11. Türchen

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„Was suchst du?", fragt Zayn irritiert, als er auch in dessen Abteilung vorbeikommt. „Wen", korrigiert Louis ihn sofort. „Harry." – „Oben auf der Dachterrasse. Mach nichts Dummes." – „Es geht um die Arbeit", antwortet Louis nur. Eine Jacke hat er natürlich nicht mit. Er öffnet die Tür und die kühle Dezemberluft hüllt ihn sofort ein. Er erschaudert, geht aber nicht zurück ins Gebäude. Harry sitzt in eine Decke gehüllt und tippt auf seinem Laptop. Seine Nase ist von der Kälte gerötet, aber ein sanftes Lächeln umspielt seine Lippen. Ihm scheint nicht kalt zu sein. Es erinnert Louis daran, wie Harry früher im Winter dick eingepackt auf dem Sofa gesessen und geschrieben hat.

„Hast du kurz Zeit?", durchbricht er die Stille und fragt sich einen Moment, wieso Harry wohl hier oben sitzt. „Sonst hätte ich dich schon wieder weggeschickt", antwortet Harry, ohne aufzusehen." – „Du hast bemerkt, dass ich hier bin?" – „Natürlich", erwidert er nur, als wäre es selbstverständlich. Louis tritt näher an den Tisch heran. „Ich habe die Analysen fertig, aber da du immer mit einbezogen werden möchtest, brauche ich dein okay, bevor ich es zu Majid gebe." Unschlüssig steht er am Tisch. Harry hört auf zu tippen und sieht zu ihm. „Zeig her." Louis reicht ihm den geöffneten und entsperrten Laptop.

Harrys Augen fliegen über die Zeilen. „Klingt für mich alles logisch, aber ich habe kein Marketing studiert." – „Entspricht die Zielgruppe den Menschen, die du ansprechen willst?", fragt Louis ihn sicherheitshalber noch einmal und verschränkt die Arme vor der Brust. Ihm wird langsam wirklich kalt hier oben. Harry zuckt mit den Schultern. „Ich möchte alle Personen erreichen, die sich für das Thema meines Buches interessieren. Dabei ist mir das Alter oder das Geschlecht nicht wichtig." Hilfreich, denkt Louis sich und seufzt leise. „Für das Marketing ist es aber wichtig. Also?" – „Ja, das passt für mich alles so." Als er sagte, er will mit einbezogen werden, meinte er nicht diese Analysen. Er meinte vor allem das Lektorat, das Design und die Marketingmaßnamen, aber das sagt er Louis jetzt nicht.

„Gut. Ich gehe wieder rein, man erfriert hier oben ja." Harry beißt sich auf die Zunge, um ihn nicht zu fragen, wieso er keine Jacke angezogen hat. Louis erkältet sich schnell, dass wissen sie beide, und so hier hochzugehen, provoziert es doch nur heraus, dass er morgen zumindest einen Schnupfen haben wird. Harry nickt nur, zieht die Decke enger (obwohl ihm eigentlich nicht kalt ist) und widmet seine Aufmerksamkeit wieder seinen Charakteren und dem Plot.

Wenn er ehrlich zu sich selbst ist, weiß er schon längst, dass die Charaktere spätestens ab der Hälfte des Buches sich sowieso verselbstständigen werden und der Plot, so wie er ihn jetzt schreibt, hinfällig sein wird. Dennoch erstellt er einen, das macht er immer. Niall versteht das nicht. Er hat ihm einmal versucht das zu erklären. Es gehört zum Prozess und ist deswegen notwendig, aber Niall hat ihn nur fragend angeschaut und geantwortet: Wenn du es sowieso am Ende nicht nutzt, ist es doch total unnötig, es vorher zu machen.

Louis schickt Majid die Analyse und legt alles im Intranet ab. Er geht zu ihm an den Schreibtisch, als sie Feierabend machen. „Harry hat es schon abgesegnet, ich habe mit ihm gesprochen." – „Die Analyse?", fragt er irritiert. Louis nickt. „Du weißt, dass es ihm nicht darum ging, als er meinte, er will involviert sein, oder?" – „Äh..." Majid sieht Louis kritisch an, sagt dann aber nichts mehr, denn Daya unterbricht die beiden. „Heute Abend ins Joe's?" – „Was?" – „Das ist die Bar gegenüber", antwortet Majid ihr und zieht seinen Mantel an. „Wieso nicht, wir waren da lange nicht mehr." – „Sehr gut, ich sage Zayn Bescheid", lächelt sie und verschwindet wieder. Freitagnachmittag und ein Feierabendbier. Das passt Louis perfekt. Er nimmt seine Sachen und sie warten am Aufzug auf die anderen. Zayn und Daya kommen wenig später. Und Harry. Verwundert bemerkt Louis, dass er jetzt nicht mehr die große Tasche dabei hat." – „Was ist?", fragt Harry, als sie in den Aufzug steigen.

„Wo hast du deine Sachen gelassen?" – „Unter Zayns Schreibtisch", antwortet Harry schulterzuckend. „Welche Sachen?", möchte Daya neugierig wissen. „Meine Decke und meinen Laptop", antwortet Harry ihr. „Ich möchte die Sachen ungerne mit in die Bar nehmen." – „Du kommst mit in die Bar?", frage ich irritiert. „Ja. Teambuilding und so", sagt Daya zufrieden. Verdammt. Beinahe hätte Louis laut geflucht. „Decke?", fragt Majid irritiert. „Oh, ich habe heute auf der Dachterrasse gearbeitet", erklärt Harry ihm. „Meine Nachbarn renovieren und es ist wirklich laut, also habe ich den Tag hier verbracht." Ihm gefällt es dort sehr gut und vielleicht lässt er die Decke auch einfach hier. Vermutlich wird er nächste Woche, wenn denn gutes Wetter ist, auf dem Dach sitzen und arbeiten.

„Könnte dich da nicht jemand sehen?", fragt Louis skeptisch. „Ich habe ja kein Schild auf der Stirn kleben, auf dem steht, wer ich bin. Hier im Gebäude sind sechs Unternehmen, ich denke nicht, dass sich jemand wundert, wenn dort jemand sitzt", antwortet Harry ihm und Louis schlägt sich innerlich gegen die Stirn. Da hat Harry recht, wieso ist er nur so dämlich?

Sie setzen sich an einen Tisch. Majid hat dem Barkeeper gerade schon gewunken. Louis überlegt einen Moment, ob er ihm nur gedeutet hat, dass sie eine Runde bestellen oder ob er ihn tatsächlich kennt. „Was möchtet ihr trinken?", fragt einer der Kellner wenig später in die Runde. „Ein Bier, bitte", bestellt Majid." – „Mach zwei draus." – Drei", klinkt Daya sich ein. „Ein Ipanema, bitte", fügt Zayn hinzu. Harry studiert noch die Karte. Cosmopolitan, denkt Louis sich. Er wird sowieso einen Cosmo nehmen. Das tut er immer, wenn er sich nicht entscheiden kann.

„Einen Cosmopolitan, bitte", lächelt Harry wenige Sekunden später und legt die Karte weg. Louis wusste es. Harrys Blick trifft seinen. Sie denken beide das gleiche: Es hat sich seitdem nicht verändert. Harry bricht den Blickkontakt als erstes und die Zeit läuft weiter. „Darf ich Sie etwas fragen?", ergreift Daya das Wort und sieht Harry an. „Sicher", lächelt er und nimmt sich ein paar Erdnüsse aus der Schale, die in der Mitte des Tisches steht. „Wenn Sie es nicht beantworten möchten oder es zu persönlich ist, ist das natürlich okay, aber ich habe mich gefragt, ob sie einen eigenen Touchpoint zu der queeren Community haben. Schließlich schreiben Sie darüber." 

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Was wird Harry dazu wohl antworten? Und wie wird der Abend für Louis weitergehen? 

Love, L

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