32. Entladung

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Entladung

Sie hatten ihre Stühle so nahe aneinandergerückt, dass es nicht weiter auffiel, dass Felix seine Hand auf Maries Oberschenkel gelegt hatte und immer wieder, sehr langsam, sehr sanft darüber strich. Vielleicht entspannte ihn das. „Du musst mich echt lieben", wisperte Marie an Felix' Ohr.

„Klar. Wieso?" Er grinste sie an.

„Na, weil du noch nicht abgehauen bist. Hab gesehen, wie albern du das eben gefunden hast. Als der Typ da neben Suter ein Fass aufgemacht hat bei der Weinbestellung. Oh... äh... also, du weißt, was ich meine."

„Yo, weeß ick. Is nich ganz die Art Leute, die ick sonst so um mich hab. Aber schon okay."

Marie sah den Tisch entlang. Sie waren zu zwölft. Ruhige, höfliche Menschen allesamt. Bis auf den Vorfall mit der Weinkarte vorhin. Distinguiert, aber nicht so, dass Felix in seiner legeren Kleidung oder sie selbst hier negativ auffielen. Tommi hatte sich als wahres Talent herausgestellt, was die Verknüpfung von Kontakten betraf. Er hatte sie einander vorgestellt, Gemeinsamkeiten erwähnt. Geradezu kniggemäßig. Als die Getränke gekommen waren, hatten sie angestoßen. Und dann hatte Herr Suter, während sie auf das bestellte Essen warteten, tatsächlich Felix um ein Autogramm und ein Selfie gebeten. Für seine Tochter, wie Suter erklärt hatte. Das Ganze war dann in eine Art kollektives Fotomachen ausgeartet. Auf die Weise hatte selbst Marie ein Foto mit Suter ergattert, von dem sie gar nicht sicher war, ob sie es hatte haben wollen. Tommi hatte sie nebenbei als „auch eine Bestseller-Autorin" geoutet. Kurz war Marie das Herz stehen geblieben. Aber als sie Herrn Suter erklärt hatte, dass sie ein Pseudonym verwendete, hatte der nur verständnisvoll genickt und gesagt, er kenne einige Kolleginnen und Kollegen, die es so handhabten und manchmal würde er sie darum beneiden.

Felix war ähnlich schweigsam am Tisch wie sie. Während des Essens ohnehin, aber auch jetzt noch. Sie beobachteten beide, was vor sich ging, hatte Marie festgestellt. Ihr war es wirklich lieber, anderen beim Reden zuzuhören als selbst in ein Gespräch involviert zu werden. Da es einige Personen am Tisch gab, die gerne und viel redeten, fiel es nicht weiter auf, dass sie beide die meiste Zeit schwiegen. Manchmal musste Marie sich zurückhalten, nicht ihr Handy zu zücken, um eine Notiz zu machen, wenn ihr irgendeine Verhaltensweise besonders bemerkenswert erschien. Aber sie fühlte sich nicht unwohl. Ganz und gar nicht. Und darauf war sie stolz. Sie war unter Fremden, in einer Situation, auf die sie sich nicht hatte vorbereiten können. Und es waren hier definitiv mehr als zwei Leute anwesend. Doch, langsam wurde alles besser. Wirklich. Sie sah Felix an, der es bemerkte und sich ihr zuwandte. „Hätte nicht mit so nem Abend gerechnet", sagte sie leise.

„Aber ist okay, oder?"

Sie nickte. „Ja, absolut. Auch wenn es irgendwie ein bisschen unfair ist. Na ja, weil wir doch heute... also wir sollten beide was von dem Tag haben, oder?"

Er beugte sich rüber zu ihr. „Hab immerhin jetzt ein Foto von dir. Mit Rahmen."

Marie lachte. „Ja, klar."

Felix' Hand auf ihrem Bein wurde irgendwie schwerer, griff fester und intensiver zu. Marie glaubte, eine gewisse Anspannung bei ihrem Freund festzustellen. Keine negative. Aber da war definitiv etwas aufgeladen.

„Felix!", raunte sie und sah ihn warnend an.

„Was denn?" Er grinste nur, während seine Hand sich einer gefährlichen Grenze näherte.

Marie legte ihre Hand auf seine, stoppte ihn damit. „Du bist unmöglich!" Sie schaute sich um, stellte aber fest, dass offenbar niemand etwas von ihrem kleinen Handgemenge mitbekommen hatte. Es hatte sie weitaus weniger gestört, als sie zugeben würde. Im Gegenteil – es hatte ihr gefallen.

Grace Notes (Felix Lobrecht FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt