ᴷᴬᴾᴵᵀᴱᴸ 3

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Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Mir fehlten die Worte. Das Bild war einfach nur perfekt. Es sah so echt aus.

»Ich weiß, ich hätte das nicht tun dürfen, aber ich brauchte etwas Neues, was ich malen konnte ...«

»Es ist ... wow ...« , unterbrach ich sie.

»Positiv oder negativ?« , fragte sie mich.

»Definitiv positiv. Vergessen wir einfach mal das du mich, ohne zu fragen, gemalt hast, aber ... du hast mich perfekt getroffen.«

»Danke.«

»Wie hast du es so ... lebendig bekommen?«

»Die Augen. Es liegt immer an den Augen, wie lebendig dein Bild wirken soll.«

Ich trat näher heran und betrachtete meine, von ihr gemalten Augen. Sie näherte sich mir von hinten und zeigte auf die genauen Schattierungen. »Du musst sie regelrecht zum Leuchten bringen.« , fügte sie noch hinzu. Ihr Atem erreichte meinen Nacken und ich schloss kurz meine Augen, bis mich das kribblige Gefühl übermannte und ich wieder mal ein wenig aufzuckte.

Ich drehte mich um und sah in ihre dunklen Augen.

»Ist alles okay bei dir?« , fragte sie mich.

Ich nickte nur und entfernte mich leicht von ihr. Ich merkte die Hitze, die langsam in mir aufstieg. Was war nur los mit mir?

Mein Handy begann plötzlich zu vibrieren und ich zog es schnell heraus. Maries Name blinkte auf.

»Warte kurz.« , entschuldigte ich mich bei Engel und nahm den Anruf entgegen. »Ja?«

»Heeeey.« Marie hatte schon immer die Angewohnheit gehabt, das Hey in die Länge zu ziehen. »Wie geht es dir, Dag?«

»Ganz gut und dir?«

»Ja auch.«

Kurze Stille. Engel lächelte mir freundlich zu, während sie das Porträt von mir wieder abdeckte. Meine Mundwinkel hoben sich wie von selbst an, als ich sie ansah.

»... ja und ich wollte halt wissen, was du davon hältst?... Dag?... Bist du noch dran?«

»Was?« , fragte ich, erschrocken darüber, wie sehr Engel mich in ihren Bann gezogen hatte.

»Ich wollte wissen, ob du dieses Wochenende nicht mit zu Krissy willst? Ich könnte dich abholen. Kleine Party und so.«

»Warum?«

»Weil wir doch noch Freunde sind.«

»Es tut mir leid Marie ...« , begann ich. »... aber ich kann nicht. Ich habe schon etwas vor.«

»Vielleicht ein andermal?«

»Ja... vielleicht.«

»Tschau Dag.«

»Tschau.«

Ich stopfte mein Handy wieder zurück in meine Hosentasche.

»So eins haben viele, oder?« Ich nickte, aber sah sie mit gerunzelter Stirn an, weil ich nicht so recht verstand, was sie da von sich gegeben hatte. Zumindest machte es in meinem Kopf keinen  Sinn, weil ich kein Handy besaß, welches gerade voll im Trend war. »War das ... deine Freundin?« , fragte Engel des Weiteren.

»Nein.«

Sie lächelte mir wieder zu. Ich ging zu dem Fenster und blickte von dort aus in meine Wohnung. Ich sah obendrein, wie Jörg das Haus verließ und in irgendein Auto stieg.

»Fährt dein Vater weg?« Engel schaute ebenfalls hinaus.

»Er ist nicht mein Vater. Er ist die Ausgeburt der Hölle, die meine Mutter geheiratet hat.«

»Oh. Ich verstehe.«

Ich entfernte mich vom Fenster und ließ mich auf einer kleinen Couch nieder.

»Ja, dank ihm sind wir hier hergezogen.« , erwähnte ich beiläufig dazu.

»Dann sollte ich mich vielleicht bei ihm bedanken.« Engel setzte sich auf einen Hocker mit Rädern und fuhr damit bis zu mir. »Sonst hätte ich dich nicht kennengelernt.«

Ihre Grübchen wurden sichtbar und mir entwich ein Grinsen ... gepaart mit einem dämlichen Gelächter, als wäre ich zwölf. Ich räusperte mich und lehnte mich zurück, um erwachsener zu wirken.

