ᴷᴬᴾᴵᵀᴱᴸ 29

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»Wo warst du?« Vincent sah mich wütend an, als ich das Schulgebäude wieder erreichte.

Ich hatte die Zeit vergessen, nachdem ich danach noch mit Engel geschlafen hatte. Was ein echt seltsames Gefühl war, nun wo ich wusste, das sie ... gar nicht richtig da war.

»Sorry hatte 'ne Freistunde und bin schnell was mampfen gegangen.« , log ich ihn an.

»Ah erzähl' das der Parkuhr. Ich weiß, das du in der dritten Stunde schon aus dem Klassenzimmer geflogen bist.«

»Dann hatte ich halt gewollte Freistunden. Wen juckt's?«

»Mich juckt's. Und zwar gewaltig.« , maulte er. »Wo warst du? Und sag mir jetzt nicht das, was ich denke.«

»Und wenn?«

»Dag, sie ist nicht real.«

»Doch das ist sie.« , sagte ich. »Sie ist da. In dem Haus.«

»Nein. Das bildest du dir nur ein. Verstehst du nicht, dass ich dir damit nur helfen will?«

»Doch. Du bist mein bester Freund. Deswegen verstehe ich dich. Ich würde dasselbe für dich tun.«

»Und warum ... warum ... latschst du wieder zu diesem Scheiß verfickten Haus?«

Mit den Händen in den Hosentaschen ging ich neben ihm. »Sie ist tot Vinne. Sie hat sich umgebracht.«

»Damit willst du mir jetzt sagen, du siehst sie nicht mehr?!«

Ich schüttelte meinen Kopf. »Nein. Deswegen siehst du sie nicht.«

»Was?« Er blieb stehen und hielt meinen Arm fest. »Was laberst du?«

»Sie hat sich umgebracht. Sie ist da ... aber auch irgendwie nicht.« , gab ich als Erklärung wieder. »Ich sehe sie ... und du nicht.«

Vincent kniff ein Auge zu, als er schließlich seinen Kopf in den Nacken fallen ließ. »Du willst mir jetzt sagen, das du einen toten Menschen siehst, Haley Joel Osment

»Das ist nicht witzig.« , sprach ich als er mich wie den Hauptdarsteller von The Sixth Sense betitelte.

»Lache ich?« Er zeigte in sein Gesicht. »Ich will nur verstehen, was du da faselst ... oder glaubst zu sehen.«

»Ich weiß, wie sich das anhören muss. Aber du hast selbst die Bilder gesehen, die sie gemalt hat.«

»Ja. Ich hab Bilder gesehen. Aber ... Dag, du sagst mir gerade, dass du ein Mädchen siehst, die ... nicht mehr lebt. Das ist ... nicht möglich.«

»Und wenn doch?«

»Dann ... keine Ahnung.«

»Vincent, sie ist da. Ich schwöre es.«

Er ließ sich auf die Bank der Haltestelle nieder und rieb sich mit geschlossenen Augen immer wieder die Stirn, bis er schließlich scharf Luft einsog und sprach. »Okay. Gehen wir einfach mal davon aus ... es ist so. Du siehst ein totes Mädchen. Du bist in einer ... Beziehung mit ihr und ... hast du schon mit ihr ge- ... öh ... pimpert?« Er sah mich ein wenig neugierig gemischt mit einem Ich-will-es-besser-nicht-wissen-Blick an. Ich nickte. »Ehm ... okay?! Also sind wir doch eher in Scary Movie gerutscht, statt in The Sixth Sense

»Du bist immer noch nicht witzig.« Trotzdem fingen wir beide ein wenig an zu lachen.

»Und ... jetzt willst du für den Rest deines Lebens nur noch in dem Haus hocken?«

Ich schüttelte meinen Kopf. »Sie ... ihre Zeit ist bald um.« Ich erklärte ihm alles, was Engel mir erzählt hatte. Nicht nur dem Umstand, dass dies ihre vierzigjährige Strafe war, sondern auch das sie das Haus nicht verlassen konnte. Wie sie mir später zusätzlich berichtet hatte. Sie war an Ort und Stelle gebunden. Dort, wo sie ihr Leben verlor.

