12. Türchen

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Für einen Moment ist Louis verwirrt, aber dann fällt ihm wieder ein, dass es nie zur Sprache gekommen ist. Harry ist gut gelaunt. Er lächelt und antwortet: „Ich lable mich nicht. So gesehen bin ich nicht hetero und schon irgendwie queer. Ihr könnt mich übrigens ruhig Harry nennen." Zayn schielt zu Louis. Er kann die Augen nicht von Harry lassen. „Das muss aber nicht unbedingt in meinem Autorenprofil im Buch stehen, okay? Ich möchte so anonym wie möglich bleiben." Majid nickt sofort. „Klar, kein Problem." Sie gehen locker damit um, dass Harry nicht hetero ist. Louis könnte sich jetzt natürlich auch outen – immerhin ist er absolut schwul, aber er möchte Harry den Moment nicht stehlen, das gehört sich nicht. Also dreht er das Glas Bier in seinen Händen und hält sich zurück.

Normalerweise ist er sehr kommunikativ und teil der Unterhaltungen, aber heute kommt er nicht so richtig rein. Harry hingegen versteht sich mit dem Team super. Er spricht mit Majid über irgendein Konzert, was bald in London stattfindet. Louis' Stimmung kippt, als sie darüber sprechen, ob sie nicht gemeinsam dorthin gehen sollten. Es ist erst in sechs Monaten, aber die Tickets gibt es schon. Louis trinkt sein Bier aus und bestellt ein zweites.

„Was ist mit euch, wollt ihr auch mit?", fragt Majid in die Runde. „Ich wäre dabei", stimmt Zayn zu. „Ich bin im Urlaub", verneint Daya. Dann liegt der Blick auf Louis. „Was ist mit dir?", fragt Majid ihn. „Äh, keine Ahnung. Ich... ich bin gerade erst in London angekommen und..." Nur Zayn durchschaut es. „Du kommst mit", bestimmt er kurzerhand. Louis sieht ihn schockiert an. „Das kannst du doch nicht einfach so entscheiden." – „Klar kann ich. Habe ich gerade." Majid lacht. „Schon scheiße, wenn man jemandem aus dem Team schon so lange kennt." Louis grinst. „Stimmt, wir sollten Zayn rauswerfen." Er taut nun doch auf und mit jedem Bier wird es weniger schlimm, dass Harry Teil der Runde ist.

Vielleicht wird er auch nur mutiger. Oder er kann dieses Gefühl in seiner Brust besser verdrängen, wenn er angetrunken ist, wer weiß. Irgendwann erzählt Daya von ihrem Verlobten. Er arbeitet nur wenige Straßen weiter und Zayn und Majid kennen ihn offenbar. „Ich habe ihm letzten Sommer einen Antrag gemacht. Ich wusste, dass er mit dem Gedanken gespielt hat, aber er hat sich nicht getraut und irgendwann wurde ich ungeduldig", meint sie und zuckt mit den Schultern. „Er war überrascht und hat ja gesagt. Dann hat er zugegeben, dass er unglaublich Schiss hatte und sehr froh darüber ist, dass ich ihn gefragt habe", grinst sie. Zayn schmunzelt. „Selbst ist die Frau." – „Allerdings", nickt sie zufrieden. „Louis, was ist mit dir?" – „Was?" – „Hast du jemanden?", möchte sie wissen. Irritiert sieht Louis sie an. Wieso sollte er jemanden haben?

„Äh... nein, im Augenblick nicht", bringt er heraus. Zayn sieht ihn skeptisch und fragend an. „Weil du nach London gezogen bist?", möchte er wissen. Natürlich versteht Louis, worauf diese Frage abzielt. „Nein, auch in New York gab es niemanden. Ich habe mich in den letzten Jahren sehr auf die Arbeit konzentriert. Eine feste Beziehung war einfach nicht drin", weicht Louis aus. „Ich weiß, was du meinst. Ich habe auch keine Lust, wieder in dieser Kennenlernphase festzuhängen", stimmt Majid zu. „Ja. Genau", murmelt Louis schnell und trinkt sein Bier.

Harry ist überrascht. Er versucht es sich nicht anmerken zu lassen, aber das klappt nicht sonderlich gut. „Was ist?", fragt Louis ihn direkt. „Nichts." – „Wirklich?", hakt er nach. Harry zuckt mit einer Schulter. „Ich hätte nicht gedacht, dass jemand wie du so lange schon in keiner Beziehung mehr war." – „Jemand wie ich?", fragt Louis überrascht. Harry sucht gedanklich verzweifelt nach den richtigen Worten. Scheiße, er hätte Louis einfach nicht ansehen sollen. „Gutaussehend, charmant", wirft Zayn ein und rettet Harry damit. Er wirft ihm einen dankbaren Blick zu. „Danke, Malik, aber ich stehe nicht auf dich." – „Weiß ich doch", grinst Zayn. „Ich würde sowieso nichts mit dir anfangen. Bei deinen Kochkünsten hätte ich Angst, vergiftet zu werden." – „Hey! So schlimm ist es nicht!", beschwert Louis sich sofort. Seine Kollegen lachen. „So schlimm?", fragt Daya amüsiert. „Schlimmer", antwortet Zayn. „Ey! Ein Gericht kann ich richtig gut." – „Und du meinst, das reicht, um zu überleben?", grinst Majid.

„Entschuldigt mich." Harry steht auf und geht zu den Waschräumen. Natürlich weiß er, wovon Louis spricht. Natürlich kennt er dieses Gericht und er mag es wirklich gerne. Mochte. Es ist bescheuert, aber seit damals mag er es nicht mehr. Es hat ihn zu sehr an die Abende erinnert, als Louis es für sie gekocht hat. Louis sieht ihm hinterher, aber das merkt Harry nicht mehr. Kurz glaubt er, Harry müsste gar nicht wirklich auf die Toilette, sondern sei geflüchtet. Dann verwirft er diesen Gedanken. Er sollte nicht immer zu viel in eine Situation reininterpretieren. Harry hat sehr deutlich gemacht, dass ihn die Vergangenheit nicht mehr kümmert. Ihn wird wohl kaum ein einfaches Gericht triggern.

Harry bleibt einige Minuten weg und Louis sitzt auf der Zeit wie auf heißen Kohlen. Er ignoriert den Drang, ihm hinterherzulaufen. Er will ihm nah sein, aber er ruft sich ins Gedächtnis, dass das eine furchtbare Idee ist. Er ist damals schließlich nicht ohne Grund nach New York gezogen. Er muss sich dringend daran erinnern, dass es die bessere Entscheidung war. Nur weil einige Jahre vergangen sind, bedeutet das nicht, dass die Vergangenheit ungeschehen ist. Scheiße, wieso hat er da nicht früher drüber nachgedacht. Er hat Harry vermisst, den alten Harry. Er muss aufhören, sich etwas vorzustellen, was nicht passieren wird.

Unterdessen steht Harry im Waschraum vor dem Spiegel und starrt seinem Gegenüber in die Augen. Das muss dringend aufhören. Er wird nicht noch einmal diese Scheiße mitmachen, nur damit Louis wieder abhauen und ans andere Ende der Welt ziehen kann. Sein Spiegelbild blickt ihm fast schon verhöhnend entgegen. Er hat noch Gefühle für Louis Auf eine verkorkste Art und Weise fühlt er etwas für ihn. Er ist sich allerdings nicht sicher, ob er verliebt ist, oder ob es die Enttäuschung und Wut von damals ist, die Louis wieder aufleben lässt. Zumindest geht seine Anwesenheit nicht spurlos an ihm vorbei. Er wäscht sich mit eiskaltem Wasser die Hände und legt eine dann kühlend an seinen Nacken. Es geht um seine Karriere, seinen Job. Er muss ausblenden, wer Louis ist. Das, was er beruflich tut, ist für ihn wichtig, alles andere ist irrelevant. Wieso hätte er nicht sagen können, dass er seit Jahren in einer glücklichen Beziehung ist? Dann würde Harry keinen Gedanken daran verschwenden, dass er Single und damit theoretisch zu haben ist. Verdammt.

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Harry kommt doch sehr viel schlechter mit der Situation zurecht, als er zugeben will. Was haltet ihr davon? 

Love, L

Adventskalender 2023Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt