum Frühstück beschäftigte sie sich im Stadtpalast mit den Hochzeitsvorbereitungen. Sie hatte schier endlose Unterredungen mit ihren Hofdamen, zerbrach sich den Kopf über die Sitzordnung des Banketts und informierte sich bei Frau Galatea über deren Sitten und Bräuche. Dann schritt sie in Begleitung ihrer Leibgarde durch die verwinkelten Gassen Glasgartens, die sich wie ein Labyrinth über die gewaltige Klippe zogen und tätigte im Hafenviertel bei einer ausländischen Bank eine Transaktion, so wie Agapius es ihr geraten hatte. Diskret und unbemerkt hatte man in Sagas Namen ein Bankkonto eröffnet und darauf ein kleines Vermögen eingezahlt. Gerade so viel – ließ der Botschafter andeuten – dass man als Thronerbin eine etwaige Auflehnung der Untertanen zerschlagen konnte. Der Prinzessin war schnell bewusst, wer dahintersteckte und dennoch tat sie unwissend. Es war für alle Beteiligten besser, wenn der Name der Kaiserin in Blava nicht allzu oft fiel. Nach vollendeten Dingen erklomm sie mit ihrer Wache die gewaltigen Treppen, die vom Klippenrand ins offene Meer hinunter führten und auf einer auf hölzernen Pfeilern gebauten Plattform mündete, welche auf die Anlegeplätze der Handelsschiffe hinausführte. In der Stadt waren mehr Patrouillen unterwegs als üblich. Auch wenn der Herzog die Geschichte des gepfählten Diebs vom kopflosen Reiter als Unsinn abgetan hatte, so hatte er dennoch vorsichtshalber die Stadtwache verstärken lassen.
Dem schäumenden Meer unter ihren Füßen keine Beachtung schenkend, eilte sie zielstrebig zu Agapius, der mit zwei Schüsseln dampfendem Eintopf an der Brüstung lehnte und aufs tosende Meer hinausstarrte. Um ihn herum herrschte emsiges Treiben, doch es war nichts im Vergleich zu dem geschäftigen Chaos, dass früher hier geherrscht hatte, als Blava noch Handelswege in aller Welt unterhalten hatte. Seemänner und Sklaven hasteten umher, schulterten schwere Fässer und hievten Waren auf die bereitstehenden Maultiere. Diese mussten den langen Weg nach Glasgarten hinauf nehmen und die Anhöhe der Klippe umgehen. Es existierten zwar Baupläne für einen Kran, der den Umweg rund um die Klippe überflüssig machen würde, doch wie so oft fehlte der Stadt das Gold für den Bau.
„Danke!" Rief sie über das Stimmengewirr der Seeleute und die meterhohen Wellen hinweg und nahm dem Botschafter eine Schüssel ab. Mit knurrendem Magen stürzte sie sich auf das verspätete Frühstück. Unweit pries der Straßenverkäufer, von dem die Eintöpfe stammten, sein Essen an. Sein lautes Brüllen erinnerte Saga an das Jaulen eines der Seebullen, die in der Nähe auf einer Reihe Sandbänke und Felsen wohnten. Vor langer Zeit hatten die Bewohner Blavas die grauen Tiere für Meermenschen gehalten und sie gefürchtet. Nun, da man wusste, was sie waren, fürchtete man sie immer noch. Jedoch aus anderen Gründen. Diese Viecher waren aggressiv und territorial, kam ein Boot ihren Felsen zu nahe, sprangen sie ins Wasser und versuchten das Boot von unten mit ihren massigen Leibern zum Kentern zu bringen.
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Der Vampir der Herzogin
Fantasia...Die Vereinigung von Mann und Frau sei das Natürlichste der Welt, so die Gewissheit in Blava. Wie aber verhielt es sich, wenn eine der Parteien ein unsterblicher Gott war?... Schwere Zeiten brechen für das Herzogtum Blava an. Von allen Seiten rück...