DATUM: 15/03/2022
Den ganzen Tag lang hatte es mich verfolgt. Ich hatte das Taschenmesser mehrere Male gesehen. Es lag einfach nur da auf der Kampuswiese. Jemand musste es verloren haben. Vielleicht war es ihm aus der Hosentasche gefallen.
Jedenfalls lag es jetzt vergessen und verschollen da rum und hörte nicht auf meinen Blick anzuziehen. Ich wollte es nehmen. Ich wollte ihr wehtun. Ich war nämlich immernoch wüten. Ja, sogar hasserfüllt. Ich wollte sie leiden sehen und ein Taschenmesser würde mir dabei sehr gut zur Hilfe kommen. Aber ich konnte es nicht. Ein Teil von mir warnte mich nämlich. Das konnte ich doch nicht tun! Ich war nicht so. Ich wollte nicht so eine Art von Mensch sein. Ich wollte niemanden verletzen. Und doch war ich mir sicher sie verdiente es zu leiden.
Den ganzen Tag lang ignorierte ich das Messer als ich an der Stelle vorbeiging, wo es lag. Außerdem war ich immer in Begleitung und es wäre schräg gewesen einfach anzuhalten, um so einen Gegenstand aufzuheben. Also beschloss ich meine Gedanken zu verdrängen. Sie machten mir Angst. Ich fand sie sogar unheimlich.
Aber dann, am Ende des Morgens, als ich mit einigen meiner wenigen Freunde auf dem Rasen saß, sah ich es erneut. Es lag direkt neben meiner Tasche. Irgendjemand musste es versehentlich gestoßen haben und dadurch von der Stelle bewegt. Nun lag es also da, direkt neben meinen Sachen. Zum Greifen nah. Wenn ich es nehmen wollte, war jetzt meine einzige Chance. Ich ergriff sie. Das musste ich. Ich griff nach ihm und verstaute es so schnell ich konnte in meinem Rucksack. Niemand merkte etwas.
So nahm ich es also mit nach Hause. Den ganzen Weg lang machte ich mir Gedanken darüber, ob ich es verwenden sollte. Nur ein hamrloser Schnitt, mehr würde es nicht sein. Das hatte sie schließlich verdient. Ich musste sie irgendwie einschüchtern. Aber zugleich tat sie mir auch schrecklich leid. Es war ja eigentlich auch nicht ihre Schuld gewesen, dass mir all dies wiederfahren war. Und doch war meine Rachelust zu groß. Ich musste es tun. Ansonsten würde mein Herz keine Ruhe geben. Ich konnte nicht anders.
Im Flur traf ich schon auf sie. Sie stand einfach nur da und guckte mich an. Ich hatte das Messer, noch bevor ich das Haus betreten hatte, aus der Tasche geholt und in die Hand genommen. Ich guckte an meinem Körper herunter und betrachtete es. Gleichzeitig fühlte ich auch ihren Blick auf es gerichtet sein. Also erhob ich den meinen wieder. Erneut hatten wir Augenkontakt. Ich konnte ihre Angst spüren wie die meine. Sie wusste was jetzt passieren würde und was sie erwartete. Und zugleich verwandelte diese Tatsache ihre Angst auch in Entschlossenheit. Sie wollte sich mir stellen, mich herausfordern. Sie war schon immer die mutige Sorte von Mensch gewesen. Trotz allem war ihr Kampfgeist immernoch irgendwo dadrinnen. Und so stand sie still da und betrachtete wie ich meinen Arm mit dem Taschenmesser etwas hob und das Gerät aufklappte. Ich hob auch ihren Arm. Dann schnitt ich zu.
Einen oberflächlichen und sauberen Schnitt hatte ich gemacht. Er brannte. Ich guckte an meinem Arm hinunter und sah eine kleine Blutspur von der Wunde hinterlassen werden. Dann blickte ich zurück in den Spiegel an der Wand meines Flures. Ich hatte es tatsächlich getan. Ich hatte das Mädchen, was ich vor mir sah, geschnitten. Und wie erwartet war mein Frust und mein Stress um einiges geschrumpft. Als mir dies bewusst wurde, wollte ich einfach nur, dass sie komplett verschwinden. Und so schnitt ich erneut zu. Einen Schnitt nach dem anderen fügte ich ihr hinzu. Bis mein Arm schließlich wie ein Barcode aussah.
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A Writer's Notebook / Collection of Short Stories
Short Story🇪🇸 A veces todo lo que queremos es escapar de la realidad. O quizás queremos darle un sentido. En este cuaderno guardo mis relatos que me permiten (o intentan) reflejar todo aquello que pienso y siento en mi interior y quiero compartir con el mun...