28. Vergessen

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Vergessen

Marie gähnte. Ihre Nase war kalt. Aber sie zwang sich, noch ein bisschen länger am Geländer zu stehen, ließ den Blick schweifen. Berlin war nie ganz ruhig, nicht in der Nacht und auch nicht in den Morgenstunden. Vermutlich konnte man hier keine zehn Minuten gehen, egal zu welcher Tages- oder Nachtzeit, ohne jemandem zu begegnen. Und das waren dann vielleicht Menschen, denen Marie nicht unbedingt begegnen wollte. Jedenfalls war sie noch nie auf die Idee gekommen, frühmorgens zum Engelbecken oder zu einer anderen Grünanlage in der Nähe zu gehen. Nicht wenn es, wie jetzt, so lange noch dunkel war morgens. Aber sie brauchte bald mal wieder mal etwas Wald und wirklich frische Luft.

Sie wippte auf den Zehenspitzen und strich sich über die Oberarme, um ein wenig Wärme zu erzeugen. Nein, es reichte jetzt, sie wollte sich nicht erkälten. Sie ging zurück in die Wohnung, schloss die Tür zur Dachterrasse und musste schon wieder gähnen. Im Arbeitszimmer nahm sie ein paar Bücher aus dem Regal und holte das flache, rechteckige Päckchen hervor, das sie dort versteckt hatte. Manchmal hatte es doch seine Nachteile, wenn man keinen wirklich eigenen Bereich in einer Wohnung hatte. Sie räumte die Bücher zurück und ging dann in die Küche, legte die Überraschung vorsichtig auf die Theke. Das dürfte reichen. Es war egal, wenn Felix sie jetzt entdeckte.

Als sie ins Schlafzimmer zurückkehrte, musste sie schon wieder gähnen. Sie tapste zum Bett, zog die Strickjacke aus und warf sie blind in Richtung des Sessels, der in einer Ecke stand und ihr als Kleiderablage diente. Es war stockdunkel, aber sie kannte sich aus. Und sie wollte Felix nicht wecken. Sie setzte sich aufs Bett, zog die Beine hoch und streckte sich vorsichtig aus.

„Is noch früh, oder?", nuschelte eine Stimme neben ihr.

„Ja, viel zu früh", sagte Marie leise. „Schlaf weiter."

Eine Art Grunzen war zu hören und eine tastende Hand landete auf Maries Bauch. „Komm her!"

Sie lächelte, schob sich zu Felix, ließ sich nonverbal von ihm einweisen, so dass er sie schließlich von hinten umarmte. Sie zog die Decke über sich und legte dann ihre Hand auf Felix'.


Marie wurde wieder wach, als Felix aufstand. Sie merkte, dass er versuchte, behutsam die Umarmung zu lösen, aber es gelang ihm nicht ganz so gut. „Mhhh!", brummte Marie und spannte alle Muskeln in ihrem Körper an.

„Morgen, Babe." Ein Kuss landete auf ihrem Ohr.

„Morgen." Marie musste schmunzeln. Sie hörte, wie Felix aufstand. „Mach ruhig das Licht an."

„Sicher?"

„Jetzt bin ich eh wach." Seufzend drehte sie sich auf den Rücken und streckte sich noch mal. Das Licht flammte auf und sie sah, wie Felix Richtung Bad verschwand. Sie schloss die Augen wieder, ließ Leere in ihrem Kopf entstehen. Sie war gerade dabei wieder wegzudämmern, als sie der Gedanke überkam, dass das nicht richtig war. Abrupt riss sie die Augen auf. Genug geschlafen. Sie stand auf, ging zum Fenster, zog die Rollläden hoch. Ein wolkenverhangener Himmel. Aber es war eindeutig, dass die Sonne über allem schien. Sie nahm ihr Handy vom Nachttisch. Spät genug, ja. Sie lüftete die Bettdecken, schüttelte die Kissen auf, ehe sie Felix ins Bad folgte. Er stand noch unter der Dusche. Sie putzte sich die Zähne, klatschte sich kaltes Wasser ins Gesicht, löste dann ihren Zopf und fabrizierte einen Messy Bun. Felix stieg aus der Dusche. Er räusperte sich, kam dann zu ihr, umarmte sie von hinten und drückte einen Kuss in ihren Nacken.

„Ey! Du bist noch ganz nass!" Marie lachte und schüttelte sich, versuchte, sich aus seiner Umarmung rauszudrehen.

„Na komm, ick tropf ja nich. Und dafür geh ick jetzt raus und hol dir den Kaffee deiner Wahl." Er legte sein Kinn auf ihre Schulter und lächelte sie im Spiegel an. „Was hätteste den gerne?"

Grace Notes (Felix Lobrecht FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt