14. Türchen

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Harrys Tag war gut. Er hat viel geschafft. Jetzt bereut er es, so lange im Büro geblieben zu sein. Er hätte nur fünf Minuten eher gehen müssen, dass wäre sein Stimmung jetzt nicht derart am Boden. Er verkriecht sich zuhause. Er trinkt einen heißen Kakao mit Zimt und gießt seine Pflanzen. Seitdem er Thriller schreibt, gestaltet er seine Wohnung so lebensfroh und einladend wie möglich. Er muss gegen die dunklen Gedanken ansteuern, die kommen, sobald er über einen Plot seiner Bücher nachdenkt. Erst hat er sich gewundert, als ihm aufgefallen ist, wie hell seine Einrichtung geworden ist, aber dann hat er erfahren, dass es vielen Schreibenden so geht. Einige von ihnen schlafen sogar nur noch mit Licht. Schon verrückt, das die eigene Vorstellungskraft anrichten kann.

Er will es nicht zugeben, aber der heutige Tag hat ihn mitgenommen. Er kann nicht anders, als ständig daran zu denken. Er hasst es, dass es ihn derart trifft. Es ist nicht einmal überraschend, aber es zerstört sein Wunschdenken. Er seufzt und greift nach seinem Handy. Inzwischen weiß er genau, dass es nur besser wird, wenn er darüber redet. Also ruft er Niall an, dem muss er immerhin nicht die ganze Geschichte von vorne bis hinten erklären.

Liam hat hingegen keine Ahnung, was passiert ist, weswegen Louis damit hadert ihn anzurufen. Aber mit Zayn kann er nicht sprechen und er wird kaum seine Mutter und eine seiner Schwestern anrufen, um sich auszuheulen. Er dreht noch durch. Er arbeitet nicht einmal vier Wochen dort und schon ist er völlig durch den Wind. Er schläft schlecht und wenn er ehrlich zu sich selbst ist, sucht er Gründe, um zu Harry zu gehen und mit ihm zu sprechen. Das kann so nicht weitergehen. Liam ist gut in so etwas. Er gibt immer allen ihren Freunden Beziehungsratschläge und bisher hat es sich meistens ausgezahlt.

Louis: Bist du wach?

Liam: Habe gleich Mittagspause, du Idiot.

Das reicht ihm, als Bestätigung, dass er ihn anrufen kann. Liam geht sofort dran – natürlich tut er das, es ist Liam. „Was gibt's? Vermisst du New York?", fragt er direkt gut gelaunt. „Ein bisschen", gibt Louis zu und trinkt einen Schluck Bier. „Ich liebe London, aber..." Wie soll er Liam sagen, dass er Harry wiedergesehen hat? Liam weiß nicht einmal, wer Harry ist. „Aber?" – „Ich muss hier mit jemandem zusammenarbeiten." – „Ist das gut oder schlecht?", hakt Liam irritiert nach. Wenn er es nicht besser wüsste, würde er sagen, dass Louis Liebeskummer hat. Das ist so unwahrscheinlich, wie ein Schneesturm im Sommer, das wird es also nicht sein.

„Ich wusste, dass du nicht lange damit klarkommen wirst." – „So schlimm ist es nicht." Er seufzt. Sein bester Freund schüttelt den Kopf, aber das sieht er natürlich nicht. „Wem willst du etwas vormachen, mhm?" – „Tue ich nicht." – „Nein? Und was tust du dann?" – „Ich rede es mit schön?" Es klingt mehr wie eine Frage als alles andere. Er ist sich schlichtweg nicht sicher, was er da wirklich tut. „Wie lange musst du noch mit ihm arbeiten?" – „Naja, plan jetzt ist dass die Reihe noch zwei weitere Bücher bekommt" – „Also ziemlich lange." – „Der Verlag ist gut. Ich mag es dort." – „Er muss dort verschwinden."

„Ich habe nie erzählt, wieso ich damals aus London abgehauen bin." – „Abgehauen? Ich dachte, du wärst wegen des Jobs hergezogen?", fragt sein ehemaliger Kollege irritiert. Er seufzt. „Auch. Aber hauptsächlich bin ich abgehauen." – „Wovor?" – „Vor wem", korrigiert er sofort. „Mein... keine Ahnung. Ein Kerl. Ich bin ihm an meinem ersten Arbeitstag wieder über den Weg gelaufen", erzählt er und fasst die letzten Tage knapp zusammen. „Du vermisst ihn", versteht sein bester Freund. Er schüttelt den Kopf. „Nein, so kann man das nicht sagen. Er hat sich verändert. Wie soll ich jemanden vermissen, der vor mit steht?" – „Das geht, glaub mir." Er ist sich nicht so sicher, ob er ihm glauben soll.

