12. Kapitel

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Ich habe die ganze Nacht nicht mehr geschlafen. Zu groß war die Angst wieder schlecht zu Träumen. Ich weiß, dass ich immer, wenn ich schlafe, schlecht Träume. Soll ich Abby davon erzählen?, fragen ich mich. Apropos Abby... sie hat bis ein Uhr leise vor sich hin geredet. Ich habe leider nichts verstanden, aber ich mache mir ein bisschen Sorgen.

Durch die Vorhänge kommt schwaches Sonnenlicht. Ich überwinde mich und stehe auf. Mit bedachten Schritten gehe ich zum Fenster und wage einen Blick nach draußen. Ein herrlicher, blauer Himmel und herbstliches Licht empfangen mich.
Die Bäume sind so gut wie kahl und das Laub türmt sich neben den Wegen, die zu den Häusern hochführen. Nur Abby's Vorgarten liegt voller Laub und sieht somit netter aus, als die anderen.

Ich trete zurück und gehe runter in die Küche, um mir einen Tee zu machen. Vorher ziehe ich mir aber noch Socken an, denn es ist ziemlich frisch.

Als ich dem beruhigendem Geräusch des kochenden Wassers zu höre, lasse ich meinen Blick über die Straße schweifen. Nichts weiter spannendes, nur die üblichen noblen Häuser, die man in England kennt.

Doch ein schwarzer Mercedes stört das Bild.

Er steht schräg gegenüber vom Haus. Ich glaube, drinnen sitzt ein Mann. Durch die stark getönten Scheiben sehe ich so gut wie nichts, kann nur einen Schatten erahnen. Als sich dieser bewegt bin ich mir absolut sicher, da sitzt jemand drin. Angestrengt kneife ich die Augen zusammen und versuche etwas mehr zu erkennen.

"Ich glaube dein Teewasser verkocht grade.", reißt mich Abbys Stimme aus meinen Beobachtungen.

Ich drehe mich um und sehe das süßeste, was ich je gesehen habe, glaube ich jedenfalls.
Abby steht mit verschlafenem Gesichtsausdruck, einem offenen Bademantel und zerknitterten Schlafsachen vor mir. Ihre kurzen Haare stehen wild vom Kopf ab.

"Guten Morgen.", lächle ich. "Morgen. Machst du mir auch einen?" Sie deutet auf den Tee. "Klar."

Bis ich ihr den Tee auf den Tisch stelle, sagt niemand mehr etwas.
"Hast du gut geschlafen?", frage ich dann vorsichtig. "Hmm... ja. Wieso fragst du?" "Ich hab dich noch lange... reden hören." Etwas verlegen sehe ich meine Füße an.
"Oh... haha... ich denke laut. Schlechte Angewohnheit von mir.", sagt sie peinlich berührt und dreht ihren Kopf nach rechts, damit ihr Haar, dass rot gewordene Gesicht bedeckt.

Ich finde diese Angewohnheit eher liebenswert...

"Und wie hast du geschlafen?", wechselt sie schnell das Thema. Ich schmunzele über diese Tatsache, sehe dann auf und blicke sie einfach nur an.
"Es geht ich... ich hab schlecht geträumt."

Abby nickt nur, verzieht das Gesicht schmerzhaft und trinkt weiter ihren Tee. Irgendwie hätte ich mir gewünscht, dass sie nachfragt, was ich geträumt habe. Ich hätte es ihr gerne erzählt, wenn ich es gekonnt hätte. Aber ich will es ihr nicht unter die Nase reiben. So stehe ich also da und starre auf den Boden bis Abby aufsteht und beginnt ihre Tasse abzuwaschen. Sie steht jetzt neben mir und ich beobachte sie heimlich von der Seite.

Ihre kleinen Hände wischen in der Tasse herum und sie blickt aus dem Fenster, welches vor der Spüle ist. Ihre blauen Augen schweifen über die Straße und bleiben am schwarzen Mercedes haften. Kurz stoppen ihre Bewegungen und ich meine, sie hört kurz auf zu atmen. Dann spült sie weiter und sieht zu mir hoch. "Bist du fertig?" Ich sehe sie verwirrt an. "Mit trinken.", sagt sie mit Nachdruck. "Oh, äh, ja." Schnell gebe ich ihr die Tasse und gehe zum Tisch, lehne mich an diesen und beobachte Abby von hinten. Nicht das ich ihr auf den Arsch starre, na gut vielleicht ein bisschen, aber ich beobachte mehr, wie sie steht, wie sich ihre Schultern und ihre Kopf bewegen.

Ich will alles von ihr mitkriegen und alles aufnehmen. Ich habe das Gefühl, dass ich von ihr lernen muss, wie es funktioniert, ein Leben zu führen.

Lost | H.S. ✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt