5 Jeremy Hall

75 10 39
                                    

„Pffff...." Mit einem Seufzen schwang sich Joey ihren Rucksack über die Schulter und blickte auf den langen Schulflur vor ihr. Irgendwo im hinteren Drittel musste ihr Schließfach sein. Seit ihrer Offenbarung nach der ersten Pause hatte sie es nicht geschafft, ihr Schließfach auch nur einmal aus der Nähe zu sehen.

Irgendwie mussten sie ständig ganz schnell hierhin oder dorthin - laut Cedric gab es besonders leckeres Essen gerade heute in der Mensa und sie sollten sich beeilen, dann bräuchten sie ihre Bücher sowieso gleich in der Bibliothek für die Hausaufgaben (bisher hatten sie noch nie Hausaufgaben in der Bibliothek gemacht, aber ausgerechnet heute war laut Cedric die Bücherei unerlässlich), dann war es so schön sonnig draußen, das musste man - laut Cedric - ausnutzen – kurzum, es war einfach zufällig nie Zeit zu den Schließfächern zu gehen...

So langsam hatte Joey den Verdacht, Ced wollte sie von ihrem neuen Schließfach fern halten, aber damit war nun Schluss. Sie hatte ihre Bücher lange genug mit sich herum geschleppt und so war sie unter dem Vorwand kurz zum Kiosk zu gehen (tatsächlich war sie sogar beim Kiosk gewesen), unbeobachtet ins Schulhaus geflitzt und stand nun also endlich im richtigen Schulflur. Alleine. Ein paar Schritte noch trennten sie von ihrem Spint und außer ein paar wenigen Schülern, die sie nicht kannte, war niemand hier.

Joey trat vor ihr Fach und steckte den Schlüssel ins Schloss. Sie schaute einmal kurz misstrauisch zur Seite, beinahe erwartete sie eine Art Explosion, nach allem was Cedric heute veranstaltet hatte, aber es passierte nichts.

Unbewusst atmete sie tief ein - welch ein feierlicher Moment - drehte den Schlüssel herum und öffnete die Tür mit einem leisen *klick*.

Sie blickte in einen leeren Kasten, grau, keine Sprüche, nicht mal ein Schnipsel Papier. Und auch keine Monster. Na also. Und von Jerry, wie Joe ihn schon in Gedanken nannte, keine Spur.

Joey packte ihren gesamten Rucksackinhalt mit Ausnahme ihres Geldbeutels und der Wasserflasche in den Spint und wollte gerade die Türe schließen, als sie hinter sich immer langsamer werdende Schritte vernahm...

Jemand schnalzte ein paar Mal mit der Zunge.

„Nun sieh mal einer an, was haben wir denn hier?" Gespielt freundlich drang die fremde Stimme an Joeys Ohr. Langsam drehte sie sich um und blickte direkt in die dunkelblauen Augen eines Riesen. Das heißt, zuerst legte sie den Kopf in den Nacken, denn der ‚Riese', der ziemlich nah vor ihr stand, war mindestens zwei Köpfe größer als sie.

Unwillkürlich machte Joey einen Schritt zurück und spürte sofort die kalte Schließfachwand im Rücken. Sie mochte es nicht besonders, wenn Leute ihr zu nahe kamen, nein, ‚nicht mögen' war eigentlich noch untertrieben. Es war eines der wenigen Dinge, die sie nervös machten. Sie brauchte ihre Freiheit.

Unverwandt starrte sie den Unbekannten vor sich an. Er sollte ihr gefälligst noch Luft zum Atmen lassen, war das zu viel verlangt?! Selbst wenn das Jeremy Hall war – was Joey so langsam vermutete – sie brauchte genug Platz um sich herum.

Der dunkelhaarige Hühne schien irgendeine Antwort von ihr zu erwarten, denn er zog ungeduldig eine Augenbraue nach oben und knackte einmal mit den Fingerknöcheln. Wollte er sie einschüchtern? Vermutlich.

Um sie herum hatten sich schon einige andere Schüler eingefunden, die alle neugierig – aber still – die Szene beobachteten.

Joey hatte keine Lust, Teil eines Theaterstückes zu sein und beschloss, big Jerry einfach zu ignorieren und hier so schnell wie möglich einfach wieder zu verschwinden. Bevor nämlich ihre spitze Zunge, die ihr der ein oder andere immer wieder einmal vorwarf, noch die Oberhand gewann. Das konnte - Joey wusste das aus Erfahrung - schneller passieren als es ihr lieb war, und gerade jetzt wollte sie es darauf nicht ankommen lassen.

Love, twins & Rock'n'RollWo Geschichten leben. Entdecke jetzt