Kapitel 11

219 7 2
                                    

Mit einem Quietschen öffnete sich die Tür und ein leises “Woah”, erklang von Hinata. Ich brauchte ihn nicht anschauen, um zu wissen, wie er gerade den großen Innenraum anstarrte. Obwohl die Hütte von außen ziemlich klein aussah, bot sie drinnen genug Platz, um hier einige Zeit aushalten zu können.

Wenn man durch den kurzen Eingangsbereich, in dem man seine Schuhe ausziehen und seine Jacke aufhängen konnte, trat, stand man sofort im großen Wohnzimmer. Es war eingerichtet mit einer gemütliche Sitzlandschaft und einem Fernseher, auf dem man jedoch meistens nur DVDs schauen konnte, da die alte Schüssel kaum noch Empfang hatte. Ohne groß darüber nachzudenken, nahm ich Hinatas Hand und zog ihn weiter zur kleinen Küche, dann zu den zwei Schlafzimmern im oberen Stockwerk.

Ich liebte die heimelig wirkende Einrichtung mit alten Holzmöbeln. Sogar die Wände waren mit Holz verkleidet. “Hier. Du kannst dir ein Zimmer aussuchen, in dem du schlafen willst.”, erklärte ich und fügte noch schnell hinzu: “Ich nehme dann das andere” Ich merkte, wie meine Wangen heiß wurden.

Hinata betrachtete beide Zimmer eingehend, als wäre das eine überlebenswichtige Entscheidung. Dann ließ er sich einfach nur auf eines der Betten fallen und sagte: “Das hier. Ich nehme das hier”

Ich betrachtete ihn eine Weile und musste ein wenig über seine Sorglosigkeit schmunzeln, bevor ich ihm zurief: “Komm schon. Wir müssen jetzt den Wagen ausräumen” 

“Jawohl, Sir”, witzelte der kleine Rothaarige nur und rannte noch vor mir die Treppe herunter. Auf dem Weg dorthin blieb ich an einem Spiegel hängen. Ich erhaschte einen kurzen Blick und erschrak. Ich sah echt ziemlich fertig aus. Meine Augen schauten mir müde entgegen. Unter ihnen hatten sich leichte Augenringe gebildet und meine dunklen Haare waren zerzaust und hatten ihren gewohnten Glanz irgendwie verloren. Anscheinend hatte ich diesen Urlaub notwendiger, als mir bewusst gewesen war.

Als wir damit fertig waren, das Gepäck ins Haus zu bringen und Kleidung und Proviant an den richtigen Ort zu platzieren, war es bereits dunkel. Erschöpft ließ ich mich auf das Sofa im großen Wohnzimmer fallen. Ich hatte das Gefühl, die meiste Arbeit getan zu haben, während Hinata immer wieder interessiert das Innere der kleinen Hütte betrachtet hatte.

Aus der Küche erklang ein Klirren und das Geräusch von kochendem Wasser. Kurze Zeit später trat Hinata zu mir, in den Händen je eine Tasse.
Wortlos reichte er mir die eine. Ich nahm sie dankend an und schnupperte an der Tasse. Jasmintee. Ein wohliges Gefühl breitete sich in meiner Brust aus über diese süße Geste. Gleich darauf ließ er sich neben mich aufs Sofa fallen.

"Das Haus ist wirklich schön, aber kann man hier überhaupt irgendwas machen? Es ist so abgeschottet."

"Naja, man kann wandern gehen und solche Sachen."

"Aber es ist so einsam."

"Ich mag die Ruhe. So sehr ich das Spielen bei den Schweiden Adlers auch liebe, manchmal ist es einfach zu viel Trubel" Ich hatte ja gerade erst festgestellt, wie viel Ruhe ich eigentlich nötig hatte.

"Hmm" Keine Ahnung, ob Hinata sowas überhaupt nachvollziehen konnte. Für ihn konnte es nicht chaotisch genug sein. Sowas stachelte ihn eher an. Für einen Moment fragte ich mich, ob es eine gute Idee gewesen war, ihn hierhin mitzunehmen. Vielleicht würde er die Ruhe vollkommen zerstören. Doch dann sagte er: "Ich lese auch gerne mal ein Buch" Ich schnaubte. Das war unerwartet, aber okay.

“Wir werden ja sehen”, murmelte ich vor mich hin und starrte in meine Tasse. Eine ganze Weile sagte keiner etwas. Dann hörte ich leise Hinatas Stimme. "Tobio?” Ich schaute verwundert auf. Das war das erste Mal, dass er wieder meinen Vornamen benutzte. “Hmm?”, machte ich nur.

“Kann ich noch mal etwas zu der Sache sagen, die auf der Raststätte passiert ist? Ich meine, ich will nicht, dass es du dich wieder aufregst, aber ich war noch nicht fertig”

Wenn ich ehrlich war, wollte ich das lieber nicht, aber ich merkte, dass es Hinata wichtig war, deswegen sagte ich: “Naja, wenn es dir hilft…”

“Ja, also… Ich verstehe, dass du Oikawa nicht gemocht hast. Auch wenn ich nicht wirklich weiß, was genau passiert war damals. Aber ich glaube, dass Oikawa das auch bereut. Er hat hart an sich gearbeitet, um netter zu anderen sein zu können. Das hat er mir gesagt und ich habe das auch gemerkt. Ja… das ist auch schon alles, was ich sagen wollte.“

“Okay, ähm, danke” Verlegen knaupelte ich an dem Schild des Teebeutels herum. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte, was Hinata von mir hören wollte. Aber vorallem versuchte ich, die aufkeimenden Gefühle zu unterdrücken. Hinata jedoch hatte andere Pläne.

“Also…was ist eigentlich so schlimm daran, die ganze Sache zu vergessen?”

“Ich kann es nicht vergessen. Das ist es ja gerade.” Ich würde wirklich vieles dafür tun, um das ganze aus meinem Leben zu streichen, aber dabei hingen drei ganze Jahre daran.

“Aber ihr wart noch Kinder. Da wusste doch keiner von euch, was er tut.”

“Pff” Ich konnte nicht glauben, dass er das gerade ernsthaft sagte. “Ich war noch ein Kind, ja. Aber Oikawa war bereits 14. Er hätte es besser wissen sollen"

“Warst du denn mit 14 schon so weit?” Ich starrte Hinata an. Sein Blick bohrte sich in mich, als wollte er in mich hinein schauen, tief in meine Seele. Er hatte mich gesehen, als ich 14 war. An meinen schlimmsten Tag.
Ich senkte den Blick. “Ich hatte auch kein besonders gutes Vorbild. Das ist es ja gerade.” Ich schluckte. Genau diese Gefühle wollte ich vermeiden. Diesen Hass den ich auf mein früheres Ich hegte und die Enttäuschung. “Ich habe Oikawa dafür bewundert, wie gut er gespielt hat. Ich wollte alles von ihm lernen. Aber es war ihm einfach egal. Er hat mich dafür gehasst, dass ich das Potential hatte, genauso gut zu werden wie er, wenn nicht sogar besser. Und er war nicht gerade diskret damit, das kann ich dir sagen. Schließlich dachte ich irgendwann, dass man so eben sein musste, wenn man erfolgreich werden will. Ein Arsch. Ein Arsch, der nur das eine im Blick hat: den Sieg. Selbst als Oikawa die Schule gewechselt hat, habe ich diesen Gedanken mit mir getragen und verfeinert. Aber letztendlich habe ich alle meine Freunde verloren.”

“Ich weiß”, hörte ich Hinata flüstern. Ich schaute auf. Mein Gegenüber begegnete mir mit einem betreten Gesichtsausdruck. Er wusste scheinbar nicht, was er sagen wollte und plötzlich überkam mich die Panik, dass er Mitleid mit mir bekommen würde. Ich hatte schon viel zu viel geteilt. Auch wenn ich jetzt daran arbeitete, Beziehungen zu anderen aufzubauen, hatte ich nicht wieder vor gehabt, mich so zu öffnen.

Ein vertrautes Gesicht flackerte vor meinem inneren Auge auf. Erschrocken wich ich zurück. “Was wird das hier überhaupt?”, rief ich aus. “Eine Therapiestunde? Hast du vor mein ganzes Leben umzukrempeln?”

“Nein, Kageyama, bitte…”

“Erst das Gelaber davon, ich solle mich mit meinen Teamkollegen anfreunden und jetzt das?” Ich merkte, wie ich im Inbegriff war, ihm noch mehr Dinge an den Kopf zu werfen. Das wollte ich nicht. Ich sollte lieber schnell weggehen. Ich traute mich nicht einmal, ihm noch irgendetwas zu sagen. Kein “Gute Nacht” oder “Wir sehen uns morgen” Ich hatte zu große Angst, dass ich noch etwas anderes sagen würde.

Also nahm ich einfach die Beine in die Hand und verließ fluchtartig den Raum in Richtung nach oben. Auf der Treppe legte ich mich fast hin, konnte mich aber noch auffangen und stolperte von da aus weiter in mein Zimmer. Ich verriegelte die Tür und schmiss mich auf mein Bett.

Super gemacht, Tobio, dachte ich unter schwerem Atem. War natürlich wieder klar, dass ich es nicht mehr als ein paar Stunden mit einer anderen Person aushielt. Es hatte sich natürlich nichts geändert. Ich hatte gedacht, dass ich Hinata nun anders begegnen konnte, aber wieder einmal schrie ich ihn nur an.

Enttäuscht über mich selbst vergrub ich mein Gesicht in den weichen Kissen und versuchte, an nichts mehr zu denken.

Irgendwann nachts, als ich glaubte gehört zu haben, dass Hinata in sein Zimmer gegangen war, machte ich mich auf, um mir ein kleines Abendessen herzurichten. Aber so richtig Hunger hatte ich nicht.
Dann verschwand ich wieder in meinem Zimmer und ließ die Gedanken einfach über mich einstürzen.

You are my future and my past (Kageyama x Hinata FF) Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt