chapter 10 - chains

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track no. 10
𝙃𝙖𝙥𝙥𝙮 𝙋𝙞𝙡𝙡𝙨 𝘣𝘺 𝙒𝙚𝙖𝙩𝙝𝙚𝙧𝙨



YOONGIS ERSTICKTES ATMEN durchschnitt die kalte Nachtluft wie rostige Klingen. Immer wieder schloss sich seine Kehle, hinderte ihn daran, den Sauerstoff aufzunehmen und ließ ihn so röchelnd zurück, als würde ihn gerade jemand würgen.

Er wusste nicht, wie er es geschafft hatte, so problemlos über die demolierte Leiter wieder aus dem wasserlosen Poolbecken zu klettern. Auch wusste er nicht so ganz, wo ihn seine Füße letztendlich hingetragen hatten. Seine Sicht war miserabel gewesen, zu eingeschränkt von den Drogen und zu wässrig von den Tränen, die seine Augen überschwemmt hatten. Er wusste, dass er mehrfach hingefallen war, jedoch nicht, ob er sich dabei verletzt hatte. Eine Stimme hatte seinen Namen gerufen. Jetzt hallte sie hin und wieder von den Wänden wider, die sie umgaben. Die, die Yoongi nur ganz langsam als die der ehemaligen Umkleide des Badehauses identifizieren konnte.

»Hörst du mich? Ich sagte ganz ruhig atmen, langsam... Nimm meine Hand, Yoongi.«

Yoongis Sicht zerfloss erneut wie heißes Wachs. Die Bilder wollten einfach nicht verschwinden. Als hätte etwas seine Lider in die Steckvorrichtung eines Dia-Projektors verwandelt und nun einen Heidenspaß daran, ihm die anhaftende Tragik des heutigen Datums in all seiner Ausführlichkeit vorzuführen. Drei Jahre waren eine lange Zeit. Für Yoongi fühlte es sich gerade so an, als wären nicht einmal ein paar Stunden vergangen. Nicht zuletzt deswegen, weil sie auch heute als Familie in ihrem jährlichen Ritual nach Daegu gefahren waren, um dort das Grab zu besuchen. Er wollte sich wie ein Igel auf dem Boden zusammenrollen und die Schreie, die in seinem Rachen feststeckten, endlich herauslassen. Schreie, die er schon damals nicht hervorgebracht hatte. Doch er konnte sich nicht rühren. Nichts schien mehr zu funktionieren.

»Hyung!«, drang eine panische Stimme von fern zu ihm durch. »Wenn du mir nicht antwortest, ruf ich einen Krankenwagen.«

»Nein, nicht...«

Yoongi kam nicht weiter. Die Worte hatten ihm endgültig den Hals zugeschnürt und nun schnappte er wieder nach Luft. War es nun endlich soweit? Fühlte sich so Sterben an? Wieso konnte er dann nicht einfach aufhören zu atmen? Wieso tastete das, was er gerade noch so als seine Hand identifizieren konnte, blind und ohne eindeutigen Befehl seinerseits durch die gähnende Leere?

Etwas Warmes schloss sich um seine Finger. Jagte einen Schauer seinen Arm hinauf bis in seine Brust.

»Yoongi! Wenn du mich hörst, sieh mich bitte an. Alles ist gut, das ist nur eine Panikattacke...«

Nur mit Ach und Krach gelang es Yoongi, die Augen wieder zu öffnen. Seine Wimpern waren verklebt und erschwerten ihm das Vorhaben ungemein. Die feuergleiche Haarpracht, die nah vor seiner auf dem Boden hockenden Gestalt schwebte, war jedoch auch unter diesen Umständen sehr schnell auszumachen.

Jimin. Er war hier, er war... fuck.

Yoongi wollte erneut aufspringen und rennen. Sein Puls verhielt sich schon längst wieder, als hätte er diesen Marathon bereits aufgenommen. Die Tatsache, dass er jetzt verstand, dass es Jimins Hand war, die seine eigene hielt, versetzte dem Comeback seiner Panik keinen Dämpfer. Zu den Bildern von seiner Mutter hatten sich nun auch die von den letzten Geschehnissen im Pool gemischt. Der Geschmack von Yejis Lippen auf seinen. Er hatte mit ihr rumgemacht. Was zur Hölle war nur in ihn gefahren?!

»J-Jimin, ich...«, brachte er krächzend hervor und versuchte sich dabei aufzurappeln. »Ich... fuck, ich weiß nicht mehr...«

Das Chaos in seinem Kopf drohte schon wieder, ihn zu übermannen. Vielleicht war es einzig und alleine der Klang von Jimins Stimme, der letztendlich dafür sorgte, dass er sich wieder etwas beruhigte. Dass seine Sicht sich klärte und er die Konturen der Gestalt vor sich wieder Schärfe bekamen.

When We R.I.P. || ʸᵒᵒⁿᵐⁱⁿWo Geschichten leben. Entdecke jetzt