Saga saß auf der Steinbank im Obstgarten bis die Sonne glühendrot und schwer wie die Äpfel ihrer Ländereien hinter den Zinnen der Schlossmauern unterging.
Goldenes Licht ergoss sich auf den Park, perlte von Sagas flammenden Haar und erinnerte an üppige und von Ruhm gezeichneten Zeiten. Oder war es doch blanker Hohn, der still über ihrem Haupt lag und der Allmacht der Sonne entsprang? War es denn nicht so, dass sich alles in Asche verwandelte, was Saga berührte? Dass sich alles aufzulösen schien, was ihr etwas bedeutete? Wie nur sollte sie ein Reich in Blütezeiten führen, wenn sie sich selbst nicht einmal richtig verstand.
Die Herzogin kauerte von Macht umgeben, ohne zu wissen wie sie danach greifen sollte. All die Stunden, die sie als Heranwachsende dem Studium der Politik und der Diplomatie gewidmet hatte erschienen auf einen Schlag belanglos und realitätsfern.
Binnen kürzester Zeit hatte sie, Saga, ihren Vater verloren, einen hartnäckigen Thronräuber zur Strecke bringen müssen und dabei zusehen müssen, wie ihr ein-tag-alter Ehemann starb oder dem was zu sterben bedeutete am nächsten kam.
Wenn sie doch nur wüsste, wo ihr elender Halbbruder steckte!
„Dieser Feigling!" Zischte sie den fallenden Herbstblättern zu, die sich im kühlen Abendwind wogen. „Ich werde ihn finden und wenn es so weit ist, wird er für den Brand büßen!" Ihre Augen sprühten Zornesblitze. „Für jedes niedergebrannte Haus werde ich ihm einen Knochen brechen! Er wird sich noch wünschen niemals dem Schoss dieser dreckigen Hure entsprungen zu sein." Ihre Flüche wurden jäh von einem Räuspern unterbrochen. Von einem jungen Apfelbaum aus beobachtete die Hexe Ragana sie. Saga seufzte, erhob sich und trat zu ihr. „Was willst du, Hexe? Gibt es Neuigkeiten über den Zustand meines Mannes?" Wollte sie wissen. Es gefiel ihr nicht wie ausdruckslos die andere sie anstarrte. Die Augen leer, sprach die Hexe: „Der Herzog hat getrunken. Es wird ihm bald besser gehen." Ihre samtene Stimme verriet keinerlei Gemütsregung, was Sagas Zorn entfachte. „Weswegen schaust du dann, als wäre jemand gestorben?" Schleuderte sie ihr ungehalten entgegen.
Nun schlich ein Schatten der Sorge über das porzellanweiße Gesicht der Sumpfhexe. „Saga", raunte sie leise und berührte sanft ihre Wange, „Apollinaris geht es schlecht... er liegt im Sterben. Es gibt nichts, was ich für ihn tun kann. Die Verbrennungen sind zu schwer."
Die Herzogin blicke zum flammendroten Horizont, der Nachhall des tosenden Brandes, der ihre geliebte Stadt vernichtet und ihr alles genommen hatte.
„Wie lange noch?" Es waren drei Worte. Drei einfache Bewegungen ihrer Lippen und doch beschrieben sie eine Endgültigkeit, die ihr den Boden unter den Füßen öffnete. Dunkelheit erfüllte ihren Verstand, Schwärze verschluckte ihre Gedanken. Saga ging einen Schritt, so wie sie es immer tat wenn sie um Fassung rang aber ihre Stiefel traten ins Leere. Das Gras unter ihren Sohlen besaß keine Bedeutung mehr, ebenso wie die blumenduftgeschwängerte Luft in ihren Lungen.
Als würde sie neben sich stehen und dabei zusehen, sah Saga wie ihr Leib in sich zusammensackte. Kraftlos und dürr, wie ein Sack voll Knochen. So fühlte sie sich, so sah sie der Rest der Welt.
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Es war drückend still in der samtausgeschlagenen Staatskutsche. Die blassblauen Augen vor Entsetzen geweitet, wanderte Hypatias Blick beim Vorbeifahren über die zerstörten Häuserfassaden Glasgartens. Soldaten, Kaufleute und Bettler irrten durch die rußgeschwärzten Gassen, auf der Suche nach dem Sinn in dieser Zerstörung. Sie würden keinen finden, wusste die Beraterin des drakischen Königs. Destruktion war immer sinnlos. Sie wandte den Blick ab, schloss den Vorhang und lauschte dem Hufgetrappel der Pferde. Es liebkoste ihre Ohren, erfüllte ihren unruhigen Geist mit Ordnung.
Als ihre weißen Pferde die Waldzunge durchquert hatten und vor Schloss Schneequarz zum Stehen kamen, legte Hypatia die Schriftrolle aus den Händen, in der sie gelesen hatte und stieg mit ihren Hoffrauen aus. Ein kalter Herbstwind fuhr ihr unter den karmesinroten Pelzmantel. Sie zog ihn enger um die schmalen Schultern und folgte den bereitstehenden Bediensteten in den gelben Salon, der sich zur Westseite hinaus aufs Parkgelände öffnete. Eine der Dienerinnen servierte ein dunkles Gebräu, aus dessen Tiefen sonderbar riechender Dampf aufstieg. Hypatia roch stirnrunzelnd an der krautigen Tinktur, dann legte sie den Becher beiseite. Eine steile Falte verunstaltete ihr zartes Gesicht. Eine Frau wie Hypatia war es sich nicht gewohnt warten gelassen zu werden. Als Beraterin und Mätresse des drakischen Königs war sie an Stand und Ansehen der Herzogin weit überlegen. Sie blickte sich um, bemerkte mit gewisser Genugtuung, wie schmucklos der Raum war. Ein Teppich aus Kuhhaut am Boden, eine Reihe Liegen und Sitzgelegenheiten aus dunkelrotem Kirschholz und ein Gemälde an der seidentapezierten Wand des verstorben Herzogs und dessen Gattin Hildur. Vielmehr gab das Zimmer nicht her.
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Der Vampir der Herzogin
Fantasy...Die Vereinigung von Mann und Frau sei das Natürlichste der Welt, so die Gewissheit in Blava. Wie aber verhielt es sich, wenn eine der Parteien ein unsterblicher Gott war?... Schwere Zeiten brechen für das Herzogtum Blava an. Von allen Seiten rück...