19. Türchen

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Harry hört es, obwohl Louis schon weitergeht. Er hört es und es tut fast so weh, wie das, was er Louis gerade gesagt hat. Er musste es tun, so kann es nicht weitergehen. Er seufzt und sucht sich eine neue, kleine Gießkanne. Immer, wenn es ihm nicht gut geht, kauft er sich neue Pflanzen. Deswegen sieht sein Balkon inzwischen aus wie ein Garten. Er war vorhin im Gartencenter und hat sich zwei winterfeste Palmen gekauft. Und eine Sonnenblume. Und einen kleinen Kaktus. Er brauchte also Töpfe.

Louis geht einfach weiter. Er sieht sich nicht noch einmal zu Harry um. Er geht das Gespräch gestern immer wieder durch. Harry hat recht, er muss das Team wechseln. Kann Harry nicht einfach das Team wechseln? Das wird Sasha entscheiden. Louis hakt das Thema für heute ab. Er kann es vor Montag sowieso nicht ändern, wieso also damit befassen. So hat er das Thema rund um Harry immer gehandhabt. Er war nicht bei Louis in New York, er konnte es also nicht ändern – wieso also damit befassen.

Harry steht an seinem Auto. Er sitzt im geöffneten Kofferraum und stützt sich auf seine Knie. Ihm ist schlecht. Es geht ihm so mies wie lange nicht mehr. So will er nicht Auto fahren, das könnte böse enden. Seine Wangen sind nass, schon wieder. Er will nicht mehr wegen Louis weinen, nicht mehr nach so langer Zeit. Er hat es satt, sich wegen ihm derart beschissen zu fühlen.

„Geht es Ihnen... ach scheiße." Er sieht auf. Louis steht ihm gegenüber und schiebt einen vollen Einkaufswagen. „Nein, mir geht es nicht gut, danke der Nachfrage", antwortet Harry trocken. Louis sollte einfach weitergehen. Er will hier verschwinden, aber seine Beine bewegen sich kein Stück. „Willst du mich nur anstarren? Macht es dir Spaß, mir wehzutun?", fragt Harry wütend. Er hat so viele Gefühle für Louis, ein wenig Verachtung ist inzwischen vielleicht auch dabei.

„Du bist so ein Arschloch, Harry. Als würde es mir Spaß machen", antwortet Louis wütend. „Tut es aber doch!", feuert dieser zurück. „Du bist gegangen! Du bist nach New York abgehauen!" Er sollte ihn nicht mitten auf einem Ikea Parkplatz anschreien, aber kann sich nicht mehr beherrschen. Es ist einfach zu viel geworden. All die Wut und die Enttäuschung und die Trauer hat sich jahrelang angesammelt. Es ist zu viel geworden. Es platzt aus ihm heraus, wie ein Korken aus einer Sektflasche die drei Jahre lang geschüttelt wurde. „Du hast nicht mit mir gesprochen, du hast einfach diesen Job angenommen und bis gegangen! Zwei Tage hast du mir gelassen, um meine Sachen aus deiner Wohnung zu holen! Zwei Tage lang hast du kein Wort mit mir gewechselt und dann bist du gegangen!" Harry schnappt nach Luft, dann schüttelt er den Kopf. „Nein, stimmt nicht. Du hast mir noch gesagt, dass wir ja nie eine Beziehung hatten. Es war ja nur Sex und ich werde schon damit klar kommen, jemand anders finden. Ich sollte jemanden finden, der besser zu meinem Lebensstil passt als du. Weil es ja nur verdammter Sex war!"

Harry kann nicht mehr er schluchzt auf, weint und fällt dabei fast aus dem Auto. Louis kann nicht glauben, was er vor sich sieht. „Es ist echt uncool, dass du es jetzt so darstellst, als wäre ich das Arschloch gewesen", antwortet er Harry nur. Er hasst es, ihn so zu sehen. Er hat es schon immer gehasst, wenn es Harry schlecht ging. Er kam nie damit klar, hat sich immer um ihn gekümmert. Es gab warme Decken, heißen Kakao und viel Zeit zum Kuscheln. Dadurch wurde es besser, immer. Egal, welches Problem es gab, danach war es nur noch halb so schlimm. So hat er ihn noch nie gesehen.

„Geh wieder nach New York. Oder irgendwo anders hin", bittet Harry ihn. „Ich kann nicht... ich will das nicht noch einmal durchstehen." – „Durchstehen? Du wolltest doch, dass ich verschwinde!" Jetzt reicht es Louis endgültig. Sein Plan, diesmal nicht auf Harrys Worte einzugehen und nicht den gleichen Fehler zu machen, wie gestern Abend ist gründlich gescheitert. Das macht sein Ego einfach nicht mit. In dem Moment, in dem er den Einkaufswagen stehen lässt und auf Harry zugeht, weiß er, dass er lieber hätte gehen sollen. Er spricht trotzdem weiter. „Du wolltest doch etwas anderes! Du wolltest nicht mehr dieses unverbindliche! Bitte sehr, ich habe dir die Möglichkeit gegeben! Was fällt dir ein, mich zu beschuldigen, ich hätte es kaputt gemacht! Das warst ganz allein du!"

Harry sieht mit Tränen in den Augen, roten Wangen und laufender Nase zu Louis hoch. Der steht vor ihm und blickt ihn wütend an. „Was? Ich wollte doch nicht, dass du gehst." – „Nein?" Louis lacht bitter. „Weißt du was, du hast recht. Wir hätten uns nie wieder sehen sollen." Harry laufen Tränen über die Wangen. Er kann es nicht verhindern. „Ich wollte nicht, dass du gehst. Wieso hätte ich das den tun sollen? Ich war doch sogar der Idiot, der dachte, wir sind in einer Beziehung." – „Waren wir doch auch!", antwortet Louis ihm aufgebracht und laut. Normalerweise würde es ihn vielleicht interessieren, dass er gerade den ganzen Parkplatz unterhält, aber jetzt interessiert es ihn nicht.

„Aber du hast gesagt, es war nur Sex! Du hast einfach deinen Koffer gepackt und mir nichts von deinen Plänen gesagt!" – „Weil du mich loswerden wolltest!" – „Nein! Das wollte ich nie!", schreit Harry zurück und wischt sich (unnötigerweise) über die Wangen. Er wollte Louis damals überraschen. Er hat Essen von seinem Lieblingsrestaurant geholt und bei ihm geklingelt. Louis hat erst nach dem dritten Versuch geöffnet. Es war wie ein Schlag in die Magengrube, als Harry all die Kartons und die Koffer gesehen hat. Louis hatte schon angefangen zu packen und ihm nicht einen Ton gesagt. Ob er ihm wohl überhaupt etwas sagt hätte, wenn Harry nicht mit Abendessen vorbeigekommen wäre?

„Doch natürlich! Du hast Niall doch gesagt, du willst endlich etwas Richtiges! Du hast ihm doch erklärt, dass du etwas Festes willst, etwas mit Perspektive! Du hast gesagt, du willst etwas Neues ausprobieren!" Irritiert sieht Harry ihn an. „Was?" – „Überraschung, ich habe es gehört, als ihr euch unterhalten habt", erwidert Louis trocken. Wie oft hat er sich gewünscht, dass er dieses Gespräch nicht mitbekommen hätte? Wie oft hat er sich gewünscht, dass er fünf Minuten später aus der Kneipe gekommen wäre. „Wann soll das gewesen sein?" – „Eine Woche bevor ich geflogen bin, du Idiot. Tu doch nicht so, als wüsstest du es nicht."

Harry schweigt. Louis schüttelt den Kopf. „Du hast Niall stolz erzählst, dass du etwas Neues probieren willst, dass du dich endlich entschieden hast. Oh, und dann meintest du, dass du ganz dringend mit mir darüber sprechen müsstest." Louis atmet tief ein und wieder aus. „Ich habe gesagt, dass wir nur Sex hatten, weil du mir so verdammt weh getan hast. Ich habe den Job angenommen, der mir angeboten und den ich quasi schon ausgeschlagen hatte, um hierbleiben zu können, weil du mich sowieso nicht mehr wolltest."

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Here you go. Da ist die Wahrheit. Könnt ihr Louis jetzt verstehen? Was wird Harry dazu sagen? 

Love, L

Adventskalender 2023Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt