Raganas Haus stand im Schatten des Waldrands auf einer Anhöhe, die zur Seite hin steil in den schwarzen See abfiel. Das trübe Gewässer mündete in einen Sumpf, der den Ort vom emsigen Treiben der Menschensiedlungen trennte. Hinter vorgehaltener Hand munkelte man, die Hexe hätte die Lichtung verzaubert und ein Moor heraufbeschworen, so dass kein Mensch sich in die Nähe wagte. Dennoch trieb die Verzweiflung jeden Winter unzählige Leute in die trostlose Gegend, um die Hexe nach Hilfe zu bitten. Viele der mutigen Männer die ins Moor gingen, kamen nicht wieder zurück. Und die die es taten, sprachen kein Wort über die Geschehnisse. Es war als hätten sie ihre Stimme im feuchten Morast verloren.
Eine Wegstunde hinter den Saphirhügeln ließen Saga und Apollinaris die Kutsche zurück und gingen zu Fuß weiter. Der Pfad verwandelte sich zunehmend zu einem Schlammbad, der das Vorankommen erschwerte. Saga stapfte keuchend voran, Schweißperlen funkelten auf ihrer Stirn. Der Morast unter ihren Stiefeln mündete bald in Wasserlöcher, die auf der buckligen Ebene nur schwer zu erkennen waren. Des Öfteren sackten die beiden knietief ein, worauf sie sich mühsam gegenseitig aus dem Brackwasser ziehen mussten. In der Ferne standen die Bauern an der Mauer des Weilers und beobachteten sie mit unverhohlener Verwunderung. Die Wassermühle, die als Wegpunkt fungierte und den Leuten als Mahnung diente nicht weiterzugehen, rückte hinter Saga immer weiter in die Ferne. Bald waren die beiden vom dichten Nebelvorhang gänzlich verschluckt worden. Kein Geräusch drang mehr zu ihnen, das Leben selbst schien an diesem Ort vom Nebelschleier abgeschirmt zu werden. Kein Vogel sang, keine Frösche quakten im Schilf. Die Stille war so drückend, dass Sagas Nackenhaare sich aufstellten. „Hier stimmt etwas nicht", wisperte sie Apollinaris zu, der ebenfalls unruhig wirkte. „Die Tiere fehlen..." Weiter kam sie nicht. In diesem Augenblick gab der gespenstische Nebel eine dunkle Silhouette frei. Erst dachte Saga, es handle sich dabei um einen Felsen, der aus der Sumpfebene ragte, doch dann sah sie genauer hin und erstarrte. Wie angewurzelt blieb sie stehen. Apollinaris, der auf seine Schritte geachtete hatte, prallte in sie hinein und stieß einen lauten Fluch aus.
„Still!" Zischte Saga, ohne den Blick vom Umriss in der Ferne zu nehmen. „Sieh doch!" Raunte sie und packte ihn am Arm. „Wir sind da."
Und tatsächlich, Im Schilf eines dunklen Sees ragte das schiefe Häuschen empor, vor dem die Leute sich in Blava seit Jahrhunderten warnten. Hässlich wie die Nacht und aus dem Leder der getöteten Jünglingen soll das Haus gefertigt sein. Saga kannte die Legenden, schenkte ihnen jedoch keine Beachtung. Sie herrschte über diese Lande und selbst eine Menschenfressende Zauberin konnte sie nicht davon abhalten diese Moore aufzusuchen, wenn ihr danach beliebte.
„Wir sollten umkehren, das ist eine dumme Idee." Knurrte Apollinaris, er war ganz blass um die Nase. In seinen Augen loderte ein gehetzter Ausdruck, den Saga nervös machte. Sie drückte seine Hand und zog ihn weiter. „Sie ist die Einzige, die uns helfen kann. Wir werden weitergehen."
Ein kalter Wind heulte über die schwarze Ebene und fuhr ihnen mit feuchten Fingern unter die Mäntel. Es war Saga, als würde er sie zur Umkehr drängen wollen. Die vereinzelten Bäume bogen ihre Häupter in der Böe, als wollten sie der Herzogin huldigen.
Apollinaris fasste Saga fester bei der Hand und näherte sich dem Hexenhaus mit grimmiger Entschlossenheit. Der Dolch aus Silber wog schwer in seiner Brusttasche. Sie würde versuchen ihn zu fressen, dessen war er sich bewusst und er war darauf vorbereitet.
Das verfallene, kleine Häuschen ragte wie ein fauliger Zahn aus der Erhebung empor, ein schwacher Rauchfaden stieg vom rußigen Kamin in den grauen Himmel hoch. Der Geruch von brennendem Torf fuhr Saga in die Nase als sie vor der Tür stehen blieb und die Hand zum Klopfen hob.
Ihre Fingerknöchel hatten das spröde Holz noch nicht berührt, da schwang die Tür mit einem markerschütternden Knarzen auf. Eine samtschwarze Dunkelheit waberte über die Schwelle, so dicht, dass man sie hätte greifen können.
„Du gehst voran." Hauchte Saga und spähte zögernd in die Schwärze, die sich wie eine Wand vor ihnen ausbreitete. Sämtliche Fasern ihres Körpers schrien danach fortzulaufen. Dieses verfluchte Moor weit hinter sich zu lassen. Doch der Gedanke an ihren Vater gab ihr die nötige Selbstdisziplin zu bleiben. Er brauchte sie, jetzt mehr denn je zuvor. Sie krallte sich in Apollinaris Schultern, atmete tief durch und gemeinsam traten sie über die Türschwelle in den schwarzen Schlund der Hölle.
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Der Vampir der Herzogin
Fantasy...Die Vereinigung von Mann und Frau sei das Natürlichste der Welt, so die Gewissheit in Blava. Wie aber verhielt es sich, wenn eine der Parteien ein unsterblicher Gott war?... Schwere Zeiten brechen für das Herzogtum Blava an. Von allen Seiten rück...