12. Brielle

86 17 11
                                    

Ich komme viel zu früh in der Schule an. Es ist so früh, dass kaum ein Auto auf dem Parkplatz steht und ich einem Hausmeister begegne, der frische Mülltüten in die Tonnen legt. Er beachtet mich nicht weiter, also gehe ich an ihm vorbei, meine Schultasche in einer Hand, meinen Hockeyschläger in der anderen. Ich hab ein Training mit Nate und Austin ausgemacht und keine Lust, wieder einen der Schläger vom Center zu nutzen, die sich nicht gut in meiner Hand anfühlen. Da mein Dad früh ins Büro musste, hat er mich mitgenommen, aber die Belohnung für gebracht werden, ist lediglich, dass ich mehr als genug Zeit habe, bis irgendjemand ankommt, den ich kenne.

Um nicht unnötig in einem leeren Klassenzimmer oder auf irgendeiner Bank herumzulungern, entscheide ich mich, mit der Aufgabe für Mrs. Lawrence weiterzumachen. Der alte Klassiker ist zwar klein und dünn, aber die Schrift ist so unnatürlich klein, dass es sich trotzdem anfühlt, als ich würde ich einen dicken Wälzer lesen, wann immer ich ein Kapitel überfliege.

In der Bibliothek ist um diese Zeit natürlich niemand. Das Licht ist aus, die Tür nur angelehnt und ich nehme mir vor, dass ich zumindest zwei Kapitel lesen werde, als ich ein Geräusch vernehme. Kurz darauf weht eine leise brummende Stimme zu mir herüber. „Sei leiser", sagt eine Jungenstimme.

„Beruhige dich, um diese Zeit ist doch niemand hier", erwidert ein Junge, dessen Stimme mir unnatürlich bekannt vorkommt. „Außerdem wolltest du dich treffen."

Eiskalt realisiere ich, wer dort spricht. Quinn. Ich gefriere auf der Stelle. Ungerne will ich wieder etwas hören, das ich nicht hören soll. Ich stehe inmitten der dunklen Bibliothek, viel zu früh bevor überhaupt jemand hier sein sollte und allem Anschein nach hat Quinn die gleiche Idee gehabt.

„Ja, aber ich wollte mich nicht hier treffen. Was ist, wenn der Hausmeister kommt?", fragt die erste Stimme.

„Was soll dann sein? Meinst du, er erzählt überall rum, was wir hier machen?", erwidert Quinn genervt. „Gott, stell dich nicht so an, wer soll schon hier sein? Es ist kaum halb Sieben, nicht mal die Zwillinge waren wach, als ich los bin und die haben die ersten Stunde mit uns."

„Keine Ahnung, vielleicht hat ja noch jemand vor, sich früh morgens in der Schule zu treffen, um rumzuknutschen", sagt der andere. „Auch wenn es dafür wesentlich bessere Orte gibt."

„Okay, aber ich werd mich nicht mit dir im Park treffen, wenn wir Schule haben", antwortet Quinn lachend. „Und jetzt sei du mal leise, sonst hört jemand dich."

Oh Gott, denke ich. Oh Gott, warum musste ich auch wie eine gute Schülerin in die Bibliothek gehen? Es wäre so viel einfacher, wenn ich mich irgendwo hingesetzt und Däumchen gedreht hätte, aber natürlich musste ich mich dazu entscheiden, einmal in meinem Leben Hausaufgaben zu machen. „Shit", fluche ich leise. Ich wende mich um und versuche so leise wie möglich wieder aus der Bibliothek zu verschwinden, aber es ist dunkel und das Licht vom Flur strahlt nicht in die Ecke, in der ich stehe, deswegen stoße ich mit dem Fuß gegen eins der Regale und ein lautes Zischen entkommt mir.

„Scheiße, hast du das gehört?", fragt der erste Junge panisch klingend. „Ich wusste –"

„Sei doch mal ruhig", zischt Quinn.

In meinem Versuch, aus dem Raum zu huschen und niemanden anmerken zu lassen, dass ich irgendwas gehört habe, gehe ich die falsche Richtung. Ich bleibe abrupt stehen, als ich Quinn in die Augen sehen. Und dann, weil ich nicht anders kann, rutscht mein Blick an ihm vorbei und ich sehe das aschweiße Gesicht von Lucas.

„Oh", ist alles, was ich sagen kann.

„Scheiße", murmelt Quinn. „Hey, Brielle", fügt er dann etwas lauter hinzu. „Was machst du denn so früh hier?"

Everything (And Nothing) Has ChangedWo Geschichten leben. Entdecke jetzt