Kapitel 19 - Sonne, Berge und Verzweiflung

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Mittlerweile war es viele Jahre her, doch Asuka war schon einmal zu dem Observatorium in Sakata gewandert. Sie hatte diesen Familienausflug auch noch in sehr guter Erinnerung. Damals hatten Kaori und Ryōtarō sie dorthin gebracht, weil es ihr größter Wunsch gewesen war, von dem Berg aus die Sterne zu betrachten. Also hatten sie sich gemeinsam am Abend ihres sechsten Geburtstags dorthin begeben. Was sie in jener Nacht zu Gesicht bekommen hatte, würde sie niemals vergessen; es war wie eine Szene aus einem Traum oder einer anderen Welt. In jener Nacht und an jenem Geburtstag hatte sie bereits festgestellt, dass sie keinen Ort auf dieser Welt so sehr lieben würde, wie ihre Heimat.

Wenn sie jetzt allerdings in die Gesichter ihrer Freunde blickte, dann erweckte das in ihr den Eindruck, als würden diese ihre Ansicht nicht unbedingt teilen. Und das lag bestimmt nicht daran, dass sie am helllichten Tag zu dem Observatorium gingen. Beinahe fünfundvierzig Minuten war es her, seitdem sie in Yamadera – einem Teil der Gemeinde Sakata – losgegangen waren. Und während Asuka selbst nach dieser Dreiviertelstunde noch immer nicht erschöpft war und sich an der Natur der Gegend erfreuen konnte, sah das bei ihren Freunden ganz anders aus. Atsushis Gesicht allein war finster wie die Nacht und man könnte ihm sein Missfallen vermutlich auf einen Kilometer Entfernung ansehen. Dagegen versuchte Tatsuya sein Erscheinungsbild zu wahren, doch sein Lächeln wirkte derweilen nur noch gequält. Ihm musste unfassbar warm sein, denn er hatte seinen schwarzen Strickpullover längst ausgezogen und über die Schulter geworfen. Und obwohl er nur noch im T-Shirt unterwegs war, wischte er sich trotzdem andauernd über die Stirn. Ein wenig mutig war er aber schon... Immerhin hatte der Frühling gerade erst begonnen und dementsprechend waren die Temperaturen zwar schon etwas wärmer, aber noch längst nicht sommerlich. Die letzte im Bunde der übellaunigen Freunde war Sayumi, die keine ihrer Entscheidungen im Leben so sehr bereute, wie die, auf diesen verdammten Berg steigen zu wollen. Das lange Gehen war eine Sache, doch diese Steigung und die Tatsache, dass sie mit ihren kurzen Beinen versuchen musste, mit ihren Freunden mitzuhalten, verwandelten dies zu einem Höllentrip.

Da es allerdings ihr Wunsch war, auf diesen Berg zu wandern, jammerte sie nicht und äußerte sich auch sonst nicht zu ihrem Leiden. Es stand ihr zwar buchstäblich ins Gesicht geschrieben, dass sie Wandern scheiße fand, doch eher würde die Hölle zufrieren, als dass sie ihren Fehler einsah. Dafür war sie zu stolz und dickköpfig. Außerdem brauchte sie nicht zu jammern, das übernahm schon jemand anderes... „Shiro-chin, wie weit ist es noch?" Nach gefühlt jeder Serpentine stellte Atsushi diese Frage, die Asuka auch immer beantwortete. Damit bewies sie den größten Geduldsfaden, den je ein Mensch besessen hatte. Dennoch hatten Tatsuya und Sayumi eine Wette am Laufen, dass dieser Faden noch vor dem Erreichen des Ziels reißen und Asuka somit explodieren würde. „Ich denke, die Hälfte haben wir geschafft. Aber eine halbe Stunde werden wir sicherlich noch gehen müssen", erklärte die Weißhaarige zum Entsetzen aller. Sayumi haute das sogar buchstäblich aus dem Stand; sie stolperte, da sie die Füße nicht mehr hoch genug bekam. „Alles in Ordnung?", fragte Asuka, die sich sofort zu der Schwarzhaarigen gedreht hatte, wie auch die beiden Jungen. „Ja, klar... Nichts passiert", antwortete Sayumi im brüsken Ton.

Tatsuya half ihr wieder auf die Beine, wobei nun zu sehen war, dass sie doch nicht ohne Schaden davongekommen war. An ihrem rechten Knie war der Stoff ihrer dünnen Strumpfhose aufgerissen und ihre helle Haut zierte jetzt eine schön große Schürfwunde. „Großartig... Mein erstes aufgeschlagenes Knie. Ich sollte ein Buch darüber schreiben", kommentierte die Schwarzhaarige ihre leichte Verletzung mit ihrem trockenen Sarkasmus, ehe sie weitergehen wollte. „Jetzt warte mal", hielt sie Tatsuya allerdings auf, indem er ihren Arm leicht ergriff und sie an diesem zurückzog. Beim genaueren Betrachten fiel ihm auch auf, dass an ihren Schläfen Schweißtropfen hinunterliefen und ihr nunmehr kinnlanges Haar sich ein wenig kringelte, weil es vermutlich feucht war. Er hatte nicht darüber nachgedacht, aber für Sayumi musste das hier weitaus anstrengender als für ihn oder Atsushi gewesen sein. „Ich weiß, ihr wollt von mir hören, dass ich es bereue. Aber das wird nicht über meine Lippen ko-" Der Satz der kleinen Japanerin wurde jäh unterbrochen, indem Asuka ihr gegen die Stirn schnippte. „Das ist doch kein Wettbewerb hier, Sayumi. Macht doch nichts, wenn du im Nachhinein feststellst, dass du wandern nicht magst. Soll ich Ryōtarō anrufen, damit er uns abholt?"

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