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Was für ein schöner Weihnachtsabend ... Auch wenn Ronja sich sonst nicht viel daraus macht – sie ist noch dabei herauszufinden, warum das so ist –, war es wirklich besinnlich. Kam es daher, weil sie keine Familienbindungen dieser Art vorher hatte? Oder weil sie sich aus dem Fest an sich nichts macht? Vielleicht auch ein Mix aus beidem. Es ändert jedoch nichts daran, wie schön es gestern war. Und heute auch weitergehen kann. Am ersten Weihnachtstag. Da »wörterrausch« heute ausfällt, sind sie mit Elmar heute Mittag bei Joe im Laden verabredet.
Kennt eigentlich jemand von ihnen vier außer ihr die Wohnung von Joe?, fragt sich Ronja das erste Mal zu diesem Moment. Wahrscheinlich nicht. Sie muss grinsen. Es ist eine wahrlich schöne Wohnung oberhalb der kleinen Bäckerei.
Sie konzentriert sich wieder auf den Laptop und druckt etwas aus, was Alice freuen wird. Mal schauen, wann sie dazu kommen werden. Aber wenn es ihr so wichtig ist, dann werde ich es ihr gerne beibringen. Vielleicht finden sie ja sogar heute Nachmittag noch Zeit dafür. Sie nimmt die ausgedruckten Zettel aus dem Drucker und legt sie zu der Platte mit dem Braillealphabet hin. Dann klappt sie den Laptop wieder zu. Mit dem Café in der Hand schlendert sie wieder hinaus in die angenehme Kühle.
Sie hat bereits ihre Staffelei und Farbpalette vorbereitet. Gemeinsam malen könnten sie auch mal wieder. Das wäre wirklich schön. Aber jetzt, in diesem Moment lässt sie Alice ihre wohlverdiente Ruhe, die es sich gerade im Schlafzimmer mit einem Buch bequem gemacht hat.
Sie atmet noch einmal frei durch und tunkt dann den Pinsel in das Wasserschälchen, um diesen in ein sattes Blau zu färben. Heute lässt sie sich wieder ganz von innen heraus leiten. Ohne nachzudenken gleitet der Pinsel über das Papier, dessen Oberfläche sie so gerne spürt, weil es gleichsam rau und sanft zu sein scheint. Es entstehen wilde Streifen und Linien. Kreuz und quer. Zwischendrin ein paar Tupfer. So wie ihr Körper die Impulse ihres Geistes auffasst und an das Papier übermittelt. Immer und immer wieder streift sie mit dem Pinsel drüber. Mit jedem Wisch fällt etwas von ihr ab. Eilig nimmt sie einen zweiten Pinsel und trägt ein helleres Blau auf, welches sie in den gleichen Formen auf dem Untergrund verteilt. Zum Schluss folgen noch einige Sprenkel eines Gelbtons darauf.
Ausgelaugt, doch ebenso befreiter beendet sie ihre Malsession. Sie legt ihre Utensilien nieder und setzt sich auf das Ecksofa auf der Terrasse. Tief durchatmend greift sie nach dem Café und nimmt einen ordentlichen Schluck. Besser. Es wird schon leichter.
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„Bis gleich", verabschiedet sie sich von Alice vor deren Haustür. Alice geht schon einmal mit Nika und einer großen Dose voll mir ihren Weihnachtskeksen vor zu Joe und sie geht zum Hafen Elmar abholen. Gleichzeitig bekommt Woody dadurch noch seine Mittagsrunde. Kurz ist sie versucht, Alice doch zu fragen, ob sie sie nicht begleiten könne. Aber sie entscheidet sich dagegen. Ein gewisser Anteil drängt sie immer noch dazu, keine Schwäche zu zeigen, obgleich sie weiß, dass das Schwachsinn ist. Ein anderer Teil in ihr will es sich selbst beweisen, dass sie es schafft. Und noch ein anderer Part ihrer selbst glaubt sogar daran, wenngleich sie ebenso Zweifel spürt. Ein weiterer und nicht minderwichtiger Teil möchte sich dem stellen und nicht fliehen.
Den Gang zum Hafen wird sie durchziehen. Allein für Elmar. Um ihn nicht im Stich zu lassen. Das ist dementsprechend eine Runde, die sie – wenn auch durchgeschwitzt – packen wird. Sie klammert sich an diese Zuversicht und nach gefühlt viel kürzerer Zeit, als sie dachte, gelangt sie bereits beim Hafen an.
„Hallo Ronja", wird sie fröhlich, aber nicht überschwänglich begrüßt.
„Hey Elmar." Ronja freut sich ehrlich, ihn zu treffen. Ebenso, es geschafft zu haben. Sie bleibt kurz stehen und breitet ihre Arme zu den Seiten aus. Dazu neigt sie den Kopf etwas nach oben. Eine leichte Wärme der Sonne empfängt sie auf der Haut im Gesicht.
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Impressionswinkel
Romance◇𝗥𝗼𝗺𝗮𝗻𝘁𝗶𝗸 & 𝗔𝗸𝘁𝘂𝗲𝗹𝗹𝗲 𝗟𝗶𝘁𝗲𝗿𝗮𝘁𝘂𝗿◇ Ihren Weg - angefüllt mit den verschiedensten Impressionspunkten - schritten Ronja, Alice, Elmar und Joe gemeinsam und jeder für sich, was sie noch näher zueinander brachte. Wenn Menschen zu...