Ich stand vor einem Haus und checkte trotzdem nochmal die Adresse, obwohl das Klingelschild mir bereits bewies, das ich am richtigen Ort war.
Langsam atmete ich tief ein und aus, dann klingelte ich.
Eine Frau, Mitte dreißig, machte mir auf. »Ja, bitte?«
»Ehm ... Hallo. Wohnt hier eine ... Frau Knautz?« Blöde Frage, da genau das auf dem Schild stand.
Sie runzelte die Stirn und betrachtete mich von Kopf bis Fuß. »Steht vor dir.«
»Ich mein' eine ... ältere Version?!« War das unhöflich? Aber es war ja so.
An diesem Tag hatte ich die Adresse von diesem Viktor herausbekommen. Auch wenn ich mir blöd dabei vorkam, erzählte ich ihm meine ... Situation. Einfach alles. Außer natürlich das ich eine Beziehung mit Engel führte. Ich minderte es in eine Freundschaft und erklärte ihm, wie sehr sie mir fehlen würde.
Erst war er skeptisch ... doch ich nannte ihm Sachen, die ich gar nicht wissen konnte, weil diese nicht in dem Artikel standen.
Anschließend gab er mir die Adresse des Mediums. Jene, die Engel hören konnte. Er machte mir keine Hoffnung und dennoch ging ich positiv gestimmt zu dieser Anschrift.
»Du meinst meine Mutter.« , sprach die Frau, die mir geöffnet hatte.
»Kann sein. Eine ... Renate Knautz.«
»Und was möchtest du von ihr?«
»Ehm ... sie stand in Kontakt ... mit ... einer Freundin von mir. Und ... ich benötige ... ihre Hilfe.«
Wie gehabt beglupschte sie mich. »Du willst 'ne Sitzung?« , hakte sie schließlich nach.
»Wenn es mich zu einem Gespräch führt, dann ja.«
»Hast du etwas von dem Verstorbenen bei dir? Sonst kann sie nicht Kontakt aufnehmen.«
»Ehm ... das muss sie nicht. Ich stehe selbst in Verbindung mit ihr.«
Sie sah mich ein wenig erstaunt an, bis eine Stimme hinter ihr erklang. »Du hast die Gabe?«
Ich sah an ihr vorbei in das Gesicht einer älteren Dame. Ich erkannte sie, denn dieser Viktor hatte mir ein Bild von ihr gezeigt. Damals war sie noch sehr jung, als sie von Günther Ferber den Auftrag bekam in dem Haus nach Engels Seele Ausschau zu halten. Das war natürlich schon vierzig Jahre her.
»Frau Knautz? Renate Knautz?« , fragte ich. Ungewollt hatte ich von Torfrock den Song Renate im Kopf. Völlig unpassend, aber der ploppte bereits auf, als Viktor mir den Namen genannt hatte.
- Volle Granate, Renate, Renate, Renate.
Zeitgleich dachte ich darüber nach, wie geil es wäre, wenn Vincent und ich Lieder hätten, wo man nur ein Wort hören würde und direkt den Song dazu im Ohr aufkäme.
»Ja, die bin ich.« , sagte sie und kam näher.
»Ich bin Dag. Dag-Alexis Kopplin.« , stellte ich mich vor.
Ihre Tochter, wie ich im späteren Verlauf erfuhr, trat beiseite und ließ mich eintreten, nachdem ich reingebeten wurde.
Renate, die mich direkt darum bat, sie bei ihrem Vornamen anzureden, führte mich in einen Wintergarten. Ihr Nachwuchs, Stefanie, setzte sich mit an den großen Tisch.
»Woher hast du meinen Namen?« , fragte sie mich.
