[13] 21|Samstag

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Zum wiederholten Mal wacht sie auf. Doch jetzt widersteht sie dem Drang, erneut den Wecker zu befragen, wie spät es ist. Noch öfter muss sie Al nicht wecken. Wenigstens eine von ihnen darf erholt aus dieser Nacht kommen. Sie wird es nicht sein. Ganz leise – ungeachtet, ob Woody bereits bei ihren Puschen gewesen ist – schlüpft sie in ihre Puschen und verschwindet aus dem Schlafraum.

Ihr Weg führt sie direkt ins Kinderzimmer von Nika. Ihr Puls entschleunigt sich sofort, als sie die kleine Maus dort liegen hört.

Wieso nur?, fragt sie sich zum millionsten Mal. Was soll das alles? Was verspricht er sich davon?

Sie klatscht in die Hände und der Wecker in Form eines Teddybären sagt ihr, dass es gerade mal 3:48 Uhr ist.

Du dreckiges Nichtsnutz, schrie er ihr hinterher. Und noch einiges mehr. Wieder kullern ihr die Tränen runter. Wie lange soll ich das noch aushalten? Was, wenn er nun immer dort draußen lauert?

Panik packt sie auf einmal. Ihre Lungen sind wie abgeschnürt. Luft – Sie braucht Luft. Hastig steht sie auf und läuft durch die Wohnung zur Terrasse. Sie reißt die Tür auf und holpert raus. Atmen. Was, wenn er hier irgendwo ist? Schnell geht sie wieder hinein und lässt sich auf den Boden sinken.

„Ronnie?" Alice nähert sich ihr. „Ronja! Alles gut?"

Doch sie braucht nicht zu antworten. Al nimmt sie in ihre Arme.

„Er will nicht, dass ich Nikas Mama bin", schluchzt Ronja. „Weil ich behindert bin."

„Ronja. Alles wird gut. Lass uns darauf vertrauen. Wir schaffen das. Mit diesem Verhalten schadet er sich ..."

„Ich ... weiß, aber ..."

„Pscht. Kein aber. Wir warten auf Frau Winters Antwort."

Alice war so klug, ihr direkt gestern eine Nachricht auf den Anrufbeantworter zu sprechen mit dem Vorfall, auch mit den merkwürdigen Beobachtungsgefühlen, die Ronja hatte. Letzteres wird wahrscheinlich keinen Bestand haben, weil es keinen Beweis gibt. Weil ich nicht sehen kann.

◦◦◦◦◦◦

Einige Stunden – wie viele genau, weiß sie nicht – später erwacht Ronja. Dem Untergrund nach zu urteilen, liegt sie auf dem Sofa. Wie sie da hingekommen war, daran kann sie sich gerade nicht mehr erinnern.

„Al?", ruft sie in die Wohnung.

„Hier, ich bin hier", antwortet Al ihr sehr nah.

„Oh. Tut mir leid." Ronja realisiert, dass Alice auf der Ottomane des Sofas sitzt. „Ähm. Wie spät ist es gerade?"

„Wir haben es ... 9:12 Uhr."

„Was? Das ist ja schon total spät."

„Ja, na und? Ist doch gut, dass du noch schlafen konntest."

„Aber die Arbeit."

„Mh?"

„Wie mh? Heute ist doch Samstag oder bin ich schon total durch?"

„Nein." Alice kichert ein kleines bisschen. „Heute ist Samstag. Aber du hast in der Nacht zugestimmt, dich heute krankzumelden."

„Was? Niemals."

„Wenn du mir nicht glauben magst, öffne deine Nachrichten."

Ronja rappelt sich hoch, um zu überprüfen, was Alice ihr gerade mitgeteilt hat. War sie so derart durch den Wind? Bin ich immer noch. Jedoch so doll? Es kann irgendwie schon sein, dass sie eine Nachricht geschrieben hat. Ganz vage kommt da etwas in ihr Gedächtnis zurück. Wie Al es vorgeschlagen hat und sie es als dankbare Erlösung für den kommenden Tag empfunden hat. Dennoch kontrolliert sie schnell ihre Mails. Tatsächlich stimmt es. 

„Und nun?"

„Mach dich frisch und dann bringe ich dir einen Café. Klingt das nach einem guten Anfang?"

◦◦◦◦◦◦

Eine viel zu liebe Alice, deren fürsorgliche Blicke sich beinahe in sie einbrennen. Obwohl sie dankbar sein sollte, grummelt es in ihr drin. Ihr Magen zieht sich zusammen und ein Schweißfilm bildet sich vor Anspannung. Eine unerträgliche Luft liegt im Raum. Keinen Schritt kann sie machen, ohne beobachtet zu werden, ohne dass sie gefragt wird, ob sie Hilfe braucht. Langsam reicht es. Dabei müsste ich dankbar sein! 

„Ich gehe mit Woody ein bisschen raus", presst sie daher hervor. Ich muss erst einmal raus, einen frischen Kopf bekommen. 

„Soll ich mitkommen?"

„Nein, ich glaube, es ist ganz gut, wenn ich mal kurz abschalte, so für mich. Danke Al."

Schneller als nötig macht Ronja sich fertig und kann es nicht abwarten, nach draußen zu gelangen. Doch als sie die Leine von Woody – der ihr heute ausnahmsweise nicht böse ist, obwohl er ihre Puschen vermutlich nicht kontrollieren durfte – schnappt, bildet sich ein Knoten in ihr. Was, wenn er dort draußen ist?

„Alles gut?", dringt Alice' besorgte Stimme zu ihr durch, woraufhin sie nickt und aus der Wohnung verschwindet.

Bei jedem Schritt spürt sie ein Stechen, kommt das Gefühl emporgekrochen, dass irgendwo Tim lauert und nur auf den richtigen Moment wartet, sie anzusprechen, sie zu demütigen, ihr Angst zu machen und noch mehr. Damit ich Nika nicht als meine Tochter bekomme. Er wird mich noch brechen.

Zitternd und aufgewühlt betritt sie Joes Bäckerei. Ihren Kopf hält sie gesenkt.

„Ronja?" Da ist er schon. „Wollen wir uns hinten in die Ecke setzen oder willst du dich nach hinten in die Büroräume setzen? Oder soll ich dich nach oben in meine Bude bringen?", fragt Joe besorgt weiter. So viele Fragen. „Ronja, sag doch bitte etwas. Ich habe diese magischen Fähigkeiten nicht, die du hast." 

„Alles cool, Joe. Nach hinten an den Ecktisch reicht erst mal." Magische Fähigkeiten ... Gerne hätte ich sie.

Er geleitet sie dorthin. Während sie sich hinsetzt, geht er noch mal an den Tresen zurück.

Die altbekannten Geräusche der Kaffeemaschine erklingen, was sie zumindest etwas beruhigt. Zudem kann sie den Hauch des Aromas der Bohnen wieder wahrnehmen, der in der Luft hängt. Sie lehnt sich nach vorne an die Tischkante, atmet tief ein, stützt sich mit Ellenbogen auf dem Tisch ab, um ihren Kopf darauf abzulegen und atmet tief aus. 

◦◦◦◦◦◦

„Ich bin wieder da und habe jemanden mitgebracht!", ruft Ronja, als sie gerade durch die Wohnungstür hereinkommt. Neben ihr steht Joe.

„Oh hey Joe. Wir sehen uns doch morgen. Wie geht es dir, wie kommt es dazu?"

„Ganz gut eigentlich. Na ja, mal solche Tage, mal solche. Puh ... Ähm ja, wieso bin ich hier? Ich wünschte, es wäre ein schöner Grund ..."

„Alles halb so wild", winkt Ronja ab, was nicht stimmt.

„Was ist los? Ist irgendetwas passiert?", fragt Alice direkt ängstlich.

„Ronja bekam eine Panikattacke auf dem Weg zu mir und eben gerade, als sie nach Hause wollte auch. Deswegen habe ich sie begleitet. Ich schätze, du weißt, was gestern vorgefallen ist."

„Ja, leider. Also nicht, dass ich es weiß, sondern dass es passiert ist. Tim ey, dieser verkackte ..."

„Oh Alice. So kenne ich dich ja noch gar nicht", amüsiert sich Joe.

„Ist doch wahr und das ist noch viel zu nett. Wir haben ihm Chancen gegeben und Ronnie war da noch viel netter als ich beziehungsweise wollte sie ihm einiges zugestehen und er ... Der kann mich mal."

„Mensch Ronja, mit Alice sollte man sich wirklich nicht anlegen." Ronja schmunzelt ihm stolz und bestätigend zu.

„Na ja." Joe räuspert sich. „Noch mal kurz zur ernsten Sache. Ronja, ich denke, wir alle wissen, was alles dadurch bei dir ausgelöst wurde." Ronja schaut ihn böse an.

„Wie meinst du das, Joe?", hakt Alice nach.

„Shit!"

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