Ein Netz an der Decke

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Sie waren noch beinahe den ganzen Tag unterwegs und erreichten erst bei Dämmerung die Burg, die Louis mit so vielen schlimmen Dingen in Verbindung brachte. Mittlerweile hatte man ihn wieder auf seine Füße gestellt, nachdem er aufgehört hatte, sich zu wehren und er musste selbst gehen, was mit auf dem Rücken gebundenen Händen gar nicht so einfach war. Der Weg zur Burg hinauf, wand sich in gleichmäßigen Biegungen zwischen hohen Bäumen hindurch, die sich lichteten, je näher sie der Burg kamen. So konnten die Wachen des Königs potentielle Angreifer bereits von Weitem gut sehen. Louis taten die Füße weh und er stolperte ab und zu. Er war immer schwächer, doch ob es daran lag, dass er nichts gegessen hatte, oder nicht wusste, wie es Harry ging, konnte er nicht sagen. Anfangs hatte er sich immer wieder umgesehen in der Hoffnung, Jemanden zu entdecken, der im Schutz der Büsche neben ihnen her schlich, doch er konnte nichts erkennen und hatte es irgendwann aufgegeben. Die Wachen Jonathans hielten sie am Tor auf und beäugten Louis misstrauisch, der gefesselt zwischen den Soldaten stand, das Haar zerzaust und die Kleidung schmutzig, weil man ihn in den weichen Waldboden gedrückt hatte. „Was wollt Ihr hier?" fragte einer ziemlich bissig und Prinz Niall trat vor: „Ich wünsche König Jonathan zu sprechen. Ich habe ihm etwas Wichtiges mitzuteilen. Lasst uns passieren. Wir kommen in Frieden." - „Ihr müsst Eure Waffen abgeben, bevor Ihr den Thronsaal betretet. Wenn Ihr dazu bereit seid, dann lasse ich Euch ein." sagte einer der Wächter und als Prinz Niall dem zugestimmt hatte, machten sie den Weg frei und sie konnten die Burg betreten. Mit einem erneuten Stoß in den Rücken wurde Louis dazu gezwungen, sich in Bewegung zu setzen und folgte.

Es hatte sich seit seinem letzten Mal hier nichts verändert. Er konnte die Mauer sehen, über die er in den Obstgarten geklettert war um den Apfel zu stehlen. Und auch heute war wieder Markt im Innenhof. Überall waren Kaufleute und Bauern zugange, schleppten Waren in Körben herum und wuselten geschäftig hin und her. Als die Soldaten aber mit strengen Mienen und schnellen Schritten auf sie zukamen, machten alle rasch Platz und senkten demütig die Blicke. Niemand wollte aufmüpfig wirken, oder wagte es, Fragen zu stellen und so taten sie alle einfach so, als sähen sie Louis nicht, der verängstigt zwischen den Soldaten mitgezogen wurde.

An den Innenhof grenzte eine große Treppe, die hinauf an ein hölzernes Tor führte, vor dem ebenfalls zwei Wachen standen. Prinz Niall bedeutete seinen Männern, am Fuß der Treppe zu warten. Er ging auf Louis zu, griff in das Seil, das ihm die Hände auf den Rücken zwang und schob ihn dann vor sich die Treppe hinauf. Es waren recht niedrige Stufen und man hatte das Gefühl, niemals Oben anzukommen. Doch irgendwann war man dort und sie standen vor den beiden Wachmännern. Diese trugen prächtige Brustpanzer und eine steinerne Miene im Gesicht. „Ich möchte zu König Jonathan vorgelassen werden." verlangte Prinz Niall mit fester Stimme. „Wen darf ich anmelden?" - „Prinz Niall. Ich war bereits vor einigen Tagen hier." sagte er und der Wachmann wandte sich um, um den Thronsaal zu betreten. „Ihr müsst Eure Waffen abgeben." forderte der andere Wachmann und bekam von dem Prinzen sein Schwert ausgehändigt. „Was ist mit ihm?" Louis wurde lediglich mit einem Nicken bedacht: „Ihm habe ich bereits seine Waffen entwendet, seid unbesorgt."

Schwere Schritte kündigten den anderen Wächter an und er ließ die Tür offen stehen, nachdem er wieder an der frischen Luft auf seinem Posten stand. „Der König erwartet Euch."

Louis hob den Blick nicht, als er von Prinz Niall in den Thronsaal geschoben wurde. Er wollte den König nicht sehen. Wenn er sich nur vorstellte, dass dieser Mann schuld daran war, dass Harry keine Eltern mehr hatte, wurde ihm ganz schlecht und deswegen wollte er die letzten Momente noch genießen, in denen sich hinter dem Namen „König Jonathan" noch ein Gesichtsloser verbarg. Die Halle schien größer zu sein, als die des Prinzen, denn ihre Schritte hallten viel lauter von den Wänden wider und sie gingen lange, bis sie endlich zum Stehen kamen. „Oh, Prinz Niall, was verschafft mir die erneute Ehre Eures Besuches?" fragte eine kräftige, männliche Stimme. „Eure Majestät, ich bringe Euch Jemanden, den ihr sicherlich schon lange sucht." sagte der Prinz, griff Louis ins Haar und zog seinen Kopf nach oben, damit er den König anblicken konnte und der Herrscher auch ihm ins Gesicht sah.

Der verlorene KönigWo Geschichten leben. Entdecke jetzt