10. Türchen

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Bis Freitag läuft Harry ihm nicht mehr über den Weg. Louis ist einigermaßen zufrieden. Er geht müde, aber gut gelaunt ins Büro und macht sich einen Tee, bevor er sich an den Schreibtisch setzt. Aktuell arbeitet er eine Zielgruppen- und eine Konkurrenzanalyse aus. Das kann er gut und da hat er nicht direkt etwas mit Harry zu tun. „Guten Morgen." Majid kommt rein und geht zu Louis. „Hi." – „Bei dir ist so weit alles gut? Hast du dich gut eingearbeitet?", fragt er interessiert und Louis nickt. „Ich komme gut klar, danke", lächelt er. Majid nickt zufrieden. „Meinst du, du bekommst die Analysen bis heute Nachmittag fertig?" – „Ja", antwortet Louis optimistisch und wendet sich wieder seiner Arbeit zu.

Währenddessen versucht Harry sich zu konzentrieren. Er arbeitet den Plot für den zweiten Teil der Reihe aus – wie viele Bücher es insgesamt werden, weiß er noch nicht – aber er kann sich nicht konzentrieren. „Das darf doch nicht wahr sein", murmelt er und schließt das Fenster. Sonderlich besser wird es dadurch nicht. Die Nachbarn nebenan renovieren und der Krach ist unerträglich laut. Er weiß natürlich, dass man eine neue Küche nicht ohne Lärm montieren kann, aber er muss arbeiten, verdammt! Oropax kann er nicht leiden und Musik übertönt das dumpfe und durchdringende Geräusch der Bohrmaschine nicht. So kommt er nicht weiter. Er braucht Ruhe, um sich vernünftig konzentrieren zu können. „Scheiße", murmelt er und denkt darüber nach, sich einfach in einen Park zu setzen. Nein, das ist auch keine Lösung.

Harry: Habt ihr zufällig einen Schreibtisch in einer ruhigen Umgebung im Büro?

Es dauert ein bisschen, aber schließlich antwortet Zayn ihm. Harry wusste sich nicht mehr anders zu helfen, aber er fährt jetzt garantiert nicht ins Büro, nur um dann festzustellen, dass es ihm dort auch zu laut ist.

Zayn: Ich glaube, einige der Konferenzräume sind heute nicht belegt. Alternativ kann ich dir die Dachterrasse anbieten, wenn dir das nicht zu kalt draußen ist.

Harry sieht aus dem Fenster. Die Sonne scheint und heute soll es nicht regnen. Es wird zwar nicht wärmer als zehn Grad, aber das kann er besser händeln als Lärm. Er klappt seinen Laptop zu und holt sich seine große Tasche. Auf der Dachterrasse ist hoffentlich niemand. Eine Viertelstunde später macht er sich auf den Weg zum Verlag. Wie abgesprochen bekommt er eine Schlüsselkarte am Empfang im Erdgeschoss. Erst möchte er direkt auf die Terrasse fahren, aber dann beschließt er, einen Abstecher im Büro zu machen und sich einen Kaffee zu holen. Erst, als der die Tür öffnet, denkt er daran, dass er Louis wieder über den Weg laufen könnte.

Harry hat die Tatsache, dass er ihm in Zukunft regelmäßig begegnen wird, die letzten Tage erfolgreich verdrängt. Er ist nicht scharf darauf, wieder mit Louis reden zu müssen – oder ihn ansehen zu müssen. Ein Grund mehr, so schnell wie möglich auf die Dachterrasse zu verschwinden. Gerade als er wieder zu den Aufzügen geht, kommt ihm jedoch genau dieser Kerl entgegen. Louis kommt ihm mit Zayn entgegen, der ihn zuerst entdeckt. „Hi Harry." Louis sieht von seinem Handy auf. „Äh... du hier?" – „Ja", antwortet Harry nur knapp. Louis' Blutdruck schießt in die Höhe und für einen kurzen Moment setzt sein Gehirn aus. Dann nickt er nur, um nichts Dummes zu sagen. Harry geht an ihnen vorbei wieder zu den Aufzügen. Louis atmet erst wieder, als die Tür zum Büro zugefallen ist. Trotzdem riecht er Harrys Parfum noch in der Luft und es vernebelt ihm ganz gewaltig die Sinne.

Harry bemerkt das nicht mehr. Er findet die Dachterrasse. Auf der Bank und den Stühlen liegen Kissen. Er lächelt zufrieden und holt sich seine Fließdecke aus der Tasche. Er macht es sich gemütlich, stellt die Tasse neben seinen Laptop und schlägt eins seiner Notizbücher auf. Ja, hier kann er gut arbeiten. Es ist nicht zu kalt mit der Decke und die Bank ist groß genug, dass er im Schneidersitz sitzen kann.

„Du musst echt damit aufhören", sagt Zayn zeitgleich zu Louis. „Womit? Ich habe nichts gemacht?" – „Zu Stein zu erstarren, sobald er vor dir steht. Wenn du so weitermachst, fällt es hier bald jedem auf." –„ Was soll das denn heißen? Ich erstarre nicht zu Stein! Hast du sie noch alle?" Zayn verdreht die Augen und Louis lässt sich auf seinen Schreibtischstuhl fallen. „Majid fällt es bald bestimmt auf und Sasha sowieso. Sie hat ein Auge für so etwas." – „Sie ist doch bei den Meetings gar nicht dabei." – „Glaub mir einfach. Sie wird es trotzdem sehr schnell erfahren, wenn du dich nicht zusammenreißt." Louis zuckt mit den Schultern. „Sollen Sie doch." – „Louis! Das kannst du nicht machen!" Zayn zwingt sich leise zu sprechen. Sein Tonfall ist aber dadurch nicht weniger bestimmend und entschlossen. „Ed Ward ist der bekannte Autor, der uns in unserem Katalog noch gefehlt hat. Sasha wirft dich hochkant raus, wenn du das vergeigst. Vergiss nicht, dass du noch in der Probezeit bist." – „Werde ich nicht. Krieg dich wieder ein."

Zayn seufzt. Es ist, als würde er gegen eine Wand reden. Louis bleibt stur. Es kann doch nicht so schwierig sein, professionell mit Harry umzugehen. Er bekommt das schon hin. Er gewöhnt sich einfach an seine Anwesenheit und dann ist Harry nur einer der Autoren, die hier unter vertrag stehen. Ja, genau. So wird es sein.

Seine innerlichen Zweifel schiebt er bei Seite. Es wäre nicht professionell, sich davon ablenken zu lassen und Harry will es schließlich professionell halten. Das soll er haben. Wo ist er eigentlich mit dieser großen Tasche hingegangen? Vorhin war er noch nicht im Büro, das wäre Louis aufgefallen. Oder doch? Hatte er ein Meeting, von dem er nichts wusste? Vielleicht mit der Lektorin? Nein, die haben ihre Schreibtische und Räume wo anders. Louis schüttelt leicht den Kopf und ließt sich eine weitere Statistik zum Thema: Genrewahl hinsichtlich des Alters der Lesenden durch. Er hat ein ganzes Dossier zu dem Thema Entwicklungen in der Buchbrache gefunden, das sogar erstaunlich aktuell ist.

Als er sich am frühen Nachmittag seine Analyse abschließend und kontrollierend anschaut, fällt ihm allerdings etwas auf. Verdammt. Er schnappt sich seinen Laptop und steht auf. Dafür muss er leider mit Harry sprechen. Auf der Suche nach ihm läuft er durch das ganze Büro. Wo ist dieser Mann? Er kann doch nicht einfach verschwunden sein.

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Ist er verschwunden? Vermutlich nicht. Und wird Louis es durchhalten, Harry gegenüber professionell zu bleiben? 

Love, L 

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