ᴷᴬᴾᴵᵀᴱᴸ 12

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Ich verabschiedete Vincent, der zum Auto seines Vaters schlurfte. Er hatte noch eine Verabredung mit Bel-Air, die er mittlerweile Sibel nannte. Oder Sibelchen. Er fand es witzig, sie eher wenig ... und dennoch ließ sie es zu.

Ihm hatte ich mittlerweile alles über Engel erzählt. Auch was ihr seltsames Verhalten betraf, als ich mich verstecken musste.

Vincent war der Meinung, dass sie möglicherweise keinen Besuch haben durfte. Achtzehn hin oder her, aber es lag im Bereich des Möglichen, das ein männlicher Gast da noch weniger gern gesehen wurde.

Vielleicht hatte er Recht.

Eventuell lief es bei ihr eine Kleinigkeit ... strenger ab.

Das sie nicht mit mir raus wollte, hatte mein bester Freund auch auf seine Theorie hingeschoben.

Es konnte ja sein, dass sie gar nicht mit einem Jungen gesehen werden durfte.

Auf jeden Fall wollte ich sie nicht in so eine missliche Lage bringen.

Seine andere Mutmaßung war, dass Engel eventuell unter einer Krankheit litt, die ihr nicht gestattete hinausgehen zu können.

Mir fiel rückblickend auf, dass sie immer denselben langärmligen Pulli trug. Selbst jetzt, wo es so warm war.

Vielleicht war es ja eine Mischung aus beidem?!

Ich winkte ihm nochmal zu, während er wegfuhr, als ich Engel bemerkte.

Erschrocken, dass ich sie gesehen hatte, verschwand sie vom Fenster, um kurz danach dann doch ein weiteres Mal um die Ecke zu linsen, ob ich noch da war.

Das war mir zu blöd.

Ich verließ meine Wohnung, überquerte die Straße und öffnete die Haustüre. Den Schlüssel hatte ich nämlich nicht zurückgelegt, aus Angst, irgendjemand könnte es sehen und einfach bei Engel hineinspazieren. »Ich werde nicht gehen.« , sagte ich, als ich sie oben stehen sah. »Ich will bei dir sein.«

»Okay.«

Mehr Worte waren wohl nicht nötig.

Ich ging hinauf zu ihr und als ich oben ankam, küsste sie mich. Erst kurz und sie sah mich erschrocken an, ehe ich sie zu mir zog und dann meinen Mund auf ihren presste.

Ich hatte das Gefühl, als würden hunderte kleine Blitzschläge durch meinen Körper jagen. Keine, die Schmerzen verursachen, aber diese Empfindung, als wenn Strom durch den Organismus schoss, war definitiv zu spüren.

Ich lehnte meine Stirn an ihre.

»Ich wusste nicht, das es ... klappt?« , sagte sie.

»Was?«

»Dich zu küssen.«

Ich lächelte sie an. »Du hättest es einfach tun sollen. Ich wollte es schon vom ersten Tag an.«

Engel küsste mich erneut.

Ich unterdrückte den Drang sie gegen die Wand zu drücken, weil ich auch nicht zu forsch rüberkommen wollte.

Zudem wusste ich im Übrigen nicht, wie weit sie je mit einem Jungen gegangen war. Falls Vincents Theorie stimmte, dass sie sich sozusagen vom anderen Geschlecht fernhalten sollte, war es vielleicht besser, das ich sie nicht direkt zu sehr bedrängen würde.

Ich löste mich von ihren Lippen, auch wenn es mir schwerfiel.

»Du fühlst das auch?« , fragte sie mich.

Ich nickte.

In dem Augenblick dachte ich, dass sie ebenfalls diese sinnbildlichen Blitze gefühlt hatte.

Dass sie jedoch etwas vollkommen anderes meinte, war mir nicht klar.

Wir betraten gemeinsam ihr Atelier.

Ich setzte mich aufs Sofa und sie sich direkt neben mich. Sofort legte Engel ihren Kopf an meine Brust.

Ich lehnte mich dadurch mehr in eine liegende Position, damit sie es erstens gemütlicher hatte und zweitens ... zu dem Zweck, dass ich sie näher spüren konnte.

Sanft streichelte ich über ihren Arm.

»Ich höre, wie dein Herz schlägt.« , sagte sie im Flüsterton und machte den Herzschlag nach, indem sie mit ihren Fingern leicht auf meine Brust klopfte.

»Bu-Bumm. Bu-Bumm.« , gab ich leise von mir.

Sie hörte auf und blickte mich an. »Ich glaube, ich mag das Geräusch von deinem Herzen, wenn es schlägt.« , sagte sie.

»Und ich mag das Gefühl, wenn du in meinem Arm bist.« , lächelte ich sie an, denn sie hier bei mir zu haben, war unbeschreiblich.

Sowas hatte ich noch nie verspürt.

Andere würden sagen, ich war bis dato jung und konnte das gar nicht beurteilen, aber das war Bullshit.

Nichts ist jemals an das Gefühl rangekommen, was ich generell in Engels Gegenwart verspürt hatte.

Sie schmiegte sich wieder an meinen Körper und ich kraulte sie.

Irgendwie stand die Zeit still.

Wir taten nicht viel und dennoch ... eine große Menge.

Erst als ich draußen den Idioten vernahm, der meinen Namen laut rief, schreckte ich hoch.

Es war bereits dunkel.

Engel wich zurück, so das ich aufstehen konnte. Ich sah, wie der Blödmann da stand und herumbrüllte. »Ich sollte nachschauen, was er will.« , sagte ich, obwohl ich das nicht wollte.

»Du kommst morgen wieder?« , fragte sie mich.

Ich nickte und küsste sie. »Natürlich.«

Wir gingen die Treppe nach unten. Sie drückte mich nochmal feste. »Ich danke dir für dieses ... Gefühl.« , sagte sie. »Aber ... das, was ich gesagt habe, ... es lässt sich nicht ändern, Dag.«

»Das du weg musst?«

Sie nickte. »Es tut mir leid.«

»Wir werden eine Lösung finden, okay?!«

Wiederholt keifte draußen der Spinner der Nation herum. Ich rollte mit den Augen.

Engel sah mich wieder mit diesem tieftraurigen Blick an, weshalb ich sie nochmal küsste. Ich wollte ihr einfach zeigen, dass ich es ernst meinte. Ich hätte alles getan, um eine Lösung zu finden.

Ich öffnete die Tür und ... schloss sie ein. Denn das zeigte sie mir vorher mit einer Handbewegung.

Dann überquerte ich die Fahrbahn. Geradewegs zu Jörg. »Sei mal etwas leiser. Du bist hier nicht der Harlekin der Straße und zu deren Unterhaltung gut.«

»Willst du mich belehren?« , hauchte er mir seine Bierfahne entgegen.

Ich distanzierte mich ein wenig und verzog mein Gesicht. Währenddessen drückte er mir Geld in die Hand. »Fahr zum Kiosk und besorg' mir 'nen Kasten.«

»Dafür rufst du mich?« , fragte ich und sprach auch direkt weiter. »Hol' dir deinen Bölkstoff selbst.«

Unsanft zog er an mir. »Du tust das, was ich sage.«

Seine Alkoholfahne brachte mir echt Übelkeit. Ich gab klein bei. Mit der Hoffnung, er würde sich totsaufen.

Ich schnappte mir mein Fahrrad und sah hinauf zu Engel.

Sie stand am Fenster. Ich winkte ihr zu und fuhr los.

Ich war glücklich, weil ich in dem Moment voller Hoffnung war. 

Du und ich, nur wir beideWo Geschichten leben. Entdecke jetzt