»Du machst Musik?« Sie zeigte aus dem Fenster, um mir irgendwie zu zeigen, das sie es gesehen hatte und daher Bescheid wusste.

Ich nickte.

»Könntest du mir ... irgendwann mal ... auch etwas zeigen?«

Ich versuchte, einen klaren Kopf zu bewahren, doch bei jedem Lächeln ihrerseits schmolz ich dahin. »Ich glaube nicht, das du das so toll finden wirst. Und du hast bestimmt auch Besseres zu tun mit deiner Zeit, als mir ...« , begann ich, allerdings fiel sie mir direkt ins Wort.

»Nein, du kannst gerne noch etwas bleiben.«

Und das tat ich.

Ich vergaß die Zeit. Den ganzen langen Tag war ich bei Engel und sie malte, während ich auf meiner Gitarre spielte, die ich zwischenzeitlich geholt hatte. Die Melodien flossen regelrecht aus mir heraus.

So viel Spaß hatte ich schon ewig nicht mehr gehabt.

Erst als ich zufällig durch ihr Fenster schaute, bemerkte ich, wie dunkel es draußen geworden war. »Ich habe vollkommen die Zeit vergessen.« , schreckte ich sofort auf, bis mir einfiel, dass eh niemand zu Hause auf mich wartete.

»Aber es hat Spaß gemacht.« , sagte Engel und tippte ihren Pinsel auf meiner Nase ab.

»Willst du aus mir ebenfalls ein Kunstwerk machen und mich mit Schattierungen verschönern?«

»Du bist bereits ein Kunstwerk. Du bist einzigartig und perfekt, so wie du bist.«

Ich bemerkte, dass ich verlegen wurde. Wie hatte sie es nur geschafft, mich innerhalb eines Tages so dermaßen aus der Bahn zu werfen? Ich war kein Typ, der sich schnell auf jemanden einließ. Selbst bei Marie, die ich schon von Kind an kannte, ließ ich mir viel Zeit. Doch Engel war anders ... Irgendetwas an ihr faszinierte mich. Ihre Ausstrahlung zog mich magisch an.

Bevor ich ging, sah ich mir nochmal das Bild an, was sie von mir gemalt hatte. In der Zeit, wo ich Gitarre gespielt hatte, hatte sie es noch etwas mehr perfektioniert. Trotzdem wollte sie keine Farbe mit ins Spiel bringen. Engel meinte, manche Gemälde sind in Schwarzweiß am schönsten.

»Möchtest du es mitnehmen?« , fragte sie mich.

»Nein, das ist deines. Ich war nur das Modell ... unwissend.« , lachte ich.

Sie schmunzelte.

Wir beide gingen die Stufen hinunter und ich sah mich etwas in der unteren Etage um. Niemand war da. »Sind deine ... Eltern nicht da?«

»Meine Mutter starb, als ich noch ganz klein war und mein Vater ... nun ... ich bin alleine.«

»Oh ... oh ... das tut mir leid. Ich wollte keine Wunden aufreißen.«

»Es ist schon okay. Ich bin seit geraumer Zeit auf mich gestellt.«

Ich öffnete die Türe und sah auf die dunkle Straße. Eine ältere Frau spazierte vorbei und blickte mich stirnrunzelnd an.

»Kommst du morgen wieder?«

Ich drehte mich um zu Engel und nickte mit einem Lächeln im Gesicht.

»Gute Nacht Dag.«

»Gute Nacht Engel.«

Ich verließ ihr Grundstück hin zu meinem Wohnhaus zurück. Und das tat ich unbewusst tanzend und summend mit meiner Gitarre in der Hand. Jörg war zum Glück noch nicht da.

Verträumt hüpfte ich die Stufen hinauf.

Ich fühlte mich seit Langem mal wieder richtig gut.

Meine Zimmertüre öffnete ich. Mit einem Tritt hinter mich fiel sie ins Schloss. Ich wollte mir gerade mein Oberteil ausziehen, als mir mein Fenster aufs Neue einfiel. Schon lächelnd ging ich zwei Schritte mehr nach links. Engel stand da und winkte mir verlegen zu. Auch von weiten war ich in der Lage ihre Grübchen zu erkennen. Ich hob ebenfalls die Hand und hauchte ein tonloses Schlaf gut von meinen Lippen, bevor ich den Vorhang zuzog.

Du und ich, nur wir beideWo Geschichten leben. Entdecke jetzt