Asuka hatte die beiden Großstadtkinder – auch als Atsushi und Tatsuya bekannt – schließlich zu einem tempelähnlichen Gebäude geführt. Weiß war die äußere Fassade, durch die sich dunkle Holzbalken zur Stabilität zogen. Wie bei nahezu allen traditionellen Gebäuden waren auch hier wieder Shoji-Schiebetüren zu sehen, die man über die Engawas erreichte. „Hier wurde ich ausgebildet", erklärte die Weißhaarige und trat mit hinter dem Rücken verschränkten Händen näher an den Tempel heran. „Sieht spannend aus", erwiderte Atsushi, während er sich unbekümmert Chips in den Mund stopfte. Ob er das ironisch meinte oder nicht, wusste weder Asuka noch Tatsuya zu deuten. „Allerdings sieht es so aus, als wäre niemand hier..." An sich war heute auch kein üblicher Trainingstag, also hätte sie davon ausgehen können. Dennoch war das überaus schade – sie hätte gerne ihren Meister wiedergesehen. Das letzte Mal war... Als sie mit dem Aikidō offiziell – im Sinne des Wettkampfes – aufgehört hatte. Damals, nach ihrem Zusammenbruch, war sie in die Heimat gefahren, um Ryōtarō ihre Gefühle hinsichtlich des Leistungsdrucks zu gestehen. Und sie war hierhergekommen, um ihren Meister um Verzeihung zu bitten. Kurz darauf hatte sich dieser auf eine längere Reise begeben, um seinen Geist weiter zu schulen. Daher war bereits über ein Jahr seit ihrem letzten Treffen vergangen.
„Darf ich in Erfahrung bringen, welcher Grund euch hierher, vor die Tore der heiligen Stätte des Budō, geführt hat?", ertönte eine Stimme hinter den drei Jugendlichen. Atsushi und Tatsuya drehten sich zuerst um, wodurch der ältere Herr, der gefragt hatte, einen wohlbekannten weißen Schopf hinter den beiden Jungen erblickte. „Ah! Wenn das nicht Hanashiro ist. Die Tugend der Großzügigkeit." Er verneigte sich vor seiner ehemaligen Schülerin, die mittlerweile selbst den untersten Meistergrad bekleidete. „Meister Kobayashi, es freut mich sehr", erwiderte die Weißhaarige und verneigte sich ebenfalls. Scheinbar war das Glück doch auf ihrer Seite! „Es ist bereits einige Zeit her", merkte der Meister an, nachdem er sich wieder aufgerichtet hatte. Er war deutlich kleiner als seine Schülerin, besaß einen etwas dunkleren Teint und kurzes graues Haar, das früher einmal schwarz gewesen war. Genau wie Asuka war auch er in Kimono und Hakama gekleidet, trug allerdings noch einen dunklen Haori über seiner Gewandung. „Kameraden von dir?", fragte er und deutete auf Himuro und Murasakibara, woraufhin Asuka lächelnd nickte. „Ja, wir besuchen dieselbe Oberschule. Sie verbringen die Ferien hier, daher zeige ich ihnen die Stadt", fasste sie die Situation kurz zusammen. „Und so hat euch euer Weg hierhergeführt. Ich verstehe."
Der Meister musterte noch einmal die beiden Jungen, wobei Tatsuya Atsushi die Chipstüte entriss und diese hinter seinem Rücken versteckte. Dass der Lilahaarige deswegen nicht sonderlich glücklich gestimmt war, musste eigentlich keine Erwähnung finden. „Ich hatte gehofft, die beiden hineinführen zu dürfen, um ihnen einen Einblick in die Stätte und in die Kunst geben zu können", äußerte Asuka schließlich ihr Anliegen. Zögerlich nickte ihr Meister, bevor er seinen Blick wieder zu seiner ehemaligen Schülerin wandte. „So aufgewühlt, wie ihre Geister sind, kann man nur hoffen, dass sie in der Stätte etwas Harmonie finden", erwiderte er, ehe er voranging und Asuka ihm folgte. „Sag mal, raffst du, wovon der redet?", fragte Atsushi Tatsuya flüsternd. Der Schwarzhaarige schüttelte daraufhin nur seinen Kopf. „Kein bisschen. Aber Asuka scheint ihn zu verstehen", flüsterte er zurück.
Im Dōjō selbst mussten sie natürlich wieder ihre Schuhe und auch Socken ausziehen, bevor sie das Innere, den Trainingsbereich, betreten durften. Der Raum war groß und natürlich geräumig. Lampen, die wie traditionelle Laternen aussahen, hingen von den Holzbalken der Decke und spendeten Licht. Die Wände waren mit klassischer japanischer Malerei versehen, die der Maler Hayashi Sousuke in seiner Jugend angefertigt hatte, lange bevor er berühmt geworden war. Shōnai stellte nämlich seine Heimat dar, und so hatte er diese Gemälde nach der letzten Instandsetzung des Dōjōs aus reiner Gefälligkeit angefertigt. An dem Shōmen, der Vorderseite des Trainingsraums, befanden sich kleine Opfergaben sowie drei Zitate von Ueshiba Morihei, dem Begründer des Aikidō. Sie waren auf weißen Bannern in japanischer Kalligraphie an der Wand angebracht und lauteten:
![](https://img.wattpad.com/cover/343584405-288-k152811.jpg)
DU LIEST GERADE
Vanilla Flavor
RomanceUrsprünglich wollte Murasakibara Atsushi lediglich ein bisher unbekanntes Süßwarengeschäft in Akita besuchen und dort nach Herzenslust sein Geld verprassen. Dort angekommen ertappt er allerdings Hanashiro Asuka, eine Zweitklässlerin der Yōsen, bei e...