Spione im Wald

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Am Kamin lagen die Merry Men in ihre Decken gewickelt und schliefen. Louis setzte sich dicht ans Feuer auf eine Bank, schlang sich die Arme um den Körper und starrte in die Flammen. Eine Erleichterung machte sich in ihm breit, nachdem er Harry gesehen hatte und sich sicher war, dass er alles nur geträumt hatte. Das leise Raunen der Männer, die sich am Tisch besprachen, klang zu ihm hinüber und machte Louis schläfrig. Obwohl er an den warmen Flammen saß, hatte er eine Gänsehaut, denn die Luft im Saal war kühl. Neben ihm bewegte sich etwas und Liam tauchte aus dem Gewirr von Körpern auf, gähnte und blinzelte Louis verschlafen an. Er gab einen erstaunten Laut von sich, wickelte sich dann in seine Decke ein und stand umständlich auf, wobei er versuchte, nicht auf die anderen zu treten, die eng beieinander lagen. Als er er geschafft hatte, zu Louis zu balancieren, setzte er sich neben ihn auf die kleine Holzbank am Feuer. Weil Louis immer noch leicht zitterte, legte Liam ihm seine Decke über die Schultern, sodass sie nun beide darunter saßen. „Danke Liam." murmelte Louis und lächelte ihn an. Sein Freund streckte eine Hand aus und legte sie auf Louis Brust, genau dorthin wo sein Herz schlug. Sie senkten beide den Blick auf Liams Hand und er sah ihn fragend an. „Es geht mir ganz gut...zumindest habe ich mich mit Lady Taylor abgefunden, falls du das wissen willst." Liam nickte und machte einen erleichterten Eindruck. „Wie geht es dir, hast du noch Schmerzen?" fragte Louis leise und deutete auf Liams Hals. Er zuckte mit den Schultern und wickelte den schmalen Schal ab, den er immer trug um die Narben ein wenig zu verdecken. Liam zog seinen Hemdkragen ein wenig nach unten und streckte den Hals: die Narben waren noch immer sehr stark zu sehen und die neue Haut, die sich in den tiefen Löchern gebildet hatte, war hell und glänzte im Licht des Feuers. Vorsichtig berührte er die Haut mit einem Finger und strich darüber. Liam zuckte nicht zurück, sondern ließ die Berührung zu. „Das sieht wirklich schon gut aus." murmelte Louis und deutete auf die verzogene Haut. Beinahe hatte es den Anschein, als sei Liams Hals aus Wachs, das zu nahe am Feuer gestanden hatte; die Oberfläche war verzogen und warf seltsame Falten. Liam nickte und legte sich den Schal wieder um, dann blickte auch er in die Flammen. Zu ihren Füßen drehte sich Leofwine auf den Rücken und begann zu schnarchen. Es war so laut, dass Louis lächeln musste, obwohl ihm eigentlich nicht so sehr danach war. Ed, der neben Leofwine lag, wachte an seinem Schnarchen auf, hob den Kopf und stupste seinen Freund an. Der ließ sich allerdings nicht beirren und schnarchte weiter. Ed seufzte, nahm sein Halstuch ab und stopfte es Leofwine kurzerhand in den Mund. Augenblicklich verstummte er und schlug die Augen auf. Er schien sich ziemlich erschrocken zu haben und sah verirrt aus, während er sich den Knebel aus dem Mund nahm und sich leise bei Ed entschuldigte. „Louis...wir sind fertig...willst du mitkommen?" Harry war zum Kamin herübergekommen und stand nun direkt hinter ihnen. „Du siehst unglaublich müde aus...komm." Louis erhob sich, gab Liam die Decke zurück und umarmte ihn dankbar. Neben ihm zu sitzen, hatte ihn ruhig werden lassen und er fühlte sich nicht mehr ganz so aufgewühlt. „Bis morgen...schlaf gut."

Hand in Hand gingen sie zurück in ihre Kammer, wo es noch immer angenehm warm war. „Das war ein langer Tag." seufzte Harry und löste die Bänder die sein Wams an den Ärmeln schnürten. Louis krabbelte sofort unter die Decke und zog sie sich bis ans Kinn, während er Harry dabei zusah, wie er seine Kleidung ablegte und schließlich nur in einem grauen Hemd bekleidet ebenfalls ins Bett schlüpfte. „Willst du mir erzählen, wieso du vorhin dachtest, ich sei tot?" fragte er und zog Louis in seinen Arm. Sofort schossen wieder die Bilder in Louis' Kopf: die toten Merry Men und Harry, der von Benjamin hingerichtet wurde. Er fuhr sich mit der Hand übers Gesicht und seufzte, versuchte sich zu sammeln und sagte dann leise: „Ich hatte einen Traum...wir hatten gegen Benjamin gekämpft. Alle Merry Men waren tot, ich war verwundet und musste dabei zusehen, wie Benjamin dich erschießen wollte. Er hatte dich verhöhnt und als er den Pfeil abgeschossen hat, habe ich mich vor dich geworfen. Aber der Pfeil war lang genug, um uns beide zu treffen. Dann bin ich aufgewacht, weil ich aus dem Bett gefallen bin..." Harry sagte nichts, aber Louis sah aus dem Augenwinkel, dass er lächelte. „Das ist nicht zum Lachen." protestierte er und wandte sich ihm zu. „Tut mir Leid. Nein, du hast Recht. Natürlich ist es nicht zum Lachen. Mich hat es auch eher amüsiert, dass du aus dem Bett gefallen bist...aber einen solchen Traum zu haben, ist natürlich schrecklich...einen geliebten Menschen zu verlieren, ob im Traum, oder in der Wirklichkeit, ist eine Qual." Er drehte den Kopf und sah Louis in die Augen, dann murmelte er: „Es tut mir Leid, dass ich dir so viele Sorgen bereite." Irritiert über diese Aussage, runzelte Louis die Stirn und stützte sich auf den Ellbogen auf, sodass er nun auf Harry hinuntersehen konnte. Er durfte sich keine Vorwürfe machen, dafür, dass er der war, der er war. Niemand konnte etwas dafür, wie alles gekommen war. Die Geschehnisse hatten nun einmal ihren Lauf genommen und Niemand würde etwas dagegen tun können. „Das ist nicht deine Schuld...du gibst dein Bestes, um allen gerecht zu werden. Was wäre ich für ein Mensch, würde ich dir da einen Vorwurf machen." - „Du bist ein Schatz, weißt du das? Ich wüsste nicht, ob ich so reagieren könnte, wenn ich an deiner Stelle wäre." Harry sprach leise und bedacht, während seine grünen Augen ein wenig glänzten. Eine Träne bildete sich in seinem Augenwinkel, rann ihm über die Wange und verschwand in den dunklen Locken, die sich auf dem Fell ausgebreitet hatten. Louis beugte sich vor und verband ihre Lippen miteinander. Sofort griff Harry in Louis Nacken, zog ihn auf sich und erwiderte den Kuss. Die Dankbarkeit war deutlich zu spüren und sorgte dafür, dass Louis' Ängste, die der Traum in ihm ausgelöst hatten, immer kleiner wurden. Die Küsse, die sie teilten, wurden sanfter und langsamer, sodass sie irgendwann verebbten und er sich wieder in Harrys Arm kuschelte und die Augen schloss.

Der verlorene KönigWo Geschichten leben. Entdecke jetzt