Kapitel 26 - Geheime Pläne

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Es war der Nachmittag des dritten Aprils. Der Unterricht an der Yōsen war gerade geendet und die meisten Oberschüler verließen ihre Klassenzimmer, um in der Bibliothek mit dem Lernen zu beginnen, in der Mensa ein verspätetes Mittagessen zu verspeisen oder in die Stadt zu gehen. Die Klubaktivitäten würden erst am morgigen Tag beginnen, weshalb die Schülerschaft einen freien Nachmittag genießen konnte. Das galt zumindest für die meisten – nicht für Hanashiro Asuka, die mit einem mulmigen Gefühl in der Magengegend vor der Tür zu einem der Besprechungsräume ihrer Oberschule stand. Sie konnte sich schon denken, warum ihr Klassenlehrer sie darum gebeten hatte, diesen Raum für ein Gespräch aufzusuchen. Sonderlich erfreut stimmte sie das allerdings nicht. Da es aber keine Möglichkeit gab, dieser Angelegenheit auszuweichen, ergab sie sich nun ihrem Schicksal und klopfte an der Tür an. Nachdem sie ein lautes „Herein!" vernommen hatte, trat sie in den Raum ein und erblickte dort an dem langen ovalen Tisch ihren Klassenlehrer sitzen. „Danke für dein Kommen, Hanashiro. Setz dich doch bitte", begrüßte sie der brünette Mann und deutete auf einen der unzähligen freien Plätze. Asuka atmete einmal lautlos durch, ehe sie ihre Tasche von ihrer Schulter gleiten ließ und einen der Stühle für sich zurückzog. Als sie sich gesetzt hatte, fiel ihr Blick auf das Dokument, welches auf dem Tisch lag. Damit sah sie ihre Vermutung bestätigt; es ging um die Studien- und Berufswahl. Natürlich, immerhin war für einen Drittklässler neben dem Abschluss nichts wichtiger als sein weiterer Werdegang.

„Es hat mich sehr gefreut, dass du die Prüfungen im ersten Durchlauf bestanden hast, wenngleich es an ein oder zwei Stellen sehr brenzlig wurde. Ich hatte angenommen, dieser Erfolg würde dir die Motivation verleihen, in den Ferien nach einem übergeordneten Ziel in deinem Leben zu suchen. Allerdings scheint das nicht der Fall gewesen zu sein." Die Stimme von Herrn Yasuoka hatte etwas leicht Tadelndes an sich, was jedoch nur so lang hielt, bis er das Dokument vor seine Schülerin schob und diese mit einem wissenden Blick und einem kurzen Lächeln ansah. „Hanashiro... Wir wissen beide, dass du nicht danach strebst, Betriebswirtschaftslehre an der Waseda-Universität in Tokio zu studieren. Du hast das gestern lediglich in der Hoffnung eingetragen, dass wir dieses Gespräch hier nicht führen würden, richtig?" Ertappt rieb sich Asuka etwas den Nacken. Nicht nur war sie schneller aufgeflogen als angenommen, Herr Yasuoka hatte ihr Tun buchstäblich durchschaut. „Sie haben recht, ich wollte das lediglich aufschieben. Wie immer...", gestand die Weißhaarige nun und senkte etwas beschämt ihren Blick. Bevor ihr Klassenlehrer die Situation falsch verstehen würde, musste Asuka jedoch eine Sache richtigstellen: „Es ist aber nicht so, dass ich nicht versuche, eine Antwort darauf zu finden. Ich habe in den Ferien immer wieder darüber nachgedacht, allerdings enden diese Gedanken immer gleich: Ich weiß nicht, was ich tun soll, dann wird mir der Zeitdruck unangenehm bewusst... Schließlich bekomme ich Angst und schiebe diese Gedanken doch weiter auf..."

Dass seine Schülerin nicht aus Absicht heraus handelte, hatte sich der brünette Lehrer bereits gedacht. Wie sie aber schon angemerkt hatte, wurde die Zeit allmählich knapp. Und das nicht nur, weil die meisten Unternehmen in zwei oder drei Monaten sämtliche Schüler und Studenten unter Vertrag genommen haben würden... Auch bei einem akademischen Werdegang spielten noch mehr Faktoren mit ein, als die reinen Aufnahmeprüfungen. „Hanashiro, wie du sicherlich weißt, ist es der Yōsen überaus wichtig, dass ihre Schüler einen guten Werdegang hinlegen. Nun ist gut nicht genau definiert, aber die allgemeine Vorstellung ist in etwa die, dass kein Schüler, der hier eingeschrieben war, arbeitslos oder mittellos endet. Deshalb werden für manche Schüler, die sich um Arbeitsplätze bei angesehenen Unternehmen bewerben oder sich für eine prestigeträchtige Universität entscheiden, Empfehlungen ausgesprochen. Manch einer überging so schon die gefürchteten Aufnahmeprüfungen. Der Haken ist natürlich der, dass eine solche Empfehlung ein überaus seltenes Gut ist." Auf die Erklärung ihres Lehrers hin, machte sich auf Asukas Lippen ein bitteres Lächeln breit. Sie konnte sich schon denken, was es benötigte, um eine solche Empfehlung zu bekommen: „Ich nehme an, wenn man so herausragend in der Schule wie Sayumi ist, bekommt man so eine Empfehlung?" Das war etwas, von dem sie überzeugt war, dass sie es niemals schaffen würde. An sich war Asuka niemand, der im Vorfeld schon aufgab, aber sie wusste jetzt schon, dass dies vergebene Mühe wäre. Ihre Noten reichten von solide bis gut, aber sicherlich nicht von überdurchschnittlich bis herausragend.

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