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Ist es wahr?
Nun ist es also vorbei.Halb liegend, halb sitzend befinden sie sich gemeinsam händchenhaltend auf dem Sofa. Doch Ronja hat sich hier auf der anderen Seite von Alice platziert, da diese ihr die linke Hand vorhin – oder ist es bereits nach 0 Uhr? Wahrscheinlich ... – extrem zerquetscht hat, sodass sie es noch immer spürt. Da sie die Couch ausgeklappt haben, sind ihre Beine ausgestreckt. Zu aufgekratzt waren sie, um ins Bett zu gehen und mittlerweile haben sie den Punkt verpasst, als sie müde wurden und sich hätten schlafen legen können.
Sie schätzt sich gerade glücklich, dass sie noch Überstunden hat und weiterhin keine fixen E-Mail-Beratungen für samstags anbietet, sodass sie nachher kürzer arbeiten kann und nicht so viel Kraft dafür aufwenden muss. Worüber denkt sie gerade nach?
„Wir haben es geschafft", flüstert sie zum wiederholten Male, weil sie es nicht glauben kann.
„Ja", flüstert Alice im gleichen Ton zurück. „Das haben wir."
Nachdem alle relevanten Unterlagen und Nachweise gesichtet sowie Beteiligten – teilweise mehrfach – befragt wurden, kamen sie zu diesem Beschluss. Zu der positiven Entscheidung, dass Ronja Nika adoptieren kann. Dass Ronja Nikas Mama sein darf. Auch offiziell und rechtlich anerkannt. Kann es sein, dass Tim doch noch seine innere Meinung auch bei Gericht kundgetan hat? Vielleicht werden sie es eines Tages erfahren. Sie würde ihm immer die Möglichkeit offenlassen, Kontakt zu Nika aufzubauen, sofern er sich adäquat verhält. Ihre rechte Hand wird sanft gedrückt.
„Ich liebe dich", haucht Alice ihr zu.
„Ich dich auch."
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Ein unangenehmes Geräusch reißt sie aus dem Schlaf. Oh Mist. Sie sind anscheinend doch eingeschlafen. Neben ihr liegt Alice. Dass der Wecker klingelt, bedeutet, dass es nicht mehr lange ist, bis sie anfangen muss zu arbeiten. Es war als eine Art Notfallwecker gedacht, von dem sie nicht geglaubt hatten, ihn zu brauchen. Mit einem freudigen Lächeln denkt sie an gestern. Allerdings wird sie im nächsten Moment von einer heftigen Welle gepackt, die sie zurück auf das Sofa drückt. War das ein Traum?
Eine streichelnde Hand von hinten begrüßt sie, doch sie ist zu verkrampft, um darauf eingehen zu können.
„Ronnie? Was ist denn los?", fragt Al voller Sorge in der Stimme und richtet sich sofort auf. Das Piepen des Weckers stoppt abrupt. Ronja dreht sich erwartungsvoll in Alice' Richtung. „Al. Ich bin so durcheinander. Ich weiß nicht, was ... stimmt und was nicht ..." Ronja senkt den Kopf.
„Ronnie." Alice Stimme verursacht ihr eine Gänsehaut. „Ronnie. Wir sind Nikas Eltern. Wir. Du und ich. Ganz offiziell." Mit jedem Wort ist Al näher zu ihr gerückt. Tränen laufen Ronja über die Wangen. Vor Freude und Erleichterung. Sie schmiegt sich an Alice an.
Als sie sich fangen konnte, stehen sie gemeinsam routiniert auf, begrüßen Nika in den Morgen und verteilen die Aufgaben. Nacheinander gehen sie ins Bad, während die jeweils andere einen Teil des Frühstücks vorbereitet. Als sie beide sich frisch gemacht haben, zieht sich Ronja um. Derweil Alice Nika versorgt, legt Ronja eine schnelle knappe Runde mit Woody ein. Auf ihre morgendliche Runde verzichtet sie, da sie es sonst nicht pünktlich zum Arbeitsbeginn schafft. Seinen Auslauf wird sie ihm im Garten geben können. Immerhin.
Wieder in der Wohnung empfängt sie der herrliche Duft von frisch aufgebrühtem Café. Sie erhascht einen Kuss von Al, gießt sich ihr Lieblingsgetränk ein, was dazu noch das schöne Gluckergeräusch beim Einschenken macht und verlässt die Küche, um sich an ihren Arbeitsplatz zu setzen. Woody ist bereits direkt in den Garten verschwunden. Hinter sich zieht sie die Wohnzimmertür zu.
Sie startet das E-Mail-Programm und hört die erste Mail ab. Noch einmal lässt sie die Mail abspielen, da sie zu unaufmerksam war. Doch dann findet sie in die Arbeit rein. Auch wenn sie ziemlich erschöpft ist – unter anderem durch die verkürzte Nacht, aber auch den Abfall der ganzen Anspannung der letzten Zeit –, begleitet sie ein wunderbares Glücksgefühl den Tag über. Sowie der Gedanke daran, dass sie – wirklich sie – Nikas Mama sein darf.
Schneller als sie dachte, verfliegt die Zeit. Zudem ist die Arbeit angenehmer gewesen, als sie befürchtet hatte. Statt um 18:00 Uhr macht sie heute bereits gegen 15:00 Uhr Schluss.
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Bei der Runde mit Woody kommt ihr eine Idee. Eine Idee zu etwas, was sie schon lange mit Alice wieder machen wollte. Daher geht sie, als sie von der Parkrunde zurückkommt, direkt auf Al zu, die gerade in der Küche am Waschbecken hantiert.
„Meinst du, du hast Lust, heute mal wieder mit mir zu malen?" Ronja hat sich hinter Al gestellt und ihre Arme nach vorne um sie geschmiegt.
„Und ich dachte, du hast jetzt etwas anderes vor ..." Al dreht sich um. „So, wie du gerade angekommen bist."
„Oh, daran habe ich gerade gar nicht gedacht", lacht Ronja. „Aber stimmt. Dafür haben wir sicherlich auch noch Zeit. Später." Sie fährt an der Seite von Als Körper angedeutet entlang. „Ganz sicher", raunt sie ihr zu und dreht sich dann um. „Also? Malen?"
„Du bist fies." Und dennoch kommt sie ihr lachend hinterher. Ronja ist schon mit Nika auf dem Arm ins Wohnzimmer vorgegangen. Dort hat sie die Kleine auf den Boden abgesetzt und stellt gerade die Staffelei auf. Alice holt die Farben.
„Wollen wir einfach drauf losmalen oder schwebt dir etwas vor?", fragt Alice nach.
„Ist mir egal. Ich habe gerade nichts Konkretes. Du? Wenn ja, darfst du mich gerne leiten."
Ob sie eine Spontaninspiration erhält oder nicht, Alice hat tatsächlich eine konkrete Vorstellung – zumindest möchte sie gerne etwas nach ihrem Gefühl malen. Ronja mag es sehr, wenn Alice ihre Finger als eine Art Pinsel nutzt oder sie gemeinsam mit verschränkten Händen malen. In diesen Momenten scheint Ronja nachspüren zu können, was Alice empfindet, als würde sie die Welt dann so wahrnehmen wie sie. In diesen Augenblicken sind sie sich so nahe wie sonst nicht.
Ronja achtet nicht darauf, welche Farbe Alice wählt, sie behält ihren Fokus auf ihre Körpernähe und welche Emotionen von Al ausgehen. Während Al Ronjas Finger in die Schale mit der Lebensmittelfarbe tunkt, bekommt Ronja das Gefühl, dass Alice ähnliche Gedanken durchströmen wie sie selbst. Dass ein Ballast abgeworfen werden darf, bei dem sie sich noch unsicher sind, den wirklich loszulassen, da er über eine lange Zeit ein ständiger Begleiter war. Als bräuchten sie noch eine zusätzliche Bestätigung, dass es wirklich die Realität ist. Doch auch die Glücksgefühle schimmern durch. Immer mehr und immer stärker. Diese Wärme, die eine Geborgenheit für Ronja bedeuten. Ein Zuhause. Es ist die schönste Wärme für sie, die es gibt.
Unabhängig davon, wie das Bild für Sehende aussehen mag, für Ronja ist es eins der Schönsten, wird es immer eins der Schönsten sein. Sie wird es ewig mit diesen Gefühlen verbinden. Loslösen, Zweisamkeit, Familie, Geborgenheit, gute teilende Angst, Vertrautheit, Hoffnung und Zuversicht sowie Liebe.
Bei der Erkenntnis steigen ihre Glücksgefühle im Inneren an. Sie spürt, dass Alice aufgehört hat, zu malen. Sie scheinen fertig zu sein. Sie dreht sich um, bemerkt, wie Al Nika in ihre Liege im Wohnzimmer hievt. Daraufhin kommt sie zu ihr zurück und nimmt wieder ihre Hände in ihre.
Ah, nun geht es dort weiter. Einverstanden. Verbunden durch das gemalte Bild; verbunden durch ihre Tochter; verbunden durch so vieles. Stille Zeuginnen sind die Farbspuren, die sie heute hinterlassen. Die Glücksgefühle nehmen noch einmal zu, um sich im nächsten Moment in prickelnde Leidenschaft zu verwandeln ...
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Impressionswinkel
Romance◇𝗥𝗼𝗺𝗮𝗻𝘁𝗶𝗸 & 𝗔𝗸𝘁𝘂𝗲𝗹𝗹𝗲 𝗟𝗶𝘁𝗲𝗿𝗮𝘁𝘂𝗿◇ Ihren Weg - angefüllt mit den verschiedensten Impressionspunkten - schritten Ronja, Alice, Elmar und Joe gemeinsam und jeder für sich, was sie noch näher zueinander brachte. Wenn Menschen zu...