Kapitel 13 - Chana Masala

173 12 3
                                    

Asuka stützte ihre Arme auf der Brüstung des Engawas ab und ließ ihren Blick ein wenig über die Gegend schweifen. Der Mogami-Fluss, die Berge von Sakata... Es war ein überaus schönes Gefühl, wieder in der Heimat zu sein und diese vertraute Landschaft zu erblicken. Deshalb schlich sich auch langsam aber sicher ein Lächeln auf ihre Lippen. Da der Wind ein wenig mit ihren Haarsträhnen spielte, strich sie sich diese kurzerhand hinter ihre Ohren. „Ah! Deshalb sagtest du, dir würde es ausreichen, den Fluss zu betrachten", hörte sie Tatsuya sagen, der neben ihr an die Brüstung herantrat und sich fast schon neugierig umsah. „Bist du wirklich noch nie auf dem Land gewesen?", schmunzelte sie über seine Reaktion. Allein die Vorstellung war für sie undenkbar. Andererseits... Akita war bisher die größte Stadt, in welcher sich Asuka je aufgehalten hatte. Sofern man Kōbe nicht mitzählte, da sie damals noch viel zu jung für das bewusste Wahrnehmen des Stadtlebens gewesen war. Millionenstädte wie Tokio, Kyōto, Ōsaka oder Yokohama hatte sie noch nie betreten, womit sie wahrscheinlich das exakte Gegenteil von Tatsuya darstellte. „Nein. Nicht, dass ich wüsste. Aber ich würde jetzt schon behaupten, dass es eine interessante Erfahrung ist", entgegnete der Schwarzhaarige nach kurzem Überlegen.

Während Asuka und Tatsuya draußen noch ein wenig plauderten, betrachtete Atsushi weiter die Bilder, die Shiro-chin in ihrem Zimmer ausgestellt hatte. Viele zeigten Ereignisse, deren Hintergründe man nachvollziehen oder erahnen konnte, wie Geburtstags- oder Abschlussfeiern. Bei anderen wiederum war es ihm unbegreiflich, warum ein Mädchen wie Shiro-chin diese aufhing. Sie zeigten das Gasthaus, die Landschaft in der Gegend... Wirklich besonders erschienen ihm diese Bilder nicht, aber vielleicht war das Fotografieren ja ein Hobby von ihr. Wenn er sich so umsah, erweckte es schon in ihm den Eindruck, dass Asuka neben dem Kochen und Aikidō sehr viele Hobbys und Interessen besaß. Die Spielkonsole oder die Holzfiguren im Regal waren zum Beispiel Dinge, die er nicht erwartet hätte. „Die sind niedlich, oder?", fragte die Weißhaarige, die plötzlich wieder neben ihm stand. Sie war wohl mit Muro-chin wieder in das Zimmer zurückgekehrt und anschließend seinem Blick zu den Figuren gefolgt. „Hast du die gemacht?" Ohne auf ihre Bemerkung einzugehen, stellte Atsushi seine eigene Frage. „Nein... Die hat Ryō für mich geschnitzt. Wir hatten damals nicht viel Geld, weil alles in den Bau unseres neuen Zuhauses investiert werden musste. Das war keine einfache Zeit, zumal sich Ryō erst noch in seine Rolle als Vater einfinden musste. Allerdings hatte es ihm wohl sehr leidgetan, dass er mir keine Spielzeuge oder Puppen kaufen konnte, deshalb hat er mir die hier geschnitzt."

Das Verhältnis von Asuka und Ryōtarō war wirklich etwas ganz besonders. Obwohl unglückliche Umstände sie zusammengeführt hatten und sie nicht verwandt waren, stand ihre familiäre Liebe der einer gewöhnlichen Familie in nichts nach. Und in den kleinen Figuren, die Asuka all die Jahre über aufbewahrt hatte, sah sie ebendiese Liebe, die ihr Vater ihr vom ersten Moment an geschenkt hatte.

„Also gut. Wir sind angekommen, dann gibt es jetzt eigentlich nur noch eines zu tun: Raus aus der Uniform der Yōsen und anschließend Essenfassen." Mit diesen Worten wandte sich Asuka ihrem Kleiderschrank zu, aus welchem sie einen ordentlich gefalteten Kimono mit dazugehörigen Hakama zog. „Ach ja, richtig... In einem Ryokan tragen die Gäste üblicherweise auch traditionelle Kleidung, oder?", fragte Tatsuya, der mit einem Mal unerwartet begeistert zu sein schien. Offenbar freundete er sich wieder mit der Kultur seiner Heimat an, die er vor vielen Jahren zurückgelassen hatte. „Hm? Ja, üblicherweise Yukata. Wollt ihr welche?" Asuka war es schlicht und ergreifend gewohnt, in ihrem Zuhause traditionelle Kleidung zu tragen, doch sie hatte Atsushi und Tatsuya in der Hinsicht nichts aufzwingen wollen. Doch wenn die beiden es ihr gleichtun wollten, dann hatte sie da natürlich nichts gegen. „Gerne", erwiderte der Schwarzhaarige, während Atsushi lediglich ein „mir egal" murmelte. Nachdem sie amüsiert die Augen verdreht hatte, nahm Asuka die beiden Jungen schließlich wieder im Schlepptau mit. Es ging zurück in das Hauptgebäude des Ryokans und dort in eine Art Lager für Kleidung, Handtücher, Bezügen – alles, was man in den Zimmern eines Gasthauses so auslegen musste.

Vanilla FlavorWo Geschichten leben. Entdecke jetzt