Vincent hörte mir interessiert zu. »Okay, es soll ja Menschen geben, die die Präsenz von Geistern und Seelen spüren können.« , sagte er.

Ich lächelte. Er sah mich nicht als verrückt an. Ich konnte nicht anders, als ihn in diesem Moment zu umarmen. Am liebsten hätte ich sogar losgeheult, doch das versuchte ich so gut, wie es nur ging zu unterdrücken. »Danke.«

»Hey bedank' dich nicht zu früh. So ... komplett drin bin ich nicht, aber ... ich bin dabei. Egal, was es heißt, aber ... ich lasse dich nicht alleine.« Er drückte mich nochmal kurz an sich. »Es ist schon ... nicht leicht, zu verarbeiten, wenn du mir sagst, was da jetzt genau ... vonstatten geht, aber ... wie kann ich dir helfen?«

Ich war mir sicher, dass er mir zu dem Zeitpunkt noch nicht glaubte, und dennoch war er für mich da und versuchte es zumindest. Das rechnete ich ihm haushoch an. Nicht jeder hätte das getan.

Aber die Freundschaft zwischen mir und Vincent war schon immer etwas Besonderes. Von Tag eins an.

Das er es sich anhörte und vernünftig mit mir sprach, war mit extrem wichtig.

Auch wenn er mir vorher verboten hatte, das Haus weiter zu betreten, machte er nun eine Ausnahme.

Vielleicht weil ich ihm ein Ende voraussagte?!

Oder weil er mir ganz tief im Innern irgendwie doch sofort glaubte.

Er ging trotzdem erstmal mit zu mir nach Hause um seine Klamotten, die er bei mir hatte zu holen. »Vielleicht bist du auch eher die mit den dicken Titten.« , sagte er plötzlich und unerwartet.

Ich schloss meine Türe auf. »Wer?«

»Da, die Serie mit der ... wie hieß die nochmal?« Er überlegte und folgte mir in den Raum hinein. »Jennifer Love Hewitt

»Ghost Whisperer

»Ja. Vielleicht ... sollst du ja ihren Tod aufklären und ...«

»Sie hat sich selbst dazu entschieden.«

»Ja aber ... meinst du nicht, es gibt einen Grund, wieso du ... sie sehen kannst?«

Ich zuckte mit den Schultern. »Ich weiß und verstehe eigentlich gar nichts.«

»Willkommen im Club. Ich habe jetzt die ganze Zeit darüber nachgedacht und ... wenn das echt wahr ist Dag, dann ist das schon ... gibt es da keinen, an den man sich wenden kann?«

Ich sah ihn mit einer hochgezogenen Augenbraue an. »Wen denn? Peter Venkman und Dr. Egon Spengler?« Ich summte das Intro von The Ghostbusters.

»Du bist auch nicht witzig.« Und wieder lachten wir beide trotz alledem. »Nein, aber ... es muss doch jemanden geben, an den du dich wenden kannst.« , meinte er, nachdem er anfing, seine Sachen sorgfältig zu packen.

»Und dann?«

»Kein'n Plan. Aber ... ich meine, du sagtest, sie wird gehen. Verschwinden. Ich will nur, dass du dann eventuell jemanden hast, der sich mit diesem Verlust auskennt.« Er sah mich an. »Ich bin da für dich, aber ... vielleicht benötigst du dann mehr, um nicht ...«

Er sprach erst gar nicht weiter. Ich konnte mir auch so denken, was in ihm vorging. Ich versuchte, meine Mundwinkel anzuheben, als ich zu ihm sah ... einfach um ihm zu zeigen, dass ich es packen würde ... und um mich auf irgendeine Weise ebenso damit gleichzeitig selbst zu belügen.

Du und ich, nur wir beideWo Geschichten leben. Entdecke jetzt