»Ehm. Viktor. Viktor ...« Ich überlegte, wie sein Nachname war. »... Diezel?!«
Sie sah mich orientierungslos an. »Sagt mir nichts.«
»Ehm. also eigentlich ... ehm ... es ist schon Jahre har, da haben Sie für Günther Ferber ein Haus besichtigt.«
»Engel Ferber.« , kam leise aus ihrem Mund. »Ich erinnere mich.«
»Ja. Genau.«
»Das ist schon ... sehr sehr lange her.«
»Ja. Ich weiß.«
»Und was genau ... willst du hier? Was hat das mit dem Fall Ferber zu tun? Du sagtest vorhin, du stehst in Verbindung mit dieser Welt.«
»Mit Engel.« , antwortete ich. »Ich stehe in Kontakt mit Engel.«
»Du hast Kontakt zu Engel Ferber gesucht? Wie kamst du denn ausgerechnet auf sie? Und wann hast du bemerkt, dass du mit dieser seltenen Gabe geboren wurdest?«
»Ehm, also ... sie hat mich beobachtet. Ich wohne gegenüber von dem Haus, wo sie ... also auf jeden Fall, sind wird dadurch in Kontakt getreten. Und ... ich hatte das vorher auch nicht, oder generell. Zumindest ist mir das nie ...«
»Beobachtet?« Sie sah mich eindringlich an.
»Ja.«
»Du meinst ein ... Schimmer, den du zufällig wahrgenommen hast?!«
»Nein. Ich sehe sie so real, wie sie jetzt mich sehen.« , sprach ich und hoffte, sie wäre nicht mit grauen Star oder so garniert.
»Eine echte Erscheinung?«
»Sie ist da. Komplett. Sie schwebt nicht oder so. Bis vor Kurzem wusste ich nicht einmal das sie ... ist, was sie ist.«
»Du siehst sie?«
Ich nickte. »Ja.«
Ihren Blick konnte ich nicht deuten. »Sie besitzt eine menschliche Form ... und Gesichtszüge? Sie ...?«
»Alles normal. Ich kann sie berühren, ... und ...«
»Berühren?«
Ich kam mir vor, als wäre ich bei einer polizeilichen Befragung. Genau so nervös war ich auch. Meine Hände schwitzten und ich rieb mir diese an der Hose ab. »Ja, ich kann sie ... berühren, fühlen ... alles.«
»Wenn das stimmt, was du da sagst, dann solltest du fix die Handbremse ziehen. Du bist nämlich unter dem Umstand zu tief hineingerutscht und kannst beide Welten nicht mehr auseinanderhalten.« , mischte sich Stefanie ein.
Ich blickte zu Renate Knautz, deren Mimik sich noch immer nicht geändert hatte.
»Hat sie Recht?« , fragte ich sie daher.
Sie atmete tief ein. »Es gibt nur wenige Menschen, die dazu in der Lage sind, die andere Welt sichtbar zu erkennen. Und noch nie habe ich von so einer ... starken ... Aufnahmefähigkeit bisher mitbekommen.«
»Also ist es ... nicht gut?«
»Ob gut oder schlecht, sei mal so dahingestellt, aber was ich weiß, ist, dass man ... nicht zu sehr in diese Welt tauchen sollte.«
»Sonst?«
»Wirst du dich verlieren. Du lebst. Das ist nicht deine Welt.«
»Aber Engel ... ist meine Welt.«
Den Blick kannte ich, den sie mir nun widmete. Sie legte ihre Hand auf meine. »Ihre Welt ist nicht deine. Das reicht nicht für eine Liebesbeziehung.«
»Aber ...«
»Eine Liebe zwischen Leben und Tod ist nicht machbar. Engel wird ... nicht ewig bleiben.«
»Ich weiß. Deswegen bin ich hier.« , sagte ich. »Gibt es eine Möglichkeit, ... dass sie bei mir bleibt?«
»Nein. Die gibt es nicht. Du musst sie ... loslassen.«
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Du und ich, nur wir beide
FanfictionTriggerwarnung: SVV, Suizid Dag weiß nichts über das Mädchen, welches ihn seit seinem Einzug ständig aus dem Haus gegenüber beobachtet. Engel lebt komplett zurückgezogen und vermeidet jeglichen Kontakt mit anderen. Langsam und behutsam gelingt es i...