Weihnachten

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Ist es normal, wie aufgeregt ich gerade bin? Wahrscheinlich schon. Nicht nur, dass ich mich freue Zeit mit Jess zu verbringen, nein, es ist auch weil ich einen Schritt machen werde, den ich vor einem Jahr noch für unmöglich gehalten hätte. Zurück in das Haus meiner Kindheit.

Es ist 16 Uhr am Heiligen Abend, als ich durch das große Tor des Anwesens der Flynn's gehe. Seit 15 Jahren zum ersten Mal. Früher war hier mein Zu Hause. Jeden Tag habe ich das schwere schmiedeeiserne Tor mehrfach durchschritten. Den Code hat Jess mir geschickt. Er wurde seit damals schon mehrfach geändert. Ob sich viel verändert hat?

Etwas anders erscheint mir der Garten. Aber wahrscheinlich auch nur deswegen, weil die Bäume naturgemäß viel größer sind als damals. Irgendwo hier steht der Baum, den mein Vater anläßlich meiner Geburt gepflanzt hat. Gleich daneben der, den Peter für Jess gewählt hat. Es sind beides Buchen, allerdings ist meine grünblättrig und Jess Baum ist rötlich.

In dem Jahr bevor ich dieses Haus für lange Zeit verließ, bevor mein Vater starb, hat Maggie vor dem Haus die Bepflanzung komplett rausgeschmissen und durch wunderschöne Rosen ersetzt. Alle Farben kann ich ausmachen. Sie sind wunderschön geworden.

Ich muss zugeben, ich bin ziemlich nervös. Aber ich habe mir irgendwann mal versprochen, keiner Herausforderung aus dem Weg zu gehen. Nicht im Beruf, nicht im Privaten. Das hat Jess mich gelehrt. Sie war schon als Kind so. Ich eher immer abwartender. Aber ich denke, das eine schließt das andere nicht aus. Man muss sich ja nicht kopflos in eine Herausforderung stürzen.

Ich hab die beiden Tüten aus New York dabei. Beim Gedanken an diesen Tag wird mir direkt wieder wärmer. Wie sie wohl auf das Armband reagiert? Und was wohl in meiner Tüte ist? Die Uhr hab ich an. Sie ist mein Geschenk an mich selbst. Ich konnte einfach nicht widerstehen die Glashütte Sixties Uhr zu kaufen. Außerdem habe ich was für Peter und Maggie besorgt. Wenn ich jemals Groll gegen die beiden gehegt habe, dann ist der seit dem Wiedersehen mit Jess wie weggefegt. Mit diesem Teil meines Lebens habe ich abgeschlossen. Auch wenn noch viele Fragen bleiben.

Ziemlich aufgeregt drücke ich auf die Klingel. Keine Minuten später steht Peter vor mir. Er ist lässig mit Jeans und einem schwarzen Hemd bekleidet.

„Ah, welch seltener Gast in unserer Hütte?" Seine Stimme ist so vertraut. Live habe ich sie 15 Jahre nicht gehört. Hin und wieder habe ich mir eine Folge seiner Serie angesehen. Da klang er immer irgendwie fremd. Unwillkürlich muss ich daran denken, wie er mir und Jess abends vorgelesen hat. An jeder Seite ein Kind, saßen wir drei auf dem großen Sofa im Wohnzimmer und er laß uns aus den alten Klassikern vor. Der Kleine Prinz, Pipi Langstrumpf, Paddington. Bei Heidi haben Jess und ich gemeinsam geweint. Gott, was für Erinnerungen.

„Na, ja Hütte?" erwidere ich.

„Die Damen sind schon ganz aufgeregt wegen des Abends. Darf ich Dir die Tüten abnehmen?" Er hält mir seine Hand hin.

„Ja, gerne. Unsere Geschenke, die wir in New York gekauft haben. Jess meinte, ihr schenkt Euch normaler Weise nichts."

„Das ist wahr. Aber Ausnahmen, bestätigen die Regeln." Er grinst und zwinkert mir zu. „Maggie ist in der Küche und Jess oben in ihrem Zimmer. Du kennst den Weg."

Na dann werde ich mal schauen, was Maggie so alles für heute zaubert. Es duftet jedenfalls sehr gut.

„Hey, frohe Weihnachten." begrüße ich sie und gehe auf sie zu. Sie steht in einer Schürze am Herd und rührt in diversen Töpfen rum. Mit einem Lächeln umarmt sie mich.

„Das riecht fantastisch." sage ich und gönne mir einen Blick auf die Gans im Ofen.

„Ich hoffe, es schmeckt auch so." Sie ist einfach viel zu bescheiden. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass sie uns mal was vorgesetzt hat, was nicht geschmeckt hat.

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