19. Kapitel

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Die Stadtmauer von Glasgarten bildeten einen Halbkreis, wie ein rotes Band zog sie sich in einem weiten Bogen von Küste zu Küste. Geteilt von den zwei Flüssen im Süden, die das Wappen des Herzogs zierte und ins Meer mündeten. Eng an die Burgmauer geschmiegt, als fürchte es sich von der anderen Seite, befand sich das Armenviertel, welches durch den westlichen Flusslauf vom Rest der Stadt auf natürliche Weise getrennt wurde. 

Eine einzelne Brücke überspannte den reißenden Strom, so alt und ausgetreten, dass man es sich zwei Mal überlegte, ob man Fuß darauf setzten wollte. Und hatte man den Mut aufgebracht und die spröde Holzbrücke überquert, war da der eigentliche Stadtbezirk, der jedem rechtschaffenen Bürger einen Schauer über den Rücken jagte. Überfüllt, übel riechend und von undefinierbarem Morast schwarz gefärbt, gab das Armenviertel ein Bild des Grauens ab wie es andernorts kaum zu finden war.

Eine Gruppe magerer, in Fetzen gekleideten Gestalten hatten sich unter dem Westtor versammelt, welches zu den Feldern ins Hinterland führte und legten die Köpfe in den Nacken. Am Wegesrand hob sich ein schwarzer Pfahl von der Dicke eines Oberarms vom stahlgrauen Himmel ab. Schräg in den Boden gerammt und so hoch, dass jeder vorbeiziehende die Warnung unmissverständlich verstand. Auf der entblößten Brust des aufgespießten Leibes prangte ein Pergament, mit rostigen Nägeln ins weiche Fleisch geschlagen. Das Bild einer jungen Dame, der Prinzessin, ihrem Diadem zu urteilen, war darauf mit Tinte gezeichnet und in ihrer ausgestreckten Hand lag ein goldgefärbter Zahn. Die Leute benötigten keinen Gelehrten, der ihnen die Botschaft hätte vorlesen brauchen. Die Nachricht war deutlich. Die Konsequenz daraus noch deutlicher.

Eine gekrümmte Vettel trat aus der Menge und spuckte dem Aufgespießten ins Gesicht. „Geschieht dir recht, du Teufel! Wagst es die Götter zu bestehlen! Elendig verrecken sollst du!"

Der Mann auf dem Pfahl stöhnte, die geräderten Arme in sonderbaren Winkeln hinter dem Rücken gefesselt, bat er mit tonloser Stimme um Wasser. Keiner der Leute war bereit ihm diesen Wunsch zu erfüllen. Die Stadtwache patrouillierte mit großem Eifer und knüpften jeden auf, der einem Verurteilten zur Hilfe eilte.

„Wie lange hängst du da schon?" Rief einer der Umstehenden feixend. „Hab' immer gewusst dass du es gerne in den Hintern hast aber so hast du's dir wohl doch nicht vorgestellt, was?" Höhnisches Gelächter brandete auf. „Machen wir eine Wette. Wo, denkt ihr, wird die Spitze des Pfahls wieder herauskommen? Ich sage aus den Eingeweiden!"

„Aus dem Mund!" Quiekte ein kleiner Junge.

„Durch die Rippen!" Brüllte ein anderer.

„So, so", brummte der erste, „heute Abend kommen wir wieder und sehen wer von uns recht hat. Wer die Wette gewinnt, der kriegt einen Abend lang Bier umsonst. Was sagt ihr?" Der Vorschlag stieß auf Begeisterung. Die Menge verstreute sich und bald war der Verurteilte ganz allein.

Keiner der Leute hatte die zwei vermummten Gestalten bemerkt, die unweit des Gepfählten am Waldrand standen. Der Stoff ihrer Gewänder war aus feinster goldbestickter Wolle. Die größere Gestalt der beiden wandte sich ab und sprach: „Du hast die richtige Wahl getroffen, Saga. Wisch dir die Tränen aus dem Gesicht."

Die kleinere Gestalt im azurblauen Reisemantel nickte. „Ich weiss, Apollinaris. Es ist nur so, dass ich noch nie zuvor eine Todesstrafe verhangen habe. Noch dazu auf eigene Faust und entgegen dem ausdrücklichen Wunsch meines Vaters, der diesen Narr begnadigen wollte."

„Für alles gibt es ein erstes Mal." Erwiderte der Soldat achselzuckend. „Ist dir aufgefallen, wie freundlich Frau Galatea heute Morgen zu uns war? Sie hat mir sogar einen Tee gemacht, ohne dass ich sie darum gebeten hätte."

„Du meinst sie hat meine Geste bemerkt?"

Ein leises Lachen hallte durch die Bäume. „Mehr als das, Saga. Sie weiss es zu schätzen, dass du für sie eingestanden bist."

Der Vampir der HerzoginWo Geschichten leben. Entdecke jetzt