Er verdreht die Augen. „Und was willst du bitte machen?" – „Ihn feuern lassen." Sein bester Freund antwortet es so trocken, dass er es für einen kurzen Moment ernst nimmt. Dann verdreht er die Augen. „Spinn nicht rum." Sobald er das ausspricht, zweifelt er, dass es wirklich nur ein Witz war. Er ist sich sogar ziemlich sicher, dass er es irgendwie hinbekommen würde. Irgendwie. „Du wirst ihn nicht feuern lassen."

„Jedenfalls will er, dass wir nur auf professioneller Ebene miteinander arbeiten und uns ansonsten aus dem Weg gehen." – „Du willst etwas anderes." – „Keine Ahnung." Er weiß es tatsächlich nicht so richtig. Er weiß nur, dass er wahnsinnig wird, wenn das so weiter geht. „Ich habe kurz überlegt, ob ich meine Chefin bitten soll, mich einem anderen Team zuzuweisen, aber..." – „Aber dann würdest du ihn nicht mehr sehen und hättest keinen Grund mehr, dich mit ihm zu unterhalten." – „Ist das so durchsichtig?" – „Mich würde es ehrlichgesagt wundern, wenn er es noch nicht bemerkt hat. Ich bin zwar nicht vor Ort, aber wenn es so ist, wie du erzählst, stellst du dich ziemlich dumm an." – „Danke. Hilfreich", antwortet er sarkastisch, aber das kümmert den Mann am anderen Ende der Welt nicht. Er kennt ihn nicht anders und kann inzwischen gut mit dieser Art umgehen.

Sein Gesprächspartner seufzt. „Okay. Dann nicht. Was du allerdings tun kannst, ist dafür zu sorgen, dass er in einem anderen Team arbeitet." – „Aha?" – „Die wollen dich als Autor. Du bist für sie ein Goldesel." – „Danke." – „Deswegen werden sie wohl kaum zulassen, dass du die nächsten Romane bei einem anderen Verlag veröffentlichen lassen wirst. Du kannst die Bedingung stellen, dass du nicht mit ihm zusammenarbeiten möchtest. Das klappt garantiert." Er schüttelt den Kopf und verneint. Das kommt nicht in Frage. „Er hat gerade erst dort angefangen. Er ist noch in der Probezeit." – „Dann wird er halt gefeuert, wieso ist das dein Problem?" Er schweigt. In diesem Moment versteht sein bester Freund, was wirklich Sache ist. „Das ist bescheuert, das weißt du hoffentlich? Du solltest dir keine Sorgen um ihn machen. Du solltest nicht einmal an ihn denken." – „Theoretisch weiß ich das." – „Und du tust es trotzdem." Er muss darauf nicht antworten. Sie wissen beide, dass er es trotzdem tut, so dämlich wie es auch ist.

„Und wenn du ihm die Wahrheit sagst?" – „Hast du Lack gesoffen?" – „Also nein." – „Garantiert nicht. Wir sind damals nicht im Guten auseinander gegangen." – „Und Ihr habt nie darüber geredet", fügt der andere hinzu. Er verdreht die Augen. „Nein, das war nicht nötig. Es war sehr eindeutig." – „Dafür hat er sich aber in deinem Kopf ganz schön festgesetzt." Wenn es doch nur der Kopf wäre. Damit könnte er umgehen, vielleicht.

„Ich glaube, ich werde erst einmal nicht mehr ins Büro gehen." – „Was ist passiert?" – „Wieso muss etwas passiert sein?" – „Verarsch jemand anderen." Er schweigt einen Moment. Wieso kennt er ihn nochmal so gut? „Ich habe etwas gehört, was ich nicht hätte hören sollen." – „Oh Gott, das fängt schon scheiße an." Er seufzt. „Es wird nicht besser." – „Davon bin ich nicht ausgegangen. Also? Was hat er angestellt?" – „Seine Chefin hat ihn gefragt, ob er auch eine Ausgabe meines Buches haben möchte. Alle aus dem Team bekommen eine", fängt er an zu erzählen. „Er hat geantwortet, dass er keins will." – „Idiot." – „Ich schätze, er wird es nie lesen." – „Wieso ist das wichtig?" Er schweigt. „Harry? Wieso ist das wichtig." – „Sorry, Niall. Ich muss los." Dann legt er auf.

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Tja, es haben beide daran zu knabbern. Meint ihr die Gespräche haben geholfen? 

Love, L

Adventskalender 2